Protest mit Strahlkraft oder ein „falsches Symbol“? So hat die Weil der Städter Ortsgruppe von Fridays for Future die Diskussion um das Dorf Lützerath wahrgenommen.

Einst lebten dort 100 Menschen, in den vergangenen Jahren: niemand mehr. Das Dorf Lützerath, bis vor Kurzem noch eine kleine Ansammlung weniger Häuser in Nordrhein-Westfalen, hat in den vergangenen Wochen einen für seine Größe überproportionalen Ruhm erlangt. Für die einen ist Lützerath, kurz „Lützi“, zum Symbol des Widerstands gegen den Kohleabbau geworden, für andere ein Beispiel fehlplatzierten Protests.

 

Auch in Weil der Stadt verfolgte man die Demonstrationen gebannt – welche Beobachtungen sie gemacht haben und was sie von den Protesten halten, berichten Fernando Cincotta und Antonia Grimm von der Weil der Städter Ortsgruppe von Fridays for Future.

Das Dorf Lützerath ist geräumt. Ist das eine Niederlage für die Klimabewegung?

Fernando: Nein. Natürlich ist es frustrierend, dass dieses Dort nicht mehr existiert. Aber die Kohle ist noch unter der Erde, der Protest kann noch weitergehen. Außerdem war das Dorf über Jahre hinweg besetzt, da ist viel Austausch passiert, viele Menschen haben sich vernetzt und sind zusammengekommen. Wir haben als Klimagerechtigkeitsbewegung also auch viel erreicht.

Wie wichtig war es für euch, dass Lützerath in den vergangenen Tagen und Wochen so intensiv diskutiert wurde?

Antonia: Sehr wichtig, würde ich sagen. Weil überall berichtet worden ist, wurde das Thema wieder ins Gedächtnis der Menschen geholt. In den letzten Monaten war das ziemlich in den Hintergrund gerückt.

Fernando: Toll war auch, dass es viele internationale Berichte gab. Das hat ein enormes Signal gesendet und Druck ausgeübt. Deutschland ist eines der Länder, die hauptverantwortlich für die Klimakrise sind. Das hat jetzt allen gezeigt: Schaut mal hin, was hier im Land passiert.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat die Lützerath-Proteste kürzlich als „falsches Symbol“ bezeichnet.

Fernando: Ich finde das schwierig. Die Kohle unter Lützerath darf nicht verstromt werden, wenn wir Klimagerechtigkeit anstreben und wenn Deutschland die selbstgesetzten Ziele des Pariser Klimaabkommens einhalten will. Auch wenn in Lützerath keine ursprünglichen Bewohnerinnen und Bewohner mehr lebten, ist es aus solidarischer Perspektive wichtig und notwendig, dort zu demonstrieren. Auch in anderen, teils restriktiven, Ländern gibt es fossile Projekte, an denen vor allem Konzerne aus dem globalen Norden beteiligt sind, wegen denen Dörfer geräumt und Lebensgrundlagen zerstört werden. Zudem muss die Klimabewegung weiterhin laut sein und mediale Aufmerksamkeit erreichen, um der breiten Masse die Brisanz der Klimakrise aufzuzeigen.

Wie hat es sich angefühlt, die Proteste aus der Ferne zu verfolgen?

Antonia: Ich fand es bewegend, dass immer noch so viele kämpfen, auch nach dieser langen Zeit. Wir wären beide gerne dabei gewesen. Fernando: Für mich war es irgendwie komisch. Diese Berichte zu sehen, über rund 30 000 Menschen, die zusammen für Klimagerechtigkeit eingestanden sind, das war schön. Gleichzeitig waren die Bilder der Polizeigewalt auch schockierend.

Nicht nur die Diskussion um Ausschreitungen in Lützerath hat das Thema Klima in letzter Zeit überschattet. Immer wieder debattiert wurden auch die Proteste der Letzten Generation, die sich an Straßen festkleben und Bilder beschmieren. Ist das sinnvoll für die Klimabewegung?

Antonia: Wir als Ortsgruppe distanzieren uns da eher. Wir protestieren, aber lieber anders. Fernando: Ich habe oft das Gefühl, bei diesen Diskussionen wird nur über die Radikalität der Protestaktionen gesprochen und nicht mehr über das Thema, um das es geht, nämlich die Klimakrise. Man muss sich damit beschäftigen, wie verheerend diese Krise ist und wie viele Menschen bereits jetzt darunter leiden. Die Situation ist schlimm und wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten nur noch schlimmer. Wenn man sich anschaut, wie drastisch das Problem ist, wirkt der Protest der Letzten Generation schon nicht mehr so radikal.

2023 hatte einen holprigen Start in Sachen Klima. Was ist für das kommende Jahr jetzt wichtig?

Fernando: Dass wir Klimaschutz und Soziales noch mehr zusammendenken. Davon versteht die Klimabewegung immer mehr. Inzwischen orientieren wir uns am Konzept Klimagerechtigkeit, denken auch Themen wie Feminismus, Rassismus oder Queerfeindlichkeit mit. Ein Beispiel sind Tarifverhandlungen im öffentlichen Nahverkehr. Nur, wenn die Mitarbeiter dort besser bezahlt werden, können wir den ÖPNV stärken.

Antonia: Ich finde es wichtig, nicht aufzugeben. Es sieht zurzeit nicht so gut aus, aber wir müssen weitermachen und darauf aufmerksam machen, dass das Thema immer noch existiert.

Was steht 2023 für die Ortsgruppe Weil der Stadt an?

Antonia: Wir waren in unserer Ortsgruppe noch nie besonders viele, jetzt haben aber einige Abitur gemacht und sind weggezogen. Bekommen wir nicht bald neuen Zuwachs, können wir in Zukunft nicht mehr so viel auf die Beine stellen. Aber am 3. März planen wir auf jeden Fall eine Aktion. Dann ist globaler Klimastreik.

Fridays for Future Weil der Stadt

Klima-Aktivisten
 Antonia, 15 Jahre, und Fernando, 21 Jahre, sind beide in der Ortsgruppe von Fridays for Future in Weil der Stadt aktiv. Für ein Studium ist Fernando inzwischen weggezogen, bleibt der Ortsgruppe aber treu. „Es ist ein Herzensprojekt. Ich versuche, wenn irgendwie möglich, mitzumachen.“ Antonia engagiert sich in Sachen Klima weiterhin vor Ort. 

Druck vor Ort
 Seit 2019 organisieren die Mitglieder der Weiler Ortsgruppe von Fridays for Future Demonstrationen, Protestaktionen und Fahrradtouren im Zeichen des Klimaschutzes. 2021 überreichten die Aktivisten dem Bürgermeister Christian Walter außerdem einen ausführlichen Forderungskatalog für mehr Klimagerechtigkeit in Weil der Stadt.