Als junger Kerle ist Fred Glasbrenner vor 60 Jahren von Backnang bis nach Melbourne in Australien gefahren – mit dem Rad. Er ist Down Under hängen geblieben – und hat nie bereut, dass er Deutschland verlassen hat. Er kommt aber regelmäßig zu Besuch in die alte Heimat.
Backnang/Melbourne - Fred Glasbrenner und seine beiden Freunde Theo Gut und Ulrich Bauer sind am 20. Dezember 1955 in Backnang aufgebrochen – in Richtung Australien. Die drei jugendlichen Abenteurer aus Schwaben hatten jeder nur 60 D-Mark dabei, und sie saßen auf Dreigang-Rädern. Ob sie tatsächlich ankommen würden – und das auch noch pünktlich zur Eröffnung der Olympischen Spiele im Melbourne im November 1956 – wussten sie nicht. Sie wussten nur, dass sie ihre Idee umsetzen wollten, die viele als Schnapsidee abtaten.
Der damals 19-jährige Glasbrenner hätte sich an jenem winterlichen Tag im Jahr zehn nach dem Ende der Zweiten Kriegs wohl kaum träumen lassen, dass Australien seine neue Heimat werden würden. Aber genau so ist es gekommen. Und das alles nur, weil er noch nicht volljährig war – was damals erst mit 21 Jahren der Fall war – und er mit seinem Kumpel Theo deshalb keine Bratwürstchenbude in Backnang hatte eröffnen dürfen. Die kühne Alternative lautete: Radfahren bis nach Australien.
Zunächst hat er sich als Busfahrer durchgeschlagen
Glasbrenner ist jetzt 79 Jahre alt und immer noch fit wie der sprichwörtliche Turnschuh. Er lebt mit seiner Frau Zara, einer ehemaligen Profitänzerin, im südaustralischen Melbourne. Zunächst hatte er sich am anderen Ende der Erde als Busfahrer durchgeschlagen, als solcher auch seine künftige Gattin kennen und lieben gelernt. Später ist Glasbrenner dann mit dem Verkauf von Abalone – auch Seegurke genannt – zu Wohlstand gekommen. Die Delikatesse ist speziell in Asien gefragt und teuer. Die kleine Abalone-Fabrik haben die Glasbrenners vor ein paar Jahren verkauft, auch ihr Fischrestaurant in Melbourne haben sie abgegeben. Der 47-jährige Sohn David sei aber jetzt in das Abalone-Geschäft eingestiegen, sagt Fred Glasbrenner. Er berate den Filius gelegentlich.
Zara und Fred Glasbrenner jetten regelmäßig in die alte Heimat der einstigen Sportskanone, sie sponsern ein paar deutsche Radfahrer. Bei der bis dato letzten Stippvisite im Herbst diesen Jahres sitzt Glasbrenner in der guten Stube der Wohnung in Auenwald bei Backnang, die seiner verstorben Mutter gehört hat, und erzählt. Von früher und vom Leben heute in Australien. Und er sagt, was er über die Einwanderung in fremde Länder und über Flüchtlinge ganz generell denkt. Der grauhaarige Mann spricht immer noch Deutsch wie ein Einheimischer, nicht – wie so viele Auswanderer in angelsächsische Länder – mit gekünsteltem Englischakzent.
Mehrmals sagt er: „Ich habe es nie bereut“. Nie bereut, dass er sich 1955 auf den Sattel geschwungen hat und ziemlich genau elf Monate später angekommen und geblieben ist in Down Under. Deutschland, speziell die schwäbische Provinz, sei ihm damals viel zu eng gewesen. In Australien sei alles freier gewesen und größer. Dem jungen Fred, der in Deutschland Friedrich oder Fritz gerufen wurde, standen alle Türen offen. Und er habe nur 40 Stunden wöchentlich arbeiten müssen, statt 48, wie damals in Deutschland üblich.
„Australien braucht junge Leute“
Es sei für ihn kein größeres Problem gewesen, eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung für Australien zu bekommen. Die Männer des Immigrationsbüros hätten ihn damals nur gefragt, ob es ihm im Land gefalle. Als er bejahte, habe er die Genehmigung erhalten. Auch heute sei es für junge Männer und Frauen aus Europa nicht so schwierig ein Visum zu bekommen, zunächst für ein Jahr. Und wer gut arbeite, der sei auch für immer willkommen. „Australien braucht junge Leute“, sagt Glasbrenner. Dass Australien die Grenzen für Flüchtlinge weitgehend dicht gemacht hat, das findet der Auswanderer okay.
Während des kalten deutschen Winters sind die Glasbrenners nie zu Gast im Schwabenland. Sie bleiben lieber im sonnigen Melbourne. Im Juli 2016 indes will Fred Glasbrenner wieder nach Auenwald kommen und mit den alten Kumpels seinen 80. Geburtstag ganz groß feiern.
Rund 20 000 Kilometer auf dem Rad
Fred Glasbrenner, Theo Gut und Ulrich Bauer haben während ihrer Radtour von Backnang nach Melbourne rund 20 000 Kilometer zurückgelegt. Sie haben unter anderem diese Städte besucht: Istanbul, Ankara, Damaskus und Bagdad, Teheran, Neu-Delhi, Singapur, Djakarta, Darwin und Alice Springs.
Glasbrenner und seine beiden Backnanger Freunde haben mit ihrer langen Radtour vielerorts für großes Aufsehen gesorgt. Sie wurden von Staatsmännern empfangen, zum Beispiel vom Schah von Persien und dessen Frau Soraya und vom indischen Ministerpräsidenten Pandit Nehru. Zwei Tage vor der Eröffnung der Olympischen Spiele 1956 wurde das Trio aus Backnang vom Bürgermeister von Melbourne willkommen geheißen. Unzählige Zeitungen haben damals von den drei jungen Männern aus Deutschland berichtet. Fred Glasbrenner besitzt zig vergilbte Fotos und Zeitungsartikel.