Alt und arm: Warum Ali Abderrahman Ali aus Kornwestheim nach 30 Jahren seine Wohnung verloren hat. Und warum es schwierig ist, eine neue zu finden.

Kornwestheim - Ich schwöre bei Gott, ich habe nichts getan“, hat er zu seiner Tochter gesagt. Ein tadelloses Leben hat er geführt, sich nichts zu Schulden kommen lassen. Er hat sein eigenes Geld verdient, dem Staat nicht auf der Tasche gelegen. Er hat seine Miete immer gezahlt – und nun haust der 80 Jahre alte Ali Abderrahman Ali in der Kornwestheimer Obdachlosenunterkunft an der Aldinger Straße. Es ist gekommen, wie es nicht hätte kommen sollen.

 

Ach, hätte er nur was getan, ist man geneigt zu sagen – in eigener Sache wenigstens. Hätte er sich gewehrt, hätte er sich rechtzeitig um einen Rechtsanwalt gekümmert. Aber er hat’s nicht getan, weil er den Ernst der Lage nicht umrissen hat. Er hat wichtige Termine verstreichen lassen, er hat auf Behördenschreiben nicht reagiert. Und so stand am 24. Juli der Gerichtsvollzieher vor seiner Tür. In Begleitung der Polizei hat er mit ein paar Habseligkeiten in die Aldinger Straße umziehen müssen – in die Häuser, die in wenigen Wochen abgerissen werden sollen, weil sie untragbar geworden sind für die Unterbringung von Menschen, die ihr Heim verloren haben.

Er hätte sich wehren sollen

Über 30 Jahre hat der gebürtige Marokkaner im Haus in der Weimarstraße gelebt. Vor einiger Zeit ist es an die Firma Pflugfelder verkauft worden. Sie will das Gebäude abreißen, um zwei Mehrfamilienhäuser mit 15 Wohnungen und Tiefgarage zu errichten. Über eine Baugenehmigung verfügt das Ludwigsburger Unternehmen bereits. Günstiger Wohnraum verschwindet zugunsten von neuen, teuren Wohnungen – eine Entwicklung, wie sie vielerorts zu beobachten ist und die, wie im Fall von Ali Abderrahman Ali, dazu führt, dass alte Bäume doch verpflanzt werden.

Vor Gericht, mutmaßt Rechtsanwalt Hasan Kayikci, der die Interessen jener Familie vertritt, die noch in dem Haus in der Weimarstraße lebt, hätte Ali Abderrahman Ali vermutlich gute Karten gehabt – zumindest um Geld für einen Umzug oder einen finanziellen Ausgleich zu bekommen. Aber der 80-Jährige hat nicht verstanden, um was es geht, und er hat sich nicht darum gekümmert. Ein Versäumnisurteil ist gegen ihn ergangen, weil er auf Schreiben einfach nicht reagierte. Er sei dann, sagt der Anwalt, „wie ein räudiger Hund“ auf die Straße gesetzt worden. Die Stadt Kornwestheim hatte ihn über das drohende Schicksal in Kenntnis gesetzt: „Sehr geehrter Herr Ali“, heißt es in einem Schreiben, „Sie werden am 24.07.2018 obdachlos.“

„Mein Vater“, so Tochter Zineb Veledar, die in Bosnien-Herzegowina lebt und von dem Drama, das sich in Kornwestheim abzeichnete, zunächst nichts mitbekommen hatte, „ist psychisch angeschlagen. Er lebt in seiner eigenen Welt.“ Die 60-Jährige ist mittlerweile nach Deutschland gekommen und hat sich des Falls angenommen. Sie schläft auf einer Matratze auf dem Boden in der Obdachlosenunterkunft und ist entsetzt. „Es ist dreckig dort“, schildert sie ihre Eindrücke. Ihr Vater höre schlecht und sei der deutschen Sprache kaum mächtig, berichtet Zineb Veledar. Lächelnd, so ist ihr erzählt worden, habe er das Haus an jenem 24. Juli verlassen. Er musste, obgleich noch sein Hab und Gut in der Wohnung war, die Schlüssel abgeben.

Die Polizei beendet die Besetzung

Jüngst kehrte Ali Abderrahman Ali mit seiner Tochter noch einmal in die Wohnung zurück. Zineb Veledar hatte mit der Firma Pflugfelder einen Termin vereinbart, um wichtige Unterlagen aus der Wohnung zu holen. Als sie sie am Abend wieder verlassen sollten, weigerten sie sich. Der 80-Jährige habe das Recht habe, dort zu wohnen – meinten beide. Pflugfelder schaltete die Polizei ein, die den 80-Jährigen ein zweites Mal aus der Wohnung begleitete.

Pflugfelder, das sei nicht verschwiegen, bot dem 80-Jährigen auch eine Wohnung an. Das 37 Quadratmeter große Appartement im Souterrain eines Mehrfamilienhauses in Freiberg sollte nach Angaben der Tochter rund 500 Euro kosten – ein Betrag, den sich der 80-Jährige nicht leisten kann. Und ins Untergeschoss, sagt Zineb Veledar, habe sie ihren Vater auch nicht abschieben wollen. Sie sucht eine andere Wohnung für ihn. Vielleicht klappt es in Mainz, in der Nähe von Bekannten.

Ihren Vater zu überzeugen, Kornwestheim zu verlassen, werde nicht leicht, sagt Zineb Veledar. Aber die 60-Jährige sieht keine andere Lösung. In der Region Stuttgart eine für ihn bezahlbare Wohnung zu finden, sei nahezu unmöglich. In Kornwestheim müsste er nach dem Abriss der Obdachlosenunterkunft umziehen, wahrscheinlich in Container, die die Stadt auf dem früheren Festplatz aufgestellt hat. Das will die Tochter ihrem Vater ersparen. So soll sein Lebensabend nicht aussehen.