Herr Yogeshwar, die deutsche Wirtschaft schwächelt, es fehlt an Ingenieuren und Fachkräften. Was sind die Gründe dafür?
Wir sind zu stark darauf gepolt, an alten Technologien festzuhalten, mit denen unser Land ja lange sehr erfolgreich war. Aber wer mit einer Sache Erfolg hatte, tut sich oft schwer mit dem Gedanken, dass sein Produkt vielleicht bald nicht mehr gefragt ist. Und das hat gravierende Folgen.
Zum Beispiel?
Die deutsche Autoindustrie wollte lange nicht wahrhaben, dass der Verbrennungsmotor keine Zukunft hat. Nun droht uns China bei der E-Mobilität abzuhängen. Das Tempo der Veränderungen hat dabei eine neue Qualität, denn in allen Branchen erleben wir einen Innovationsrausch. Früher dauerte es Jahrzehnte, bis sich technische Neuerungen durchsetzen konnten. Heute geht das rasend schnell. ChatGPT hatte nach fünf Tagen eine Million Nutzer, zwei Monate danach waren es bereits 100 Millionen. Veränderungen und vor allem neue Technologien werden anfangs oft als Bedrohung wahrgenommen. Das sieht man auch beim Thema Künstliche Intelligenz. Natürlich muss man dazu kritische Fragen stellen, aber man muss eben auch die großen Chancen sehen.
Wie können wir innovativer werden?
Das ist auch eine kulturelle Frage. Es fängt damit an, wie wir als Gesellschaft auf Innovation schauen. In Deutschland fehlt dabei die Achtung vor Wissenschaftlern und Ingenieuren. Sie werden als merkwürdige Typen betrachtet. In jeder zweiten Talkshow erzählen Teilnehmer, wie froh sie waren, als sie endlich Mathe abwählen konnten. Man brüstet sich damit, keine Ahnung von Wissenschaft und Technik zu haben. Das ist kein gutes Klima für Innovationen. In anderen Ländern, etwa in Indien, China oder den USA ist das anders. Da feiert man Zukunftsmacher wie Steve Jobs, Sam Altman oder die Innovatoren im Silicon Valley.
Mathe oder Physik sind aber nun mal ziemlich kompliziert.
Das stimmt. Aber es gibt heute tolle Möglichkeiten, solche Themen verständlich zu vermitteln – zum Beispiel in Mathe-Tutorials wie 3Blue1Brown auf Youtube. Der Kanal hat 6,5 Millionen Abonnenten. In Deutschland gibt es ebenfalls Mathelehrer wie Daniel Jung, die auf Youtube viele Follower haben.
Was können Schulen daraus lernen?
Sehr viel. Nach wie vor lernen Schüler in Deutschland vor allem, vorgegebene Antworten auf die immer gleichen Fragen zu geben. Da bleibt wenig Raum für Kreativität. Das ist spätestens seit dem ersten Gat vor mehr als 20 Jahren bekannt, aber seitdem ist nicht viel passiert. Wir sollten jetzt aber nicht lange diskutieren, wer schuld daran ist, sondern endlich anfangen, die Dinge besser zu machen. Dabei kann auch Künstliche Intelligenz helfen. Richtig eingesetzt sind ChatGPT und Co. sehr hilfreich. Schüler können sie etwa bitten, ihnen die Parabelgleichung zu erklären und ein paar Beispiele für ihre Anwendung zu zeigen. Danach probieren die Schüler es selbst aus, und die KI gibt ihnen Feedback.
Es gibt aber auch Menschen, die sich einfach nicht für Wissenschaft interessieren.
Das sehe ich etwas anders. Unsere Wissenschaftssendungen erfreuten sich einer enormen Beliebtheit. Das Interesse ist da, aber man muss die Dinge richtig vermitteln – mit Engagement, Empathie und Humor. Die Menschen wollen keine Besserwisser, die auf sie herabschauen und ihnen nichts zutrauen.
Auch wenn es um Physik oder Mathe geht?
Wenn es um solche Fächer geht, denken wir zu selten an Emotionen, an Leidenschaft und Freude. Wie oft wird denn im Matheunterricht gelacht? Genauso wichtig ist es, die Alltagsrelevanz des Unterrichtsstoffs klarzumachen. Gerade junge Menschen stellen sich die Frage, warum sie dieses oder jenes lernen sollen. Wenn man die gut beantworten kann, sind sie plötzlich mit Begeisterung dabei und merken, dass es Spaß machen kann, in Mathematik oder Physik eine schwierige Aufgabe zu lösen. Ich sage immer: Das schönste Lachen ist das Lachen der Erkenntnis.
Da werden jetzt viele Lehrer sagen, der Herr Yogeshwar kann sich gerne mal vor meine unkonzentrierten und mäßig motivierten Schüler stellen und versuchen, sie zu begeistern.
Genau das habe ich schon gemacht. Ich habe Physikstunden der etwas anderen Art gegeben, und danach haben die Schüler eine Prüfung geschrieben. Junge Menschen sind neugierig und wollen Dinge ausprobieren – genau da muss guter Unterricht ansetzen. Es ist zudem wichtig, den Kids mit Empathie und Zuneigung zu begegnen. Doch das ist in den heutigen Strukturen, wo Lehrer mit absurden Regularien gequält werden, alles andere als einfach.
Brauchen wir mehr Veranstaltungen wie das Stuttgarter Wissenschaftsfestival?
Auf jeden Fall. Ich finde, dass es generell viel mehr Möglichkeiten geben sollte, Wissenschaft und Technik selbst zu erleben, und bei solchen Angeboten dürfen Spaß und Unterhaltung nicht zu kurz kommen. Sie sind oft der Türöffner für tiefer gehende Fragen – zum Beispiel danach, was eigentlich genau in dem Reagenzglas passiert ist, das gerade mit einem lauten Knall explodiert ist.
Wissenschaft und Journalismus
Person
Ranga Yogeshwar wurde 1959 in Luxemburg geboren. Er studierte Elementarteilchenphysik und Astrophysik und arbeitete am Schweizer Institut für Nuklearforschung, am CERN in Genf und am Forschungszentrum Jülich. 1983 begann Yogeshwar seine journalistische Laufbahn – zunächst bei verschiedenen Verlagen, dann bei Hörfunk und Fernsehen. 1987 wurde er Redakteur beim WDR und leitete später das Ressort Wissenschaft. Seit 2008 arbeitet Yogeshwar als freier Journalist und Autor.
Wissenschaftsfestival
Ranga Yogeshwar führte am Freitag durch die Eröffnungsveranstaltung des 3. Stuttgarter Wissenschaftsfestivals, das noch bis zum 22. Oktober läuft. Zahlreiche Ausstellungen und Veranstaltungen geben einen Überblick über die Forschung in Stuttgart. Am Dienstag, 15. Oktober, geht es im Rathaus und auf dem Marktplatz unter anderem um den 3-D-Druck von Lebensmitteln, adaptives Bauen, kühlende Fassaden oder Roboter. Das vollständige Programm des Festivals steht online unter www.wissenschaftsfestival.stuttgart.de/veranstaltungen .