Über 50.000 Menschen haben sich das Video einer 18-Jährigen auf Instagram bereits angeschaut. Zu sehen ist eine 72-Jährige am Stuttgarter Hauptbahnhof, die mit rassistischen Beschimpfungen um sich wirft. Die Bundespolizei ermittelt in dem Fall.

Baden-Württemberg: Lea Krug (lkr)

Stuttgart - „Du gehörst nach Afrika“, schreit die Frau lautstark in der kleinen Schalterhalle des Stuttgarter Hauptbahnhof. Es sind massiv rassistische Beleidigungen, die in einem vor zwei Wochen aufgenommenen Video zu hören sind. Bis zum Montag, 17. Mai 2021, ist das Video auf Instagram über 50.000 Mal aufgerufen worden. Aufgenommen hat es eine 18-Jährige, die den Fall zur Anzeige gebracht hat und im Netz auf das Thema Rassismus aufmerksam machen will.

 

Auf Instagram heißt sie Cineflexx, mit ihrem echten Namen will die junge Frau, die in Stuttgart lebt, nicht zitiert werden. Am 9. Mai kam sie am frühen Morgen gegen 5.30 Uhr gerade mit einem Nachtzug in Stuttgart an und war auf dem Weg in Richtung der Arnulf-Klett-Passage, als sie hörte, wie eine Frau laut schrie und mehrere Männer massiv beleidigte. Sie kam auf ihrem Weg schließlich an den Sitzgelegenheiten in der Halle vorbei und wurde Zeugin der Beleidigungen. Die Männer, die von der Frau verbal angegriffen wurden, verstanden nicht, was da eigentlich vor sich ging. Sie konnten offenbar kein Deutsch.

„Ich bin genauso Deutsch wie Sie“, ruft sie

Die 18-Jährige, ebenfalls schwarz, mischte sich ein und begann die Situation mit ihrem Smartphone zu dokumentieren. Schließlich beleidigte die 72-Jährige auch sie. „Da kommt der nächste Dreck“, ist zu Beginn der Aufzeichnung zu hören. Die 18-Jährige wollte das nicht auf sich sitzen lassen und erwiderte: „Ich bin genauso Deutsche wie Sie.“ Insgesamt geht das Video zweieinhalb Minuten. Es fallen immer wieder massiv rassistische Beleidigungen. Die 72-Jährige ist nicht zu erkennen, ihr Gesicht wurde vor Veröffentlichung unkenntlich gemacht.

Cineflexx erzählt, dass nach kurzer Zeit die Polizei hinzukam, offenbar von der Lautstärke alarmiert. Sie und ein anderer junger Mann, der ebenfalls auf dem Weg durch die Halle war, hätten die rassistische Beleidigung schließlich angezeigt.

Die Bundespolizei hat den Fall aufgenommen

Die Bundespolizei bestätigt den Fall. Beamte haben demnach die 72-Jährige direkt nach dem verbalen Angriff vernommen, gegen die Frau sei ein Strafverfahren wegen Beleidigung eingeleitet worden. In welcher Verfassung die Frau allerdings war und wie es zu dieser Situation kam, werde noch ermittelt, so ein Sprecher. Seine Kollegen hätten allerdings beobachtet, dass die Frau in der Nacht zum 9. Mai in der kleinen Schalterhalle geschlafen habe.

Das Video habe sie aufgenommen, damit man ihr das Erlebte auch glaube, sagt Cineflexx. Veröffentlicht habe sie den Clip auch als „Aufklärungsarbeit“, wie sie sagt. Nach wie vor sei vielen Menschen nicht klar, welchen Attacken sie und andere BPOC (Black and People of Color) in ihrem Alltag ausgesetzt seien. Die Abkürzung PoC steht für People of Colour und ist laut dem Glossar der Neuen deutschen Medienmacher eine Selbstbezeichnung von Menschen mit Rassismuserfahrung, die nicht als weiß, deutsch und westlich wahrgenommen werden und sich auch selbst nicht so definieren. Unter dem Video schreibt sie: „Ich kenne keine schwarze Person, die von keiner einzigen Rassismuserfahrung erzählen kann.“ Eine so massive Beleidigung im öffentlichen Raum habe sie allerdings auch zum ersten Mal erlebt. Cineflexx will, dass über solche Fälle gesprochen wird und ihr und anderen von Rassismus Betroffenen geglaubt wird, dass solche unerfreulichen Begegnungen wirklich passieren.

Von der großen Anzahl an Aufrufen indes sei auch sie überrascht worden. Andere Kanäle und Accounts hatten den Beitrag geteilt und so zu der großen Reichweite beigetragen, darunter das Instagram-Konto „Was ihr nicht seht“.

Fachstelle Leuchtlinie gibt Tipps im Umgang mit Rassismus

Saime Ekin-Atik, die Leiterin der Fachstelle Leuchtlinie, die Betroffene rechter Gewalt berät, erklärt, Cineflexx habe sich genau richtig verhalten. Es sei wichtig, in solchen Situationen zu helfen. Einfach weitergehen, sei die falsche Reaktion. „Das ist psychische Gewalt und hat strafrechtliche Relevanz“, sagt Saime Ekin-Atik. Wer Zeuge oder Zeugin eines solchen Falls werde, der solle versuchen, die Polizei zu alarmieren und andere Passanten ansprechen und um Hilfe bitten.

Das Geschehen zu dokumentieren, etwa mit dem Smartphone, sei sinnvoll. Später könne ein solches Video als Beweismittel dienen, sagt sie. Allerdings solle man möglichst Abstand zu den Täterinnen oder Tätern halten und sich nicht auf die Dynamik von ihnen einlassen. Auf keinen Fall solle man selbst eine Straftat begehen. Vor allem aber sei es für die Betroffenen wichtig, ihnen Solidarität zu signalisieren. Darum gehe es auch der Organisation, die Betroffenen niederschwellig hilft, etwa wenn es um die Vermittlung zu Psychotherapeuten oder Anwälten in einem späteren Verfahren geht.