Die Stuttgarter Rampe hat sich die deutschen Erstaufführungsrechte gesichert und bringt Rafael Spregelburds irrwitzigen Monolog „Spam“ auf die Bühne.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Von wegen, das Internet vergisst nichts! Als Mario aufwacht, ist alles weg: Sämtliche Erinnerungen in seinem Kopf sind ausgelöscht wie Daten auf der Festplatte. Er muss „fürchterlich eins gegen den Schädel bekommen haben“. Jetzt sitzt er auf Malta und weiß nicht, warum er im Smoking am Strand Puppen verkauft hat und im Hotel Caravaggio wohnt – mit nicht mehr im Gepäck als Ausweis und Laptop. In dem Theaterstück „Spam“ beginnt sich der Mann ohne Gedächtnis im Internet auf Spurensuche, aber statt auf seinen virtuellen Fußabdruck zu stoßen, trudeln ständig Mails ein: „Vergrößern Sie Ihren Penis!“ – „Schreibt mir sonst niemand?“, fragt sich der verwirrte Mario konsterniert, „oder habe ich das andere alles absichtlich gelöscht?“

 

Die Stuttgarter Rampe hat sich die Rechte an der deutschen Erstaufführung gesichert und nun mit Unterstützung des Landes „Spam“ auf die Bühne gebracht, einen Monolog des erfolgreichen argentinischen Dramatikers Rafael Spregelburd, der auch hierzulande ein gern gespielter Autor ist. Bei „Spam“ versucht er, die Auswüchse der virtuellen Welt auf das Theater zu übertragen und surft durch einen aberwitzigen Plot, der sich wie beim Googlen immer wieder in Seitensträngen verliert. Mal landet der Dramatiker bei James Bond und „Dr. No“, mal bei Caravaggio. Andere Exkurse führen ihn zu linguistischen Vorlesungen über die Sprache der Eskimos oder ins Spielzeuggeschäft zu Puppen, die sprechen können. Spregelburd hat all die diversen Stränge in 31 Szenen aufbereitet und – angeblich – in eine willkürliche Reihenfolge gebracht.

Die Sprache der Eskimos

In der Rampe wird die Nummer der jeweiligen Szene an die Wand projiziert. Wie bei einem Puzzle ergeben die Handlungsstränge allmählich ein Gesamtbild von einem Mann, der im Internet an die Millionen einer jungen Frau aus Kuala Lumpur gekommen ist und mit dem virtuellen Vermögen nach Malta flüchtet, getrieben von der malaiischen Mafia. Doch die krude Gangsterstory wird zugleich konterkariert, denn eigentlich ist Mario ja Professor für Linguistik und hat ein Werk über die Sprache der Eskimos verfasst. Nun ja, nicht ganz: die Studie beruht auf Forschungen seiner Studentin, die er kurzerhand geklaut hat. Copy and paste!

Die Rampe-Intendantin Marie Bues persönlich hat „Spam“ inszeniert und versucht, den textgewaltigen Monolog kurzweilig zu illustrieren. Da werden Katzenvideos eingeblendet oder Passagen live aufgezeichnet und übertragen. Einzelne Szenen werden auch per Greenscreen in projizierte Fotos montiert, als läge Mario gerade auf einem Handtuch am Meer oder schlürfe an der Strandbar einen Drink.

Der Autor ist ein Algorithmus

Niko Eleftheriadis beeindruckt als hochstaplerischer Mario allein deshalb, weil er die gigantischen Textmassen souverän meistert und spielfreudig mit dem Sprachmaterial hantiert. Er singt und parodiert auch, doch manchmal hätte die Regie ihm etwas weniger Freiheiten lassen, die sich verselbstständigenden Szenen raffen und mehr auf den Spregelburd-Text konzentrieren sollen. Melina von Gagern hat dabei die etwas undankbare Aufgabe, immer bei Bedarf parat zu stehen und die wechselnden Dialogpartner darzustellen, etwa einen Taucher aus der Schweiz oder ebenjene Studentin, der Mario die Forschungsergebnisse gestohlen hat.

Am Ende dieses kurzweiligen Abends reibt man sich verwundert die Augen, wie alles mit jedem in diesem erzählerischen Dickicht verwoben worden ist. Allzu genau sollte man freilich nicht nachfragen, ob die Story logisch konstruiert ist oder womöglich doch per Algorithmus erzeugt wurde. Auf jeden Fall treibt das Google-Übersetzungsprogramm sonderliche Blüten und liefert Spregelburd herrlichen Unsinn wie: „Vielleicht wir können kooperieren zu gegenseitiges Krankengeld der zwei.“