FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle spricht im StZ-Interview über heikle Rüstungsentscheidungen, Ratingagenturen und Steuersenkungen.

Stuttgart - Der FDP-Fraktionschef geht hart ins Gericht mit den Agenturen Standard & Poor's, Moody's und Fitch, die in den vergangenen Tagen Portugal und Griechenland zum Teil weiter abgewertet haben. Sie sollen, so Brüderle, für die unübersehbaren Folgen ihrer möglichen Fehlurteile künftig auch haften.

 

Herr Brüderle, ist es angemessen, dass heikle Rüstungsentscheidungen wie der Panzerdeal mit Saudi-Arabien derart im Geheimen abgewickelt werden?

Ich glaube, dass es im Grundsatz richtig ist, derart sensible Fragen in einer vertrauensvollen, vertraulichen Atmosphäre zu behandeln. An dem bewährten Verfahren haben alle Vorgängerregierungen festgehalten - auch Rot-Grün. Ich war während meiner Zeit als Wirtschaftsminister auch Mitglied des Bundessicherheitsrats. Deshalb weiß ich, dass solche Entscheidungen nicht leichtfertig getroffen werden.

Außenminister Westerwelle betont die Werteorientierung der Außenpolitik. Saudi-Arabien half, den Volksaufstand in Bahrain niederzuschlagen und erhält Panzer aus Deutschland. Wie passt das zusammen?

Weder Sie noch ich waren bei den Gesprächen im Bundessicherheitsrat dabei, deshalb können wir die Abwägung nicht bewerten. Es gibt aber möglicherweise Überlegungen, die eine solche Entscheidung rechtfertigen. Ein Faktor ist für deutsche Außenpolitik immer bestimmend und leitend, und das ist die Sicherheit für Israel. Da hat sich bisher jede Regierung vor sensiblen Entscheidungen ausreichend Gedanken gemacht. Das ist bei dieser sicher nicht anders.

Bleiben wir, im weitesten Sinne, bei der Außenpolitik. Ratingagenturen stürzen Griechenland und Portugal in Not. Handeln sie verantwortungsvoll?

Ich bin schon seit Langem der Meinung, dass das enge Angebot von nur drei Ratingagenturen - zwei amerikanische, eine kanadische Firma - zu wenig ist. Wir brauchen dringend eine europäische Ratingagentur. Die Staaten sollten diese aber nicht selbst aufbauen, weil sie im Verdacht stünden, eigene Interessen durchzusetzen. Also müsste man sie privat organisieren, etwa durch ein Stiftungsmodell. Ich habe auch schon mit dem Gedanken gespielt, sie bei der EZB anzusiedeln. In jedem Fall kostet das viel Geld, weil man weltweit Experten vorhalten muss. Aber trotzdem müssen wir da weiterkommen.

Haben die Agenturen nicht schlicht recht?

Ratingagenturen haben nicht per se recht. Ich sehe sehr wohl, dass Portugal sich auf einen anspruchsvollen Weg begeben hat. Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, dass drei nordamerikanische Agenturen europäische Staaten beurteilen. Dieses Monopol hat sich in der Finanzmarktkrise ganz und gar nicht bewährt. Anfangs hoch bewertete Papiere waren am Ende Schrott.

Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie für die Beteiligung privater Gläubiger? Muss die Koalition den Gedanken fallen lassen, weil die Ratingagenturen drohen, dies als Zahlungsausfall und damit letztlich als Staatspleite zu bewerten?

Die Ratingagenturen vertreten eine Meinung, politisch bindend ist diese nicht, Regierungen entscheiden eigenständig. Ich halte es für richtig, dass diejenigen, die risikobehaftete und deshalb hochverzinste Papiere kaufen, auch das Risiko mittragen und nicht nur der Steuerzahler. Mir ist da völlig egal, ob die Ratingagenturen dafür oder dagegen sind. Von den privaten Gläubigern ist ja auch mit 3,2 Milliarden Euro schon ein Beitrag versprochen worden - ein Schritt in die richtige Richtung. Es muss der Grundsatz gelten, für Entscheidungen auch zu haften. Wenn das eine Ratingagentur anders sieht, ist das eine interessante Meinung. Sie kann damit aber weder das Europäische Parlament noch die frei gewählten Parlamente der europäischen Partnerländer binden.

