Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer will von einer Kommission untersuchen lassen, wie Großprojekte in Deutschland effizienter und schneller gebaut werden können. Doch berufen hat er vor allem Lobbyisten, die an diesen Vorhaben verdienen und sie nicht hinterfragen.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Stuttgart - Stuttgart 21, Hamburgs Elbphilharmonie, der Hauptstadtflughafen in Berlin – in Deutschland sind wichtige Bauprojekte massiv teurer geworden und werden viel später fertig als geplant. Die blamablen Vorgänge haben dem Ruf der Deutschen als Organisationsweltmeister geschadet. Auch die Bundesregierung sieht Reformbedarf, zumal der Staat an vielen Großprojekten maßgeblich beteiligt ist.

 

Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer hat im Mai die Einsetzung einer Reformkommission angekündigt. Das 36-köpfige Expertengremium soll strukturelle Defizite benennen, Verbesserungsvorschläge zum Beispiel für mehr Transparenz machen und so die Akzeptanz von Großprojekten fördern. Allerdings gibt es unter den Teilnehmern kaum Kritiker, die auch der Sinn mancher teurer Vorhaben hinterfragen würde. Ob Bahn-Chef Rüdiger Grube, BDI-Chef Ulrich Grillo oder Thomas Bauer, Präsident des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie und Chef eines Baukonzerns – führende Vertreter der Bau- und Immobilienbranche sowie großer Wirtschaftsverbände bleiben in der Kommission zusammen mit Bediensteten von Behörden und Staatskonzernen unter sich. Umweltorganisationen sind gar nicht vertreten und unabhängige Experten und Wissenschaftler kaum zu finden.

Kann man tiefgreifende Reformvorschläge von Lobbyisten erwarten, die an Großprojekten naturgemäß massives Interesse haben, weil ihre Unternehmen und ihre Klientel daran beteiligt sind und daran verdienen? Werner Reh, Verkehrsexperte des Umweltverbands BUND, hat da erhebliche Zweifel: „Wir halten die Aufgabenstellung der Kommission für viel zu eng begrenzt.“ Es gehe dem Gremium vor allem um Kostenkontrolle, technische Umsetzungsprobleme und die Vermeidung von Missmanagement – und nicht darum, Großprojekte grundsätzlich zu hinterfragen. Nicht thematisiert werde daher das größte Problem: die unzureichenden Abwägungen bei der Entscheidung über Bauprojekte und mögliche Alternativen. „Die Nutzen-Kosten-Analysen, die wir machen, taugen nichts“, sagt Reh. So würden häufig die Kosten von Vorhaben unterschätzt und der Nutzen massiv überschätzt. Das sei von der Politik oft auch so gewollt. Im Ergebnis werde dann Großprojekten wie neuen Autobahnen, ICE-Trassen oder U-Bahnen der Vorrang gegeben, anstatt billiger vorhandene Verkehrswege auszubauen.

An solchen Großprojekten werden Milliarden verdient. Kein Wunder, dass in der Ramsauer-Kommission die Wirtschaftsvertreter um Sitz und Stimme rangelten. Sabine Leidig, Verkehrsexpertin der Linken im Bundestag, hat das zum Anlass genommen, mit weiteren Abgeordneten ihrer Fraktion die Zusammensetzung des Gremiums in einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung zu beleuchten. Die Mehrheit der Mitglieder der Ramsauer-Kommission ist demnach direkt oder indirekt am Bau von Großprojekten beteiligt.

Bei einigen Mitgliedern der Regierungskommission hegen die Parlamentarier zudem Zweifel an deren Integrität, weil sie in Bau- und Korruptionsskandale oder fragwürdige Firmenpleiten mit hohen Schäden für Anleger verwickelt gewesen seien. Genannt wird unter anderen das Kommissionsmitglied Johann Bögl, Seniorchef des bayerischen Bauunternehmens Max Bögl, das zwischen 2002 und 2005 systematisch Manager des Möbelhauses Ikea bestochen und dafür lukrative Bauaufträge erhalten habe. Die Schmiergelder flogen auf, auch Johann Bögl musste 243 000 Euro Strafe zahlen. Laut Strafbefehl habe der Seniorchef selbst zwei Mal sechsstellige Beträge in bar herausgegeben, mit denen sein Hochbauchef dann Ikea-Leute bestach, so berichtete damals jedenfalls das Nachrichtenmagazin „Wirtschaftswoche“.

Werden Böcke zu Gärtnern gemacht?

Macht die Bundesregierung Böcke zu Gärtnern, wenn eine Reformkommission zu Großprojekten maßgeblich von denjenigen bestimmt wird, die von ihnen profitieren? Verkehrsminister Ramsauer weist diese Kritik zurück. Die Aufgabe des Gremiums sei nicht, das Für und Wider einzelner Vorhaben zu diskutieren, sondern vielmehr, generell Wege aufzuzeigen, wie Kosten- und Terminüberschreitungen künftig vermieden werden können, erklärt sein Ministerium. Deshalb seien Entscheidungsträger aus allen Bereichen der Planung und Realisierung von Großprojekten ausgewählt worden. Die Mitglieder der Kommission seien sich aber einig, dass die Bürgerbeteiligung bei Großprojekten eine immer bedeutsamere Rolle spiele. Denkverbote gebe es in dem Gremium nicht, so wird ausdrücklich betont.

Die Kommission soll demnach „den gesamten derzeitigen Planungs- und Bauprozess auf den Prüfstand“ stellen, auch in der nächsten Legislaturperiode weiter tagen und bis 2014 ihre Empfehlungen vorlegen. Daraus soll bis zum Jahr 2015 ein „Handbuch Großprojekte“ erstellt werden, das allen Beteiligten als Leitfaden dienen und von Bund, Ländern, Kommunen und privaten Investoren genutzt werden soll.