Mit großer Mehrheit hat das Europaparlament die Bestimmungen für Ratingagenturen verschärft. Die Agenturen dürfen beispielsweise Staatsanleihen nur noch maximal drei Mal im Jahr bewerten. Kritiker halten die neuen Regelungen trotzdem für zu lasch.

Straßburg - Ein weiterer Baustein der neuen europäischen Finanzarchitektur steht: Mit großer Mehrheit hat das Straßburger Europaparlament die Bestimmungen für Ratingagenturen verschärft. Es formalisierte damit einen Kompromiss, den die Abgeordneten zuvor Ende November mit den Regierungen der EU-Staaten erzielt hatten. Deren Finanzminister wollen dem Paket am kommenden Dienstag zustimmen. Da es sich nicht um eine Richtlinie handelt, die erst noch in nationales Recht umgesetzt werden muss, sondern um eine Verordnung, tritt diese schon wenige Wochen später in Kraft – gegen Ende Februar.

 

Die augenfälligste Änderung, die dann greifen wird, betrifft die Termine. War in der Vergangenheit moniert worden, die Kreditwürdigkeit von Eurostaaten werde auffallend oft kurz vor EU-Gipfeln herabgestuft, gibt es künftig keine Überraschungen dieser Art mehr: Die Ratingagenturen dürfen Staatsanleihen noch maximal drei Mal im Jahr bewerten – zu Zeitpunkten, die in einem Kalender festgelegt wurden. Abweichungen müssen genehmigt werden. Hinzu kommt, dass die Ratings nach Börsenschluss in Europa oder spätestens eine Stunde vor Wiedereröffnung öffentlich gemacht werden müssen – um nicht im laufenden Betrieb Aufruhr zu verursachen.

Ein alternatives Notensystem

Auch ein alternatives Notensystem wird entwickelt. Neben den leicht missverständlichen Bewertungen, die von der Topnote AAA bis D für Default oder Pleite reichen, soll künftig die zahlenmäßig ausgedrückte Kreditausfallwahrscheinlichkeit angegeben werden. Diese Idee wurde von der noch jungen Organisation Finance-Watch entwickelt, die mit dem Anspruch angetreten ist, der Brüsseler Finanzlobby unabhängige Expertise entgegenzusetzen.

Europas Abhängigkeit von den Bewertungen soll nach dem Wunsch der Gesetzgeber sinken. Das neue Gesetz verlangt nun von europäischen Firmen, sich „nicht ausschließlich und blind auf die Ratingagenturen zu verlassen“, wie der zuständige EU-Kommissar Michel Barnier im Parlament sagte, sondern eigene Risikobewertungen vorzunehmen. Weil die Politik die Abhängigkeit aber teils selbst verschuldet hat, werden nun bis 2020 peu à peu verschiedene EU-Rechtstexte geändert, die bisher direkt auf Ratings verweisen und sie damit verpflichtend gemacht haben.

Keine Forderung nach einer europäischen Agentur

Das hat den unangefochtenen Status der großen drei der Branche zementiert. Die US-Agenturen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch kommen auf einen Marktanteil von rund 95 Prozent, was ihnen Umsatzrenditen um die 40 Prozent beschert. Die Marktmacht einzuschränken oder gar zu brechen, war erklärtes Ziel des Gesetzes. Es legt nun zumindest fest, dass sich Agenturen mit einem Marktanteil von mehr als 20 Prozent nicht noch mit Konkurrenten zusammenschließen dürfen – wenn sie in Europa Geschäfte machen wollen. Wer mehr als fünf Prozent an einer Ratingagentur hält, darf künftig nicht mehr als fünf Prozent an Konkurrenten halten. Dass das Oligopol wirklich aufgebrochen wird, sieht der FDP-Abgeordnete Wolf Klinz nach der gestrigen Abstimmung nicht: „Die Oligopolstruktur bleibt noch Jahre erhalten.“

Die Forderung nach einer alternativen europäischen Ratingagentur, wie sie auch im schwarz-gelben Koalitionsvertrag verankert ist, findet sich im Gesetz nicht wieder. Weder die Christdemokraten im Parlament noch die Bundesregierung unterstützten im Gesetzgebungsprozess die Idee einer Stiftung. „Da ist in Berlin nur geblökt worden“, ärgert sich der grüne Abgeordnete Sven Giegold. Geblieben ist nur der Auftrag an die EU-Kommission, bis Ende 2016 die Möglichkeiten noch einmal auszuloten.

Ratingagenturen müssen für Ratings haften

Der CSU-Abgeordnete Markus Ferber verteidigt den Beschluss, da eine von der Politik ins Leben gerufene Agentur kein Vertrauen der Investoren genösse. „Ergibt sich das aus dem Markt, soll es mir recht sein“, so Ferber, „und ich hoffe, dass kleine Agenturen, die es schon gibt, durch das Mehr an Transparenz wachsen können.“ So mussten die Agenturen ihre Bewertungsmethoden schon bisher bei der EU-Aufsicht in Paris hinterlegen, nun müssen sie Ratings zusätzlich genau begründen. Die Kleinen sollen auch gefördert werden, indem der Wettbewerb in der Branche ein wenig angefacht wird: Für besonders komplexe Finanzprodukte sind zwei Ratings vorgeschrieben. Firmen und Finanzinstitute müssen alle vier Jahre die Agentur wechseln, die sie bewertet. „Das ist ein erster Test – das Rotationsprinzip könnte später erweitert werden“, so Kommissar Barnier, in dessen Gesetzesvorschlag vom Herbst 2011 deutlich mehr Abwechslung zwischen den Agenturen vorgesehen war.

Eine tatsächlich sehr weitgehende Neuregelung konnte Barnier mit Hilfe des Europaparlaments gegen den Widerstand aus vielen Hauptstädten durchsetzen. Die Ratingagenturen werden für ihre Ratings haftbar gemacht. „Sie werden für ihre Fehler zur Verantwortung gezogen, wenn sie schwer fahrlässig handeln oder das Gesetz absichtlich missachten“, so der Franzose. Geklagt werden kann am Ort des Schadensfalles. „Grobe Fahrlässigkeit nachzuweisen ist schwierig“, befürchtet der Grüne Giegold. Der CSU-Mann Ferber rechnet aber damit, dass „clevere amerikanische Anwälte, denen das Mittel der Sammelklage zur Verfügung steht, die neue EU-Gesetzgebung ganz genau studieren werden“.

Agenturen beharren auf „freie Meinungsäußerung“

Die Ratingagenturen dagegen sehen ihre Urteile als Ausdruck ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung. Der parlamentarische Berichterstatter Leonardo Domenici von den italienischen Sozialdemokraten hatte deswegen Ratings offiziell zu „Informationsdienstleistungen“ machen wollen, war damit jedoch gescheitert. Dennoch ist man im Europaparlament parteiübergreifend der Überzeugung, die große Marktmacht mache den Eingriff juristisch wasserdicht. Schließlich hatte kürzlich auch die US-Richterin Shira Scheindlin gesagt, dass Ratings eben „keine bloßen Meinungen sind wie etwa Restaurantkritiken“.

Damit es sich dabei nicht auch noch um Gefälligkeitsurteile oder gekaufte Bewertungen handelt, darf künftig kein Investor mit mehr als zehn Prozent an einer Ratingagentur beteiligt sein, von der er bewertet wird. Bei 9,9 Prozent bleibt das jedoch möglich, worauf der baden-württembergische SPD-Europaabgeordnete Peter Simon in der Debatte hinwies: „Das ist viel zu viel.“