Brüderle zum Thema Steuersenkungen

Sie sagten, 3,2 Milliarden Euro seien ein Schritt in die richtige Richtung. Heißt das, Sie erwarten mehr?

Mehr wäre besser.

Was sagt es aus über Ihre Glaubwürdigkeit, wenn die Märkte den Ratingagenturen mehr trauen als der Politik?

Dass die Politik noch besser für ihre Positionen werben muss. Mich ärgert übrigens, dass die Ratingagenturen keine Haftung für ihre Einschätzungen übernehmen. Diejenigen, die mit ihrem Urteil derart gravierende weltweite Auswirkungen zu verantworten haben, müssen für das, was sie erklären, ein Stück weit haften. Politiker werden abgewählt, wenn sie versagen. Ratingagenturen haben in der Finanzkrise gewaltige Fehler gemacht, ohne irgendwelche Konsequenzen. Die Folgen zahlen die Steuerzahler. Das ist nicht in Ordnung.

Ein weiteres Thema sind Steuersenkungen. Der Bund macht Jahr für Jahr neue Schulden in Milliardenhöhe. Jetzt versprechen Sie, Steuern zu senken. Wie soll das gehen?

Es geht um Steuergerechtigkeit. Wir haben eine ungewöhnlich gute Wirtschaftsentwicklung, haben Vollbeschäftigung in Sichtweite, werden darum weltweit beneidet. Und der Aufschwung wird weitergehen. Die Früchte ernten aber nur die Unternehmen und die Finanzminister. Die FDP ist der Meinung, dass die Bürger auch etwas davon haben sollen. Wir reden da nicht von Spitzenverdienern, sondern von kleinen und mittleren Einkommen. Und ich bin mal gespannt, wie die SPD einem Monteur bei Bosch oder einem Arbeiter bei Daimler oder der Krankenschwester an der Uniklinik erklärt, dass sie wegen der kalten Progression nichts von ihren Lohnerhöhungen übrig haben sollen. Die Finanzminister wiederum haben noch nie so viel Geld eingenommen, wie heute. Bevor wir den Menschen den Lohn ihrer Arbeit verwehren, sollten wir beim intelligenten Sparen noch ehrgeiziger sein.

Ihre Sparbemühungen sind ungenügend?

Wir werden weitere Anstrengungen machen müssen. Ich habe schon einmal eine Schuldenbremse bei der Bundesagentur für Arbeit gefordert. Es kann doch nicht sein, dass fünf Millionen Arbeitslose von 90000 Beschäftigten betreut wurden und wir heute bei weniger als drei Millionen Arbeitslosen 115.000 Beschäftigte zählen. Wir müssen auch die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zurückfahren.

Sie wollen Sozialbeiträge senken. Vereinbart ist in der Koalition 2013, FDP-Chef Rösler sagt: 2012. Warum prescht Rösler vor?

Wir wollen alle Entlastungsmöglichkeiten nutzen. Ich stimme Philipp Rösler zu: Bei den Rentenbeiträgen entwickeln sich Spielräume für Senkungen. Über Zeitpunkt und Volumen von Beitragssenkungen werden wir uns mit der Union verständigen.

Vielseitig verwendbar

Rainer Brüderle: Der 66-Jährige ist in seinem Politikerleben schon vieles gewesen: elf Jahre Wirtschaftsminister in Rheinland-Pfalz, 28 Jahre Parteichef seines Landesverbandes, bis Mai Wirtschaftsminister im Bund.

Fraktionschef: Nach den Wahlniederlagen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg kämpfte Brüderle mit der neuen Führungsgarde der FDP um sein politisches Überleben. Am Ende gelang es ihm als Fraktionsvorsitzender weiter im Geschäft zu bleiben. Für ihn musste Birgit Homburger weichen.