Er hat die Talfahrt der Stuttgarter Kickers bis in die Oberliga in letzter Konsequenz zu verantworten. Warum Rainer Lorz, entgegen seiner ursprünglichen Absicht, dennoch als Präsident weitermachen will und was der mit den Blauen künftig vor hat, erklärt der 55-Jährige im Interview.

Stuttgart - Erst kommt es an diesem Samstag (14 Uhr/Gazistadion) zum Schlagerspiel in der Fußball-Oberliga gegen den FSV 08 Bissingen. Am Montag (19 Uhr) findet dann die Mitgliederversammlung der Stuttgarter Kickers statt. Präsident Rainer Lorz äußert sich zur sportlichen und finanziellen Lage des Traditionsclubs.

 

Herr Lorz, erinnern Sie sich noch an Ihre Wiederwahl vor drei Jahren?

Natürlich, da waren wir noch in der dritten Liga.

Die Talfahrt hatte neun Wochen zuvor begonnen. War die Entlassung von Trainer Horst Steffen der Beginn einer Fehlerkette?

Ich möchte das Thema Steffen nicht nochmal aufwärmen. Wir sind damals abgestiegen, weil wir am Ende einen Sechs-Punkte-Vorsprung zwei Spieltage vor Schluss nicht heimgebracht haben.

Dass Sie drei Jahre später mit den Kickers in der Oberliga spielen…

…hätte ich damals nicht für möglich gehalten.

Die Verantwortung tragen in letzter Konsequenz Sie. Trotzdem treten Sie erneut als Präsident an. Nur mangels Alternativen?

Ursprünglich wollte ich unabhängig von den Ergebnissen aufhören, und natürlich hätte ich nach dem Abstieg sagen können: Ich werfe hin. Doch es wäre keine Führung da gewesen, die den Verein stabilisiert hätte.

Dass Sie nicht davon gelaufen sind ehrt Sie. Aber es dürfte auch damit zusammenhängen, dass auf dem sportlichen Tiefpunkt keiner gerne aufhört.

Klar habe ich mir, gemeinsam mit allen Beteiligten, zum Ziel gesetzt, den Verein wieder auf Kurs zu bringen.

Gelingt dies, kann es dann sein, dass Sie vor Ende Ihrer dreijährigen Amtszeit aufhören?

Noch sind wir nicht wiedergewählt und derzeit zählt nur, dass wir unser Ziel Aufstieg erreichen.

Liegt Ihr Wille weiterzumachen auch daran, dass Sie persönlich nicht nur Zeit, sondern auch viel Geld in den Verein investiert haben?

Nein, das spielt ebenso wenig wie bei anderen aus den Gremien eine Rolle. Uns geht es darum, dass ein Verein, den es seit 1899 gibt, auch in Zukunft existieren kann. Und ich glaube, dass in diesem Zusammenhang Kontinuität wichtig ist.

Auch mit Blick auf die Hauptsponsoren?

Es gibt sicher Unterstützer, denen daran gelegen ist, dass Kontinuität gegeben ist.

Stünden die Kickers auf Platz 13 wäre die nicht möglich gewesen.

Richtig. Dann würde es mit der Mehrheit bei der Wiederwahl schwierig.

Die Kickers sind Tabellenführer, die Fans ziehen mit. Wie schätzen Sie die aktuelle sportliche Lage ein?

Es geht sehr eng zu. Entscheidend wird sein, dass jeder bei uns weiß, dass es kein Selbstläufer wird. Ein bisschen erinnert mich die Saison an den Aufstieg unter Dirk Schuster in die dritte Liga. Auch da haben wir nicht immer berauschend gespielt, aber 1:0 oder 2:0 gewonnen - und es am Ende geschafft.

Was spricht für die Kickers?

Neben den professionellen Bedingungen unser breiter Kader. Mögliche Verletzungen lassen sich kompensieren. Denn über 34 Spieltage hinweg sollte sich unsere umfangreiche und intensive Trainingsarbeit auszahlen. In den vergangenen Jahren ist selten die Mannschaft aufgestiegen, die nach zehn oder zwölf Spieltagen vorne lag. Vielmehr zeigen sich die Unterschiede in der zweiten Saisonhälfte, wie im Vorjahr, wo am Ende die TSG Balingen davon gezogen ist.

Sind die Kickers zum sofortigen Aufstieg gezwungen?

Gezwungen würde ich nicht sagen. Aber unseren Anspruch aufzusteigen, teilweise unter Vollprofibedingungen zu arbeiten, könnten wir nicht auf Dauer aufrechterhalten. Das geht vielleicht noch ein zweites Jahr.

Die Fans würden wahrscheinlich auch nicht noch in fünf Jahren zu den Oberligaspielen pilgern.

Das denke ich auch. Doch aktuell sind wir sehr zufrieden. Wir hatten mit rund 2000 Zuschauern pro Heimspiel kalkuliert und liegen aktuell bei erfreulichen 2430. Wir verdienen wieder Geld bei den Heimspielen, auch weil die Stadt nach dem Abstieg die Nutzungsbedingungen für das Stadion angepasst hat.

In der Bilanz zum 30. Juni 2018 schlägt aber das Abstiegsjahr durch. Wie dick ist das Minus?

Im Jahr davor hatten wir ein operatives Defizit von rund 1,5 Millionen Euro, das nur durch den Forderungsverzicht der Gremienmitglieder ausgeglichen werden konnte. Diesmal stehen wir trotz der Abstiegssaison operativ deutlich besser da. Mehr möchte ich der Mitgliederversammlung nicht vorwegnehmen.

Wir kritisch und angespannt ist die finanzielle Lage?

Für 2018/19 kalkulieren wir sogar wieder mit einem kleinen Jahresüberschuss. Aber klar: Den Etat zusammenzubringen und die Saison durchzufinanzieren, erfordert jedes Jahr große Anstrengungen von allen Beteiligten. Was uns Mut macht ist, dass wir trotz des Abstiegs auf eine enge Unterstützung von Partnern wie beispielsweise MHP bauen können. Nicht nur finanziell.

Sondern?

Das Unternehmen bringt auch sein Know-how ein. Wir haben ein gemeinsames Konzept entworfen. Beispielsweise wollen wir neue Zielgruppen wie Schüler, Studenten und Familien für die Kickers begeistern. Ziel ist, die Kickers in der Stadt und der Region wieder stärker zu verankern.

Letztendlich regelt aber alles der sportliche Erfolg.

Absolut. Aber da bin ich guter Dinge, dass unser Trainer Tobias Flitsch dies mit der Mannschaft hinbekommt.

Was zeichnet ihn aus?

Er ist ein absoluter Fachmann, der die Sprache der Spieler spricht. Er hat ein gutes Verhältnis zur Mannschaft aufgebaut und wird sehr respektiert. Die Mischung zwischen Autorität und Kumpel passt. Er weiß die Bedingungen hier zu schätzen und hat die schwierige Aufgabe, die mit viel Druck verbunden ist, sofort sehr positiv angenommen. Er ist für mich der richtige Mann zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort.

Haben Sie eigentlich die Entscheidung, die zweite Mannschaft abzumelden, bereut?

Nein, es herrschte die finanzielle Notwendigkeit dies zu tun. In einer perfekten Welt hätten wir sie nicht abgemeldet.

Gibt es Überlegungen wieder eine zweite Mannschaft anzumelden?

Das ist ein Thema, mit dem wir uns in den nächsten Jahren beschäftigen werden.

Was wünschen Sie sich für die Kickers in Ihrer nächsten Amtszeit?

Ich möchte keine großen Dinge spinnen. Das sportliche Nahziel ist der Aufstieg, wirtschaftlich wollen wir die Rahmenbedingungen dafür schaffen, um in der Lage zu sein, mittelfristig sportlich ambitioniertere Ziele überhaupt ausgeben zu können.