Ralf Rangnick ist für die sportliche Ausrichtung bei den Red-Bull-Vereinen in Leipzig und Salzburg zuständig. Die deutsche Bundesliga beobachtet er aber weiter ganz genau und spricht im Interview über deren „explosionsartige“ Entwicklung.

Stuttgart - Die Fußballfans in der Stadt haben Ralf Rangnick (55) nicht vergessen. Bevor das Gespräch beginnen kann, muss der frühere Trainer des VfB Stuttgart noch einige Autogrammwünsche erfüllen. Typisch für ihn, dass er darauf vorbereitet ist. Er hat genügend Autogrammkarten dabei, die er gewissenhaft unterschreibt. Und dann spricht Ralf Rangnick . . .

 

... über den perfekten Verein und Kontinuität

„Um im Fußball erfolgreich zu sein, braucht man meiner Meinung nach vor allem vier Dinge – eine klare Spielphilosophie, einen Trainer, der diese umsetzen kann, eine gute Trefferquote im Transferbereich sowie eine entsprechende Kaderzusammenstellung. Auch die Betriebsatmosphäre zwischen Coach, Sportdirektor und Aufsichtsrat ist eine wichtige Basis. Auf der Trainerposition spiegelt sich Kontinuität für mich übrigens nicht zwingend im über Jahre hinweg gleichen Trainer wider, sondern vor allem auch darin, dass ein neuer Trainer die gleiche Spielphilosophie wie sein Vorgänger verfolgt. Diese Leitlinie muss der Club vorgeben. Darüber hinaus sollten die internen Wege kurz sein, weil es immer wichtiger wird, dass Entscheidungen schnell getroffen werden können – sei es im Transferbereich oder auch bei Trainerwechseln. Gute Beispiele, wie es funktioniert, sind Bayern und Dortmund. Dort sind die Wege kurz. Nehmen wir die Borussia. Da hat man das Gefühl, dass es im Club nur drei Leute gibt, die die Entscheidungen treffen: Jürgen Klopp, Hans-Joachim Watzke und Michael Zorc. Auch deshalb glaube ich, dass der FC Bayern und der BVB die Liga auch in den nächsten Jahren dominieren werden.“

... über Thomas Schneider und den VfB

„Seit einiger Zeit hat man den Eindruck, dass die Ansprüche in Stuttgart andere sind und nicht den Resultaten entsprechen, die man erreicht hat. Das führt dann zu einer latenten Unzufriedenheit auf allen Ebenen. Jeder weiß, dass der Club finanziell nicht auf Rosen gebettet ist. Umso wichtiger ist es dann, dass man seinen Weg konsequent verfolgt. Der VfB war immer für seine exzellente Nachwuchsarbeit bekannt. Dass seit einigen Jahren nicht mehr viele Eigengewächse den Sprung nach oben geschafft haben, gefällt den Fans nicht. Vor allem, weil die Mannschaft 2007 mit den jungen Wilden wie Timo Hildebrand, Serdar Tasci, Mario Gomez, Sami Khedira und Andreas Beck noch Meister geworden ist. Danach wurden einige ziemlich teure Transfers getätigt, die sich aber nicht als die erhofften Verstärkungen erwiesen haben. Thomas Schneider kenne ich schon lange. Ich schätze ihn sehr. Er hat sich schon als Jugendspieler viele Gedanken über Spielsysteme gemacht. Deshalb war es naheliegend, dass er diesen Weg einschlägt. Es war ein guter Entschluss vom VfB, ihn zum Bundesligatrainer zu befördern.“

... über Entwicklungen und Tendenzen im Fußball

„Das ist inzwischen fast schon eine andere Sportart geworden – insbesondere durch die taktischen Errungenschaften in den letzten fünf Jahren wie das schnelle Umschalten in beide Richtungen, also von Abwehr auf Angriff und umgekehrt. Im internationalen Vergleich hinkten wir im taktischen Bereich bis zur Jahrtausendwende hinterher. Aber das ist jetzt nicht mehr so. Bestes Beispiel dafür war das Champions-League-Finale in diesem Sommer mit den beiden deutschen Mannschaften FC Bayern und Dortmund – und nicht zu vergessen die Nationalelf, die seit längerem wieder zur absoluten Weltklasse gehört. Vor 15 Jahren haben wir angefangen zu erkennen, wo die Probleme liegen. Damals gab es ja noch Trainer, die geglaubt haben, dass Taktik nur was für schlechte Spieler ist. Die richtigen Impulse kamen aus den Jugendakademien der Vereine und schwappten nach und nach in den Profibereich über. Stichwort Raumdeckung und Stichwort Pressing. Das Spiel hat sich ganz extrem verändert. Es ist förmlich explodiert. In den letzten fünf Jahren hat es einen gravierend Schub bekommen – das hat mit der athletischen Seite zu tun. Heute ist es ja schon fast normal, dass ein Spieler in den 90 Minuten mehr als zwölf Kilometer zurücklegt. Dazu hat sich auch die Anzahl der Sprints noch mal deutlich gesteigert. Das wäre vor ein paar Jahren noch völlig undenkbar gewesen.“

... über die Fifa und die nationalen Wertvorstellungen

„Was mich an diesem Geschäft stört, ist die fast schon chronische Resistenz gegen Veränderungen. Und davon kann man in letzter Konsequenz auch den Weltverband Fifa nicht ausnehmen. Der Fußball ist die einzige Sportart, die sich weigert, flächendeckend technische Hilfsmittel zuzulassen. Das Hauptargument, dass das Spiel dann seine Ursprünglichkeit und seine Spontanität verlieren würde, ist aufgrund einiger schwerwiegender Fehlentscheidungen nicht mehr haltbar. Auch die Meinung, dass es dadurch zu Spielverzögerungen kommen soll, teile ich nicht. Vielmehr würde es stattdessen viel schneller zu einer Fortsetzung der Begegnung kommen, weil die Diskussionen und Rudelbildungen ausbleiben würden. Auch für den Schiedsrichter ist es doch kein schönes Gefühl, wenn er einen spielentscheidenden Fehler gemacht hat. Ich bin daher der Meinung, dass dieses Thema von den Gremien der Fifa noch einmal neu diskutiert und überdacht werden muss. Dennoch finde ich, dass Fußball nach wie vor eine ehrliche Sportart ist. Gerade die Bundesliga zählt für mich zu den demokratischsten Ligen der Welt. Das sieht man ja vor allem daran, wie die Fernsehgelder verteilt werden. Aber zu dieser Ehrlichkeit gehört dann auch, dass man sich dem Fortschritt nicht verschließt .“

... über seine Burn-out-Erkrankung 2011 und die Folgen

„Dadurch hat sich für mich in den vergangenen beiden Jahren schon manches verändert. Auf Schalke hatte ich damals als Trainer weniger Arbeitsstunden als jetzt. Aber als Sportdirektor gibt es nun Phasen, in denen ich auch mal abschalten und mich um meine Familie kümmern kann. Das konnte ich als Trainer nicht. Da hat man noch einen Tick mehr emotionale Nähe zu dem Geschehen. Diese Auszeiten nehme ich mir heute ganz bewusst. Das ist sicherlich auch eine wichtige Lehre aus dieser Zeit. Als es mir nicht gut gegangen ist, war es für mich wichtig, herauszufinden, was mit mir los ist und wie ich wieder gesund werde. Darauf war ich fokussiert, dafür habe ich alles unternommen. Andere Gedanken hatte ich in dieser Phase nicht. Teilweise habe ich jetzt zwar eine andere Aufgabe, aber es geht trotzdem um die gleichen Dinge wie früher – welche Maßnahmen sind notwendig, um langfristig Erfolg haben zu können? Am Anfang war es als Sportdirektor noch ungewohnt für mich, denn ich habe weiter wie ein Trainer gedacht. Doch in dieser Beziehung habe ich mich inzwischen gebessert (lacht).“

... über Dietrich Mateschitz und Dietmar Hopp

„Sie miteinander zu vergleichen, würde ihnen nicht gerecht. Fest steht aber, dass beide sehr empathische Menschen sind, die auf ihre Art sehr wertvoll für den Sport sind. Sie könnten ihr Geld ja auch für andere Dinge verwenden. Es ist ein Segen für den Fußball, dass sie sich so nachhaltig engagieren. Meine Aufgabe ist es nun, daraus in Salzburg und in Leipzig das Optimale zu entwickeln. Dazu mussten wir zunächst sehr viel verändern – personell und strukturell. Dieser Abschnitt ist jetzt abgeschlossen. Jetzt schauen wir nach vorne. Salzburg steht gut da, in der Meisterschaft und in der Europa League. Da erkennt man unsere Spielidee. In Leipzig haben wir vor dieser Saison fast nur junge Leute verpflichtet. Dennoch mischen wir als Aufsteiger an der Tabellenspitze der dritten Liga mit. Das enorme Potenzial in Leipzig war auch einer der Gründe, warum ich diese Herausforderung als Sportdirektor angenommen habe.“

Fußball
Ralf Rangnick hat in der Bundesliga vier verschiedene Clubs trainiert – den VfB Stuttgart (1999 bis 2001), Hannover 96 (2001 bis 2004), 1899 Hoffenheim (2006 bis 2011) und den FC Schalke sogar zweimal (2004/05 und 2011). Zudem betreute er den SSV Ulm in der zweiten Liga (1997 bis 1999). Sowohl mit Hannover als auch mit Hoffenheim schaffte er den Aufstieg in die Bundesliga. Mit Schalke holte er 2011 den Pokal. Seit Juni 2012 ist er Sportdirektor bei Red Bull Salzburg und RB Leipzig.

Privates
Am 22. September 2011 gab Ralf Rangnick bekannt, dass er seinen Vertrag auf Schalke wegen eines Burn-out-Syndroms mit sofortiger Wirkung auflöst – ein bis heute einmaliger Vorgang im deutschen Profifußball. Er ist verheiratet und hat zwei Söhne. Die Familie lebt in Backnang. In seiner Freizeit spielt Ralf Rangnick gerne Golf.