Der Tübinger Gemeinderat fordert in einer Resolution, Oberbürgermeister Boris Palmer auf, Menschen anderer Hautfarbe nicht mehr unter Generalverdacht zu stellen und damit die Stadtgesellschaft zu spalten. Den Rathauschef lässt die Kritik kalt.

Tübingen - Eine Mehrheit des Tübinger Gemeinderats hat genug von den fremdenfeindlichen Äußerungen ihres grünen Oberbürgermeisters. In einer Resolution, die am Montagabend mit 19 Jastimmen, neun Enthaltungen und zehn Gegenstimmen verabschiedet wurde, fordert das Gremium Boris Palmer auf, „Fremdenfeindlichkeit entschieden entgegenzutreten statt sie zu befördern und hoffähig zu machen“. Der von der SPD und der Linken eingebrachte Antrag kritisiert die Spaltung der Stadtgesellschaft durch die fortwährenden Kommentare des Oberbürgermeisters. „Palmer spricht in keiner Weise für die Stadt, wenn er Menschen anderer Hautfarbe unter Generalverdacht stellt.“ Solche Pauschalierungen zeugten von Vorurteilen und seien mit dem weltoffenen Charakter Tübingens nicht vereinbar.

 

Den gemeinsamen Angriff des Gremiums sieht Martin Sökler, der Fraktionsvorsitzende der SPD, „als Tiefpunkt der Amtszeit von Boris Palmer“. Dieser stigmatisiere Flüchtlinge und beschädige als Quertreiber die beachtlichen Integrationserfolge der Kommune. „Palmer gibt den Sarrazin der Grünen und erhält deshalb Gehör“, sagt Sökler. Er mache auf Facebook Rassismus salonfähig, er ermutige durch seine Posts andere, ihre ausländerfeindlichen Positionen darzulegen.

Auslöser für die Resolution war die Affäre um den Ulmer Rüpelradler

Der Auslöser für die Resolution sei die Affäre um den Ulmer Rüpelradler gewesen, betont der Fraktionsvorsitzende. Palmer war in der Fußgängerzone einem dunkelhäutigen Radfahrer begegnet, der angeblich in Rowdymanier unterwegs und nicht zu stoppen gewesen war. Aus Aussehen und Verhalten hatte er gefolgert, dass es sich um einen Asylbewerber handle. „Viele Migranten fühlen sich durch solche Folgerungen massiv beleidigt“, beklagt Sökler – und das vollkommen zu Recht. Deshalb müsse sich Palmer für seine Worte öffentlich entschuldigen und seine Äußerungen zurücknehmen, betont Sökler, und so stehe es auch im Wortlaut in der Resolution.

Selbst in der eigenen Partei fehlt Palmer der Rückhalt. „Es wird in Tübingen eine sehr gute Flüchtlingsarbeit gemacht, aber der Oberbürgermeister zerredet alles“, sagt Annette Schmidt von der Fraktion der Grünen und Alternativen Liste. „Ich glaube nicht, dass Palmer ein Rassist ist“, betont die Gemeinderätin, die am Montagabend in der Sitzung die Kritik ihrer Fraktion detailliert aufdröselte. Leider liefere der Oberbürgermeister jede Menge Stellungnahmen, die entsprechend rassistisch interpretiert werden könnten. Das Dilemma liege auf der Hand. Im Hinblick auf die ganze Stadt und die verschiedenen Politikfelder mache Palmer eine gute Figur. „Er ist ein souveräner Bürgermeister, ein Schnelldenker, der Qualitätsvolles zu sagen hat“, lobt Schmidt. Anderseits ziehe er beim Thema Flüchtlinge Einzelfälle ans Licht, skandalisiere sie und störe somit das friedliche Zusammenleben in Tübingen. „Wir wünschen uns sehr, dass er solche Dinge nicht mehr sagt oder postet“, fordert die Rätin. „Es wäre einfach traumhaft, wenn er seinen Facebook-Account löschen würde.“

Der CDU-Fraktionschef sieht eine Schnittmenge zur AfD

Auf Distanz zu der Resolution gingen in Tübingen die CDU, die FDP und die Tübinger Liste. Doch der CDU-Fraktionschef Rudi Hurlebaus macht dies am Tonfall der Erklärung fest, nicht am Inhalt. Palmer übertreibe es mit seinen Äußerungen, die Rassisten in die Hände spielten, sagt Hurlebaus verärgert. „Das muss er künftig unterlassen.“ Er sei enttäuscht vom Rathauschef, der immer wieder poltere und anecke. „Wir sind doch bei der Integration auf einem guten Weg“, sagt der CDU-Politiker und Bäckermeister. Baden-Württemberg habe immer wieder eine starke Zuwanderung erlebt und die damit verbundenen Probleme erfolgreich gelöst. So wie Palmer sich verhalte, bekomme man einen anderen Eindruck vermittelt. „Da gibt es Schnittmengen zur AfD“, sagt Hurlebaus besorgt, „nur Palmer sieht es nicht.“

Die Generalabrechnung der Räte nimmt Palmer mit Gelassenheit auf. „Ich bin da ziemlich schmerzfrei“, sagt der Rathauschef, „in der Politik hält man es sonst nicht aus.“ Er habe sicherlich schon schlimmere Niederlagen erlitten. Keinesfalls werde er sich entschuldigen, das machte er dem Gemeinderat schon kurz nach der Abstimmung klar. Das seien eben Meinungsverschiedenheiten, eine Mehrheit kritisiere, „das Wie“ seines Vorgehens. Als Verantwortungsethiker sei es für ihn besonders verstörend, recht zu haben, aber nicht recht zu bekommen, sondern Unverständnis, Hohn, auch Beleidigungen und Beschimpfungen zu ernten.

„Ich höre nicht damit auf“, sagt Palmer trotzig, er wolle weiterhin sagen dürfen, was er denke. „Wenn du alles ausklammerst, was dich als Mensch berührt, dann wirst du zum kalten Technokraten.“ Zu einem Jahrhundertthema zu schweigen fände er unangemessen. Über einen Rat des Ministerpräsidenten Kretschmann sei er aber ins Grübeln gekommen. Dieser habe ihm gesagt: „Du darfst als Amtsperson keine Selbstoffenbarungen machen.“