Geflüchtete, transidente Personen oder andere Menschen, deren Lebenssituationen nicht im Fokus stehen: Sind sie in der medialen Öffentlichkeit zu wenig präsent?
Die Geflüchteten, die schon länger in Deutschland sind und nicht den positiv belegten Ukraine-Hintergrund haben: „Sie merken durchaus, dass sie in der öffentlichen Wahrnehmung Geflüchtete zweiter Klasse sind“, sagt Martha Albinger von der Ökumenischen Fachstelle Asyl in Ludwigsburg. Das sei eine bittere Erfahrung. Und sie liege nicht zuletzt daran, wie in den Medien über Flucht nach Deutschland berichtet werde. „Aber bei der anfangs überschwänglich positiven Berichterstattung 2022, als es zu Beginn so eine riesige Hilfsbereitschaft gab, war es mir auch ein bisschen unwohl“, räumt Albinger ein. Weil ich wusste, was darunter liegt und dass das stimmungsmäßig kippen kann. 2016 ist das ja auch passiert.“
Welche Verantwortung haben Journalisten und wie gehen sie mit ihr um? Wie sehr bemühen sie sich um Ausgewogenheit? Welche Rolle spielen zeitlicher und ökonomischer Druck? Wie können sie mit einem multiperspektivischen Blick dazu beitragen, Ressentiments abzubauen? Wieso passiert es, dass eine Berichterstattung stattdessen Ressentiments schürt? Und warum finden gesellschaftliche Minderheiten und Menschen, die sich für Tabuthemen einsetzen oder davon betroffen sind, sie kämen nicht vor oder würden falsch dargestellt?
Zu diesen Fragen entspinnt sich bei einer Podiumsdiskussion der Ludwigsburger Volkshochschule ein spannendes Gespräch, bei dem neben Martha Albinger auch Arezoo Shoaleh vom Verein Frauen für Frauen und Cassandra Finley, Gründerin eines Regenbogen-Brunches, mit von der Partie sind – und der Taz- und Deutschlandfunk-Journalist und Autor Peter Weissenburger, der über Themen wie Medienpolitik, digitale Gesellschaft, queeres Leben und Gender schreibt.
Weissenburger bricht eine Lanze für seine Zunft: Es gebe einige wenige Medien, die sehr auf Sichtbarkeit im Netz aus seien „und bei denen es halt immer knallen muss, weil es sich sonst nicht lohnt“. Aber: „Viele Medien arbeiten mit hohem Ethos und machen relevante Geschichten, auch wenn sie wissen, dass sie sich vom Kosten-Nutzen-Faktor her nicht tragen“, sagt der Journalist. „Der Journalismus befindet sich aber in einer Wirtschaftskrise, und immer mehr Kolleginnen und Kollegen haben nicht nur immer weniger Kapazitäten, sondern sitzen an Schreibtischen und sind verpflichtet, Content rauszuhauen.“ Wenn man mit manchen Belangen nicht bewusst auf Medienmenschen zugehe, blieben sie ein weißer Fleck.
„Hauptsache, die Journalisten bleiben dran“
Ein solcher weißer Fleck sind nach Cassandra Finleys Einschätzung Regenbogen-Themen. „Sie sind kaum präsent.“ Bei ihrer Suche nach Begegnungsmöglichkeiten sei sie auf Angebote in Mannheim oder Hannover gestoßen, aber auf keine vor Ort. Also habe sie selbst einen Regenbogen-Brunch gegründet. Auch die Teilnehmenden dort fänden: „Es gibt nicht wirklich Repräsentation für uns.“ Es gebe einen klaren Willen zur Inklusion und einen klaren Willen, es gut, verantwortungsvoll und so divers wie möglich zu machen, so Weissenburger. Allerdings seien Redaktionen noch nicht so divers wie die Gesellschaft. Wenn dort Menschen aus den entsprechenden Communities arbeiteten, könnten diese anderes über deren Themen berichten. Themenplatzierung sei aber auch immer ein Abwägungs-, Gewichtungs- und Aushandlungsprozess. Es gebe bei Leuten, die selbst nicht zu den besagten Communities zählten, auch Ermüdungserscheinungen, etwa beim Wording. Nicht jeder befasse sich etwa automatisch damit, „warum LGBTQ jetzt plötzlich LGBTQI+ heißt“.
„Das Wording ist auch gar nicht so wichtig“, sagt Arezoo Shoaleh vom Verein Frauen für Frauen, der aktuell gerade um Fördergelder für ein zweites Ludwigsburger Frauenhaus kämpft. „Hauptsache, die Journalisten bleiben dran.“ Sie hätten hinsichtlich der Themen, die sie platzierten, eine hohe Verantwortung. Viele Menschen erführen nur über Zeitungen, Radio oder Fernsehen, dass es Vereine wie Frauen für Frauen überhaupt gebe. „Allerdings wird wenig über die alltägliche strukturelle Gewalt berichtet, sondern oft nur dann, wenn ein Mann seine Familie auslöscht oder seine Frau brutal umbringt.“ Überhaupt sei es irritierend, wie manche Themen hochploppten und dann wieder in der Versenkung verschwänden. „Zwei Wochen lang wird in der Tagesschau täglich über den Iran berichtet, und plötzlich verschwindet das Thema, obwohl es so wichtig wäre, dass das präsent bleibt. Wer sagt eigentlich, dass es damit jetzt reicht?“
Offen für neue Blickwinkel
„Diese eine Person gibt es nicht“, so Weissenburger. Man könne das auch nicht pauschal sagen. Eines der Grundprinzipien in der Medienarbeit sei „das Neue“: „Wenn man etwas zum dritten Mal erzählt hat, ist es nicht mehr neu.“ Wenn dann der Ansatz oder Informationsquellen fehlten, um Themen unter neuen Gesichtspunkten zu beleuchten, fielen sie vom Tisch. Fast alle Journalisten seien aber offen für Anregungen und neue Blickwinkel, wenn man sie anstupse. Die Gelegenheit, bei der so vielschichtigen der VHS-Diskussion die eingeforderte Präsenz selbst zu zeigen, haben Zugehörige von Minderheitengruppen aber weitgehend verstreichen lassen: Viele Plätze bleiben leer.
Tiefer in die Themen eintauchen
Gesellschaft und Politik
Die Volkshochschule hat in den nächsten Tagen und Wochen viele Vorträge, Veranstaltungen und Diskussionen zu gesellschaftspolitischen Themen im Programm. Infos dazu unter www.vhs-ludwigsburg.de.
Brunch und Co.
Der Regenbogenbrunch ist immer im letzten Samstag im Monat um 10.30 Uhr. Info und Anmeldung unter regenbogenbrunch@tragwerk-lb.de oder 0 71 41 / 133 18 23. Näheres Frauen für Frauen gibt es im Netz unter www.frauenfuerfrauen-lb.de, Informationen zur Arbeit der Ökumenischen Fachstelle für Asyl unter www.fachstelle-asyl.de. Über die Arbeit von Peter Weissenburger kann man sich unter https://peterweissenburger.de schlau machen.