Wie der RAF-Terror der siebziger Jahre das geistige Klima prägte, zeigt an diesem Dienstag die Arte-Doku von Felix Moeller. Als Zeitzeugen ruft er seine prominenten Eltern auf.

Stuttgart - Wer das Bild des Leichnams von Holger Meins einmal gesehen hat, wird es nicht mehr los. Der RAF-Terrorist und frühere Filmemacher hatte sich 1974 im Strafvollzug zu Tode gehungert. Trotz staatlich angeordneter Zwangsernährung brachte Meins’ Körper am Ende nur noch 39 Kilogramm auf die Waage, bei einer Größe von 1,83 Meter. Ein zutiefst erschütternder Anblick, der Menschen gegen die Staatsmacht aufbringen konnte, weil die ein solches Sterben in einer ihrer Haftanstalten zugelassen hatte. Christof Wackernagel, Schauspieler und früher selbst RAF-Terrorist, versteht Holger Meins Tod als geschickte Propaganda für die Sache der RAF, als wohl überlegtes Opfer des damals 33-Jährigen.

 

Man weiß heute, dass es tatsächlich ein erklärtes Ziel der RAF war, die Vertreter des sogenannten Schweinestaats mit besonderen Mitteln zum Äußersten zu reizen, sie zu verleiten, die Normen des Rechtsstaats aufzugeben, um sie so als Faschisten bloßzustellen. Das ist eine der Sichtweisen der komplexen Gemengelage in der Bundesrepublik der siebziger Jahre.

Westernhagen grüßt die Genossen

Die Dokumentation „Sympathisanten – Unser deutscher Herbst“, die an diesem Dienstag, 22.05 Uhr, bei Arte und am Mittwoch, 22.45 Uhr, in der ARD ausgestrahlt wird, eröffnet aber noch andere Perspektiven auf diese heißen Jahre, die 1977 in der Ermordung des Arbeitgeber-Präsidenten Hanns Martin Schleyer sowie in der Geiselnahme des Flugzeugs Landshut kulminierten. So war Schleyer eben nicht nur Opfer, sondern in einer früheren Karriere auch SS-Untersturmführer, ab 1943 in Prag zuständig für die sogenannte Arisierung der tschechischen Wirtschaft – und somit mitschuldig an den oft ungesühnten Verbrechen der Nazis, welche die erste Generation der RAF angeblich noch ans Licht der Öffentlichkeit zerren wollten. Anhand der eigenen Familiengeschichte will nun der Historiker und Dokumentarist Felix Moeller den Zwiespalt aufzeigen, in dem sich viele Deutsche zur Hochphase des linken Terrors befanden.

Moeller ist der Sohn der Filmemacherin Margarethe von Trotta und das Stiefkind von Volker Schlöndorff. Weil die beiden 1975 Heinrich Bölls medien- und sozialkritische Erzählung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ mit deutlichen Bezügen zum Zeitgeschehen um die RAF verfilmten, bindet Moeller auch Bölls Sohn René in seinen Film ein, ebenso wie den Sänger und Schauspieler Marius Müller-Westernhagen, der 1978 in von Trottas „Das zweite Erwachen der Christa Klages“ mitspielt und im selben Jahr den Protestsong „Grüß mir die Genossen“ dichtet. Daneben taucht noch der Schriftsteller Peter Schneider auf, der für Trotta einige Drehbücher geschrieben hat.

Als Linke stuften sich damals alle ein, wie die vielen Tagebuchzitate belegen, die Moeller von seiner Mutter und seinem Stiefvater vortragen lässt. Ob Volker Schlöndorff wirklich ein überzeugter Unterstützter der linksextremistischen Szene war, wie es ihm von Seiten der CDU/CSU und des Axel- Springer-Verlags vorgeworfen wurde, bleibt uneindeutig. Moeller erlaubt sich den Scherz und deckt auf, dass sein Stiefvater seit den siebziger Jahren Taschenkalender der Luxusmarke Hèrmes nutzt. Das erste habe ihm „der Louis“ geschenkt, nuschelt Schlöndorff entschuldigend, und meint damit Louis Malle, den berühmten Kollegen aus Frankreich, der ab Mitte der Fünfziger das konservative französische Kino revolutionierte.

Die ewige Stammheim-Frage: Mord oder Suizid?

Abseits der persönlichen Gespräche mit seinen Eltern und den ihnen nahestehenden Zeitzeugen konsultiert Moeller historisches Filmmaterial. Zu Beginn lässt er Helmut Schmidt zu Wort kommen, der die „moralische Isolierung“ der Terroristen fordert, dazu die „moralische Ernüchterung der Sympathisanten“. Der zornige, erschreckend müde wirkende Heinrich Böll hält dagegen, das Wort „Sympathisant“ sei eine Erfindung der Presse.

Moeller will verstehen, wie seine Eltern und deren Kollegen tatsächlich zum linken Terror standen und fragt seine Mutter, wer ihr damals einen konspirativen Koffer zum Verstecken gab, doch von Trotta hält dicht. Ein bisschen Stolz schwingt in ihrer Weigerung mit. Reflektierter und mit Abstand schildern der frühere Studentenführer Daniel Cohn-Bendit sowie die Ex-Terroristen Karl-Heinz Dellwo und Christof Wackernagel ihre Sicht der Dinge. Zusammen mit Schlöndorff wirken sie ernüchterter – und interessant wird es besonders, als Letzterer die Hintergründe seines Engagements für Angela Merkel erläutert oder wenn Moeller dem Schriftsteller Peter Schneider ein Zitat aus den Aufzeichnungen seiner Mutter vorhält. Schneider, so schrieb Trotta, habe die Stammheim-Suizide als Morde eingestuft – was der zuvor noch verneint hatte.

Doch weil der Filmemacher letztlich in der Position des Sohnes verbleibt, traut er sich nicht, historische Fakten und persönliche Ansichten selbst kritisch einzuordnen. Alle Fäden der Erzählung bilden bald ein dichtes Knäuel. Es zu entwirren, wäre jedoch Moellers Aufgabe gewesen.