In 43 von 52 WM-Läufen siegte VW – nicht, dass Armin Schwarz ein Kritiker der Marke wäre, dennoch sieht er im Abschied des Seriensiegers eine große Chance für die gesamte Rallye-WM.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Stuttgart/Gap - Im November 2016 wurden einige Krokodilstränen verdrückt. Volkswagen hatte den Abschied von der Rallye-WM (WRC) bestätigt, da äußerte die Konkurrenz ihre Trauer und Mitgefühl. „Wir sind traurig“, teilte Hyundai mit und schrieb von einer „Inspiration“, die nun fehle. Toyota meinte, das Aus von VW sei „schade“. Und so weiter und so fort. Die wahre Trauer dürfte sich in Grenzen gehalten haben, schließlich hatte der absolutistische Seriensieger der WRC abgedankt, der Alleinherrscher, der seine Untertanen vier Jahre lang mal, mehr, mal weniger düpiert hatte.

 

Denn wie heißt es im Sport so oft und so schön: Jedes Ende ist auch ein Neuanfang. Bei der Rallye-WM, die mit der Wettfahrt in den französischen See-Alpen am Donnerstagabend in die 2017er-Saison gestartet ist, kann sich die Hierarchie im Offroad-Reich des Motorsports neu entwickeln. Der König ist tot, es lebe der König. „Ich sehe den Rückzug von Volkswagen als absolut positiv“, sagt Armin Schwarz, der Rallye-Europameister von 1996, „die Spannung wird deutlich steigen, weil nun gleich mehrere Fahrer und Marken um den Titel kämpfen werden.“

Etwas mehr Abwechslung schadet der Veranstaltung beileibe nicht – VW war bei 52 Läufen am Start, 43 davon wurden gewonnen; in den vergangenen 13 Jahren gab es exakt zwei Weltmeister: Sebastien Loeb (2004 bis 2012) und Ogier (2013 bis 2016). Die ist selbst die oft für langweilige Rennen gerügte Formel 1 noch um ein Vielfaches unkalkulierbarer und abwechslungsreicher.

Nur zwei Weltmeister in den letzten 13 Jahren

Der Titelverteidiger hat nach dem Rückzug seines Arbeitgebers beim Privatteam M-Sport angeheuert und fährt einen neuen Ford Focus, der Belgier Thierry Neuville pilotiert einen Hyundai und wird in Fachkreisen hoch eingeschätzt, der Brite Kris Meeke lechzt als Citroen-Werkpilot im C3 nach Triumphen und schließlich will der letztjährige VW-Markenkollege von Ogier sowie dreimalige Vizeweltmeister Jari-Matti Latvala im Toyota auftrumpfen. „Ich glaube, dass Ogier gleich wieder vorne mitmischen wird“, sagt der Franke Schwarz, „obwohl er wenig getestet hat. Und Meeke habe ich auch ganz oben auf meiner Rechnung.“

Bedeutet ein Plus an Spannung auch ein Plus an Interesse? Nicht ausgeschlossen. Oder sinkt vor allem in Deutschland die Attraktivität, weil der große Lokalmatador fehlt? „Schwer einzuschätzen“, sagt Oliver Runschke aus der Sportabteilung des ADAC, „Rallye-Fans kommen jedoch meist nicht nur wegen einer Marke an die Strecke – sie lieben das Spektakel als Solches und haben natürlich meist einen Lieblingspiloten.“ Das Fehlen von Volkswagen als deutschen Repräsentanten in der weltweiten Offroad-Show, so glaubt Runschke, werde deshalb kaum dazu führen, dass die Deutschland Rallye im August unter massivem Zuschauerschwund leiden werde.

Rallye-Engagement kostete VW 80 bis 100 Millionen Euro

Dennoch, ein wenig schmerzt das Fehlen der Wolfsburger schon – es könnte sogar Nachteile mit sich bringen. VW hat mit seiner gut gefüllten Konzernkasse – das gesamte Engagement in der WRC dürfte pro Jahr zwischen 80 und 100 Millionen Euro verschlungen haben – nicht nur den Polo R gebaut und sein Rallye-Personal bezahlt, VW hat auch kräftig in Marketing und PR investiert, um die Weltmeisterschaft (mit den zahlreichen Erfolgen) entsprechend medienwirksam zu promoten. Davon profitierte die gesamte Szene. „Es fehlt nun ein großer Mitspieler“, sagt Runschke, „der nicht nur in Deutschland das Bewusstsein für den Rallye-Sport befördert und dessen Popularität gesteigert hat.“ Von 2017 an müssen die Konzerne von Citroën, Hyundai und Toyota gemeinsam auf die PR-Pauke schlagen.

Unter diesem Blickwinkel bedauert auch Armin Schwarz den Rückzug der Truppe aus Wolfsburg. Mehr noch. Der 53-Jährige befürchtet, dass ohne VW die Chance auf einen deutschen Spitzenpiloten in der WRC weiter gesunken ist – seit Jahren mischt keiner im Vorderfeld in der WM mit. Armin Schwarz war 1991 der letzte Deutsche, der einen WM-Lauf gewinnen konnte. „Ich denke, bei VW wären deutsche Toptalente leichter untergekommen als bei den Konkurrenten“, sagt Schwarz, „das ist nun hinfällig.“ Ein bisschen Deutschland ist in der Rallye-WM immerhin noch vorhanden. Das Hyundai-Team hat den Sitz in Alzenau und die Motorsportabteilung von Toyota residiert in Köln.