Raffaela Romagnolos lesenswertes „Bella Ciao“ schwimmt erkennbar auf der Welle von Elena Ferrantes Freundin-Tetralogie, hat aber seinen ganz eigenen Reiz.

Nachrichtenzentrale : Lukas Jenkner (loj)

Stuttgart - Es beginnt mit einem Wiedersehen. Die Italoamerikanerin Guilia Masca kehrt 1946 in ihr Heimatstädtchen im vom Krieg verwüsteten Piemont zurück. Der Besuch gerät melancholisch, denn vor fast 50 Jahren war Giulia aus der Kleinstadt Borgo di Dentro geflohen, nachdem sie von ihrer langjährigen Herzensfreundin Anita hintergegangen worden war.

 

Der Leser weiß, Anita hat lange gegen die Liebe zu Giulias Verlobtem Pietro gekämpft. Doch Giulias Enttäuschung ist grenzenlos, sie macht sich aus Verzweiflung auf ins ferne Amerika. Nun kehrt sie als Witwe eines erfolgreichen Geschäftsmannes zurück, um ihrer einstigen Nebenbuhlerin vor die Augen zu treten.

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Was zunächst nach einem melodramatischen Liebesroman klingt, gerät unter Raffaela Romagnolos gekonnter Erzählkunst zu einem faszinierenden Epos italienisch-amerikanischer Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die war bekanntlich geschüttelt von Kriegen und Faschismus, was auch das Leben mehrerer Familien im Piemont wild durcheinander wirbelt.

Ein Panorama italoamerikanischer Geschichte

Gelegentlich beschleicht den Vielleser ja das Gefühl, dass alle Geschichten früher oder später einmal aufgeschrieben worden sind. Mit „Bella Ciao“ geht es nicht anders: Manche mögen sich an Elena Ferrantes neapolitanisches Epos um die Freundinnen Lila und Elena erinnert fühlen, anderen ist das Schicksal europäischer Auswanderer in den USA bereits in Frank McCourts „Die Asche meiner Mutter“ unter die Haut gegangen.

„Bella Ciao“ entwickelt gleichwohl seinen ganz eigenen Charme. Dem Leser stehen angesichts von Armut und sozialer Verwerfung im Italien um die Jahrhundertwende die Haare zu Berge, er fürchtet mit den Müttern und Frauen von Borgo di Dentro um das Schicksal der in den Krieg eingezogenen Söhne und Ehemänner. Daheim tummeln sich Linke, Faschisten, Kriegsgewinnler und Hinterbliebene im allmählich in den Abgrund rutschenden Italien Mussolinis. Es sterben viele Menschen, viel zu viele, denkt der Leser bisweilen.

Ein wundervolles erzählerisches Konstrukt

Trotzdem bleibt die Stimmung bei aller Dramatik meist heiter-melancholisch. Wer die Filme von Giuseppe Tornatore kennt (Cinema Paradiso, Der Zauber von Malèna), hat eine ganz gute Vorstellung von der Atmosphäre, die Romagnolo erzeugt.

Ihre Geschichte, in der auch viel reale Geschichte steckt, erzählt Romagnolo in einem wunderbaren Fluss, der oft ganz unmerklich zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart des Sommers 1946 changiert. Und ganz am Ende, als die einstigen Freundinnen Giulia und Anita vor der Begegnung ihres Lebens stehen, merkt der Leser endgültig, was für ein wundervolles erzählerisches Konstrukt der italienischen Autorin da gelungen ist.

Raffaella Romagnolo: Bella Ciao. Übersetzt von Maja Pflug. Diogenes Verlag Zürich, 517 Seiten, 24,70 Euro.