In der Radsportszene geht die Sorge um eine neue Form des Dopings um: elektrisch aufgepeppte Rennräder, deren Antriebe im Rahmen und in den Laufrädern versteckt sind. Bei der Tour de France gibt es deshalb mehr Kontrollen.
Stuttgart - Christian Prudhomme, der Chef der Tour de France, war mal Journalist und weiß, wie man griffig formuliert. Kurz vor dem Start der Tour sagte er. „Das wäre ein Elektro-Schock für den Radsport“. Mit „das“ meinte der Franzose die neueste Variante des Dopings, die am Horizont der Szene auftaucht. Es gibt bisher zwar nur einen konkreten Fall, aber etliche Hinweise, dass die Zukunft des Dopings nicht so sehr darin liegen könnte, den Fahrer chemisch aufzupeppen, sondern darin, die Rennräder mit versteckten elektrischen Antrieben aufzumotzen.
Der bekannteste Fall stammt aus diesem Jahr. Bei den Cross-Weltmeisterschaften im Januar wurde im Rahmen des Cross-Bikes der Belgierin Femke Van den Driessche ein im Sattelrohr versteckter Zusatzmotor entdeckt, der über ein spiralverzahntes Winkelgetriebe direkt auf die Tretkurbelachse wirkt. Das schafft ein Leistungsplus von bis zu 200 Watt bei nur 1,8 Kilo Systemgewicht.
Den Antrieb eines österreichischen Herstellers gibt es schon seit Jahren. Er wurde entwickelt für Hobbyfahrer, die es sich ein wenig leichter machen wollen – aber so, dass es keiner sieht. Der Antrieb im Sattelrohr, die Batterie in einer Tasche unter dem Sattel oder als Trinkflasche getarnt, der An-/Aus-Schalter unten am Lenker – Räder mit dem dezent versteckten Rückenwind sind von 4500 Euro an im Handel. Die Juniorin, Femke die mit einem gegenüber dem frei verkäuflichen leicht modifizierten Tretlager-Antrieb unterwegs gewesen sein soll, wurde für sechs Jahre gesperrt, obwohl sie beteuerte, man habe ihr das komplette Cross-Rad untergeschoben.
Wärmebildkameras sollen Betrüger überführen
Im Straßenradsport ist bisher zwar noch kein E-Dopingsünder erwischt worden, aber die Szene nimmt die Entwicklung durchaus ernst. Bei der Tour de France zum Beispiel testen Prüfer die Magnetresonanz der Fahrräder, womit man angeblich alle gängigen Antriebssysteme orten kann. Zudem sind Motorradfahrer mit Wärmebildkameras im Rennen unterwegs, die verdächtige Räder scannen und später kontrollieren. Entdeckt wurde bisher noch keiner, Merkwürdigkeiten gibt es viele.
Die krasseste ist ein Youtube-Videoclip, der einen Sturz des kanadischen Profis Ryder Hesjedal bei der Spanienrundfahrt 2014 zeigt. Das Hinterrad seines Fahrrads hörte nicht auf sich zu drehen, als das Velo ohne Fahrer am Boden lag. Die gesamte Rennmaschine drehte sich wie ein Brummkreisel, was ohne einen Motor eigentlich unmöglich ist. Dagegen stehen Tests beim aktuellen Giro d’Italia und der Tour de France, die kein Ergebnis brachten, obwohl alle Räder mindestens einmal getestet wurden.
Das Thema bleibt trotzdem weiter auf der Agenda. Viele Profis, unter ihnen auch die deutschen Spitzenfahrer Marcel Kittel oder John Degenkolb, glauben, dass die elektrische Form des Dopings tatsächlich existiert. Allerdings wegen der hohen Kontrolldichte nicht bei der Tour. Andere halten es generell für wenig wahrscheinlich, weil es dafür zu viele Mitwisser brauche. Zudem wären die Motoren viel zu laut, das würde auffallen.
Lärm überdeckt Antriebsgeräusche
Letzteres stimmt aber nur bedingt. Die bekannten Tretlager-Systeme klangen früher tatsächlich wie eine schlecht geölte Nähmaschine, sind aber deutlich leiser geworden. Zudem geht es bei einem Radrennen durch Zuschauer, Begleitfahrzeuge und TV-Motorräder recht laut zu. Besonders in den Bergen – also dort, wo der Zusatzantrieb auch den größten Nutzen hätte.
Zudem gibt es mittlerweile auch völlig geräuschlose Antriebe. Französische Fernsehjournalisten berichten von einem in Ungarn produzierten elektromagnetischen Antrieb, bei dem die Hinterradfelge unsichtbar mit Magneten bestückt wird, die das Rad an im Rahmen versteckten elektrisch aktivierten Kupferspulen vorbeiziehen. Die Spulen, die ein Magnetfeld erzeugen, sitzen an den Kettenstreben auf Höhe der Bremsen, der Akku im Sattelrohr. Bei dieser Technik nutzt man die Tatsache, dass sich gleichpolige Magneten abstoßen. Dieser so genannte Transversalfluss-Motor ist auch das Antriebsprinzip der Magnetschwebebahn Transrapid.
Ein solcher Antrieb ist so klein, dass man ihn dezent einbauen kann. Weil er nur 20 bis 60 Watt Leistung bringt, braucht er nur eine winzige Batterie, die nicht größer ist als die einer Spiegelreflexkamera. Aber es geht auch deutlich stärker. Eine deutsche Firma hat mit der Transversalfluss-Technik jüngst ein Testrad gebaut, dass seinen Fahrer auf unglaubliche 100 Stundenkilometer beschleunigte. Der 500-Wat- Motor benötigt allerdings eine große Spule, die man nicht komplett in einem üblichen Rennrad-Rahmen verstecken könnte.
Schon ein kleines Leistungsplus bringt Vorteile
Aber so viel Power braucht es bei einem Radrennen gar nicht. Auch ein geringes Leistungsplus ist im Spitzensport ungeheuer wertvoll. Am Ende einer Tour de France liegen zum Beispiel zwischen Platz eins und zehn oftmals weniger als 15 Minuten Zeitunterschied nach etwa 3500 Kilometern Rennen. Der ungarische Radtechniker Stefano Varjas will solche Antriebe, die etwa 60 Watt an zusätzlicher Leistung versprechen, auch schon an Profis verkauft haben.
Die freilich müssen dann schon zu den Topverdienern gehören, weil der von der Pulsuhr aus angesteuerte Antrieb bis zu 200 000 Euro kosten soll. Pro Rad wohlgemerkt. Eine Investition, die sich wirklich nur für potenzielle Toursieger auszahlen würde.
Bei der Tour de France will man jedenfalls trotzdem wachsam sein, um mögliches E-Doping bereits im Keim zu ersticken. Und so lassen die Veranstalter täglich bis zu 190 Velos kontrollieren – bisher jedoch ohne Ergebnis.
Viele Antriebsmöglichkeiten
Motoren Es gibt Antriebe die in den Naben des Vorder- oder Hinterrads untergebracht sind und direkt das Rad bewegen. Diese Nabenmotoren taugen aber nicht zur Manipulation im Rennsport, da man sie nicht optisch unauffällig einbauen kann. Für Betrüger eignen sich Antriebe, die im Rahme versteckt werden und direkt die Pedalachse unterstützen. Möglich sind auch elektromagnetische Antriebe des Hinterrads, wobei die Magnete unsichtbar in den Felgen verbaut werden.
Leistung Die gängigen Modelle für den Hobbyfahrer bringen um die 200 Watt. Das ist allerdings brutto. Pro Kilo, die das Antriebssystem wiegt, muss man sechs Watt abziehen, die es braucht, um das zusätzliche Gewicht zu bewegen. Da die Antriebe plus Batterie aber selten mehr als vier Kilo wiegen, hat das in der Praxis keinen großen Effekt. Die Antriebe, die man im Rennsport vermutet, sollen zwischen 60 und 300 Watt leisten können. Experte vermuten, dass hier eher kleinere und schwächere Motoren im Einsatz sind, da diese bei Kontrollen wesentlich schwieriger zu entdecken sind.
Kontrolle Aufspüren lässt sich ein illegaler Antrieb am sichersten, wenn man das Rad zerlegt und in die Hohlräume schaut. Wenn der Motor im Rennen läuft, erzeugt er Wärme, die man mit einer Wärmebildkamera sichtbar machen kann. Die Suche mit Röntgenstrahlen funktioniert dagegen auch bei ausgeschaltetem Motor.