Die Osterinsel gilt als Paradebeispiel für einen Ökozid: Die polynesische Gesellschaft dort soll sich selbst zugrunde gerichtet haben. Doch neue Erkenntnisse ziehen diese gängige Theorie in Zweifel.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Um die meterhohen steinernen Statuen zu errichten, waren riesige Menschengruppen nötig: So lautet die gängige Theorie über die Osterinsel. Die Moai genannten Monumente sprächen für eine einst blühende Kultur, die aber irgendwann kollabierte, weil die Menschen sämtliche Bäume auf der abgelegenen Pazifikinsel fällten und so die Böden auslaugten. Die Zivilisation der Isla de Pascua habe sich durch Raubbau an der Natur buchