Vom Urteil der Ratingagenturen hängt viel ab, ihr Einfluss ist groß. Die Politik wettert gegen die Geister, die sie einst selbst rief.

Stuttgart - Die USA können Länder mit Bomben zerstören, Ratingagenturen kann dies schon mit einer Herabstufung der Staatsanleihen gelingen, hat der US-Autor Thomas Friedman einmal geschrieben. Etliche Politiker und Ökonomen sind der Meinung, am Beispiel Griechenlands derzeit einen Beleg für diese Aussage zu finden. "Ratingagenturen können wichtige Informationsagenten sein, aber im Moment verstärken sie nur die Hysterie", sagt etwa Steffen Kampeter (CDU), Staatssekretär im Berliner Finanzministerium. Die Debatte um ein zweites Hilfspaket für Griechenland hängt entscheidend davon ab, wie die drei großen Ratingagenturen Standard & Poor's, Moody's und Fitch es bewerten werden. Sehen sie darin eine Umschuldung des Landes mit einer unfreiwilligen Benachteiligung der Gläubiger, würden sie offiziell einen Zahlungsausfall feststellen.

 

Das hätte weitreichende Folgen etwa für die Bilanzen von Banken, die bislang noch nicht die griechischen Anleihen in ihren Büchern abgewertet haben. Vor einem weiteren Ungemach warnt die Europäische Zentralbank. Sie will griechische Staatsanleihen nicht mehr als Sicherheit von Geschäftsbanken akzeptieren, sollte es zum formell festgestellten Zahlungsausfall kommen. Zuletzt hatte bereits die Herabstufung der Bonität Griechenlands auf ein Niveau nur knapp oberhalb des Zahlungsausfalls gravierende Konsequenzen. So dürften etwa deutsche Versicherer die Papiere nicht länger zur Deckung von Ansprüchen halten, sollte die Finanzaufsicht Bafin keine Ausnahme erteilen. Die Verhandlungen dazu laufen und werden wohl noch einige Wochen dauern.

Eine gefährliche Abwärtsspirale

Die Machtposition der Ratingagenturen ist somit auch politisch begründet. Sei es in der Banken- oder der Versicherungsaufsicht: Die Noten der Firmen sind ein offiziell anerkannter Gradmesser. An den Kapitalmärkten sind gewisse Mindestnoten oft eine Voraussetzung für professionelle Anleger, um ein Wertpapier zu kaufen. Selbst bei eigenen Geldanlagen beziehen sich Bund und Länder auf die Einschätzungen der Ratingagenturen. "Die Anlage (...) erfolgt zu marktgerechten Bedingungen in Euro-denominierten, handelbaren Schuldverschreibungen, die im Zeitpunkt des Erwerbs mit einem Rating von mindestens ,Aa3' bzw. ,AA-' bewertet sind", heißt es etwa in der Richtlinie für die Anlage von Pensionsgeldern eines Bundeslandes. Falle das Rating unter diese Schwelle, müssten die Papiere "innerhalb einer angemessenen Frist" verkauft werden. Die Herabstufung des Ratings kann daher eine gefährliche Abwärtsspirale auslösen.

Den Agenturen selbst bringt die weltweite Akzeptanz ihrer Noten gute Geschäfte. Denn wer nicht für eine Bewertung bezahlen will, dessen Wertpapiere finden in der Regel nur schwer Abnehmer. Doch gegen den Vorwurf des Machtmissbrauchs wehren sich Moody's und Co. Die Agenturen ziehen sich stets auf das Argument zurück, nur eine Meinung zu äußern, wie es viele auf dem Kapitalmarkt gibt. Die Folgen dieser Einschätzung seien nicht von ihnen zu verantworten, denn sie zwängen niemanden, auf die Urteile zu hören.

Großer Einfluss der Agenturen

De facto ist der Einfluss aber groß. Ökonomen wie der Belgier Paul de Grauwe kritisieren etwa, dass die Agenturen Krisen zu spät erkennen und ihren Daumen über der Zahlungsfähigkeit von Ländern erst dann senken, wenn die Krise schon voll im Gange ist. Dann gebe es einen zusätzlichen Abwärtsdruck auf die Staatspapiere, wenn dieser am wenigsten gewünscht sei.

In der Politik werden daher immer wieder Forderungen nach einer europäischen Ratingagentur laut. Sie soll die Vorherrschaft der drei großen angelsächsisch geprägten Gesellschaften brechen. Doch kurzfristig lässt sich das nicht machen, meint etwa auch Bundeskanzlerin Angela Merkel. Erst müsse die Lage in der Eurozone in Ordnung gebracht werden, dann könne man sich um die Ratingagentur kümmern, sagte die Kanzlerin am Wochenende auf einer CDU-Konferenz in Berlin. Ob eine solche europäische Agentur freilich andere Urteile fällen würde, die der Politik angenehmer wären, ist ungewiss. Selbst wenn die Urteile milder ausfielen, steht damit nicht fest, dass diese an den Märkten ernst genommen würden. Und bleibt der Blick besonders kritisch, könnte auch eine Europäische Ratingagentur sich in der gleichen Rolle wiederfinden wie die drei etablierten Agenturen. Sie sehen sich in der Position des Boten, der die schlechte Nachricht nur überbringt. "Wir können uns nicht aus Staatsräson vor einem notwendigen Ratingurteil verschließen", so etwa Fitch-Deutschlandchef Jens Schmidt-Bürgel in der "Welt am Sonntag".