Der städtische Fahrradbeauftragte Claus Köhnlein hört zum Ende des Jahres aus privaten Gründen auf. 15 Jahre hatte der heute 57-Jährige das Amt inne, einen Nachfolger soll es auf jeden Fall geben. Wo steht Stuttgart beim Radverkehr, was braucht es noch, um weiter voranzukommen? Eine Bilanz.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

Stuttgart -

 

Am Ende seiner Schulzeit war Claus Köhnlein ein Außenseiter. „Alle haben aufs Auto gesetzt“, erzählt der 57-Jährige heute schmunzelnd. „Ich wurde ausgelacht, weil ich immer mit dem Rad gefahren bin.“ Bis heute hat sich daran nichts geändert.

Längst ist er auch quasi hauptberuflich mit dem Rad unterwegs. Seit 15 Jahren ist Köhnlein städtischer Fahrradbeauftragter. Seit 30 Jahren arbeitet der studierte Geograf aus Stuttgart-Mühlhausen bei der Stadt, erst beim Amt für Umweltschutz, später wechselte er ins Stadtplanungsamt. Zum Ende des Jahres gibt Köhnlein nun sein Amt auf, verlässt auch die Stadt. „Viele glauben, ich habe keine Lust mehr“, erzählt er. Es seien „private Dinge“, die ihn zum Aufhören bewegt haben. Was er künftig tun wird? Die Antwort ist kaum überraschend: „Richtig gemütlich Radfahren“, sagt Köhnlein. Auch werde er sich weiter für den Radverkehr engagieren, als externer Berater allerdings.

Angefangen hat Köhnlein mit einem Etat von 100 000 DM

Seine erste Fahrraddemo hat Köhnlein als Student besucht. „Das reicht mir nicht“, habe er sich damals gedacht. 1992 habe er dann die Stelle als Radbeauftragter bekommen, für ihn ein Traumjob. „Ich wollte in der Stadt den Radverkehr sicherer und damit attraktiver machen.“

Wie ist es als Fahrradbeauftragter in einer Stadt zu arbeiten, in der die Menschen ihr Auto so sehr lieben, dass eine neue Fahrradstraße eine Flut an wütenden Zuschriften nach sich zieht? „Da war viel Grundlagenarbeit erforderlich im Haus und beim Gemeinderat“, sagt er und fügt hinzu: „Das hat lange gedauert“, sagt Köhnlein. Seine Mittel waren anfangs sehr begrenzt: 1,5 Stellen habe es für die Radförderung gegeben. Der Radetat: 100 000 DM. „Das hat gerade für ein paar Fahrradständer gereicht“, sagt Köhnlein. Zum Vergleich: Insgesamt stellt die Stadt bis Ende 2019 etwa 16 Millionen Euro für den Radverkehr zur Verfügung – inklusive Personal. Der Autoverkehr habe lange Vorrang gehabt, auch der öffentliche Nahverkehr. „Damit war der Platz in der Stadt verteilt.“ Das Problem war dann: Wo ist überhaupt Platz für die Radler? „Das geht nur auf Kosten anderer Verkehrsteilnehmer.“

Der Radverkehr hat eine immer größere Bedeutung

Das hat sich massiv gewandelt. Dieser Wandel hängt damit zusammen, dass der Radverkehr nun eine große Bedeutung hat. Immer mehr Menschen nutzen das Rad als Verkehrsmittel, haben oft gar kein Auto mehr. „An diese Menschen wurde lange ja gar nicht gedacht“, sagt Köhnlein. Dass es immer mehr werden, belegen Messungen, die die Stadt regelmäßig in Bad Cannstatt und in Heslach vornimmt.

Mit dem Budget, das er jetzt hat, könne er tatsächlich etwas anfangen. „Wir können jetzt Radwege bauen, haben einen Netzplan und die Hauptradrouten“, sagt Köhnlein. Die sind längst nicht alle fertig gebaut. „Die Umsetzung dauert Jahre.“

Seine Aufgabe sah er jahrelang hauptsächlich darin, die Verwaltung und die Politik davon zu überzeugen, was Radler brauchen. „Dieser Prozess klappt nun“, sagt Köhnlein. In den letzten Jahren ist aber nicht nur Radfahren immer beliebter geworden, ja, auch die Radlobby-Verbände wurden stärker. Die Fahrrad-Demo Critical Mass hat in Stuttgart die dritthöchste Teilnehmerzahl Deutschlands, seit knapp zwei Jahren gibt es das alternative Radforum Zweirat. Und, gerade haben Engagierte den Radentscheid auf den Weg gebracht. Das ist ein Zehn-Punkte-Plan, der den Radverkehr in Stuttgart sicherer machen soll. Die Mitglieder rund 35 000 Unterschriften gesammelt, die sie OB Fritz Kuhn vorgelegt haben. Auch der ADFC oder die Radabteilung der Naturfreunde sind sehr engagiert, versuchen ihre Forderungen politisch durchzusetzen. Die Zusammenarbeit mit diesen bezeichnet Köhnlein als „sehr intensiv“. „Ich nehme alle Punkte ernst, aber zum Teil widersprechen sich die Forderungen auch.“

Seine Bilanz? „Klar ist Stuttgart noch kein Fahrradparadies.“ Als er angefangen habe, habe er davon geträumt, dass manches schneller geht. Einer seiner Wünsche: Dass alle Autofahren, wo es eben geht, komplett vermeiden. „Aber ich weiß, dass Stuttgart auf dem richtigen Weg ist.“

Stuttgart ist noch kein „Fahrradparadies“

Fragt man bei einigen Fahrradlobbyisten nach, hört sich so manches anders an. Köhnlein wird da eine gewisse Behäbigkeit nachgesagt. Er sei einer, der Dinge eher gemächlich angehe. Der Initiator und Sprecher des Radentscheids, Thijs Lucas, wünscht sich zum Beispiel künftig deutliche Verbesserungen: „Von dem Nachfolger wünschen wir uns, dass er all die Initiativen viel stärker einbezieht“, sagt Lucas. „Der neue Beauftragte kann sich doch so viel stärkeren Rückenwind aus der Bevölkerung holen.“ Die Kommunikation sei oft nicht gut gewesen. Der städtische Fahrradbeauftragte solle eben nicht nur ein Bindeglied zu Politik und Verwaltung sein, sondern auch zu den Bürgern. Dennoch habe Köhnlein seinen Respekt: „Er hat immerhin über 20 Jahre durchgehalten – und dass obwohl er lange Zeit allein war.“ Mehr Personal, mehr Geld für den Radverkehr, das brauche aber auch der nächste Radbeauftragte. „Sonst kann auch der nichts bewegen“, sagt Lucas. Die Stadt hat die Stelle bereits vergeben, den Namen aber noch nicht mitgeteilt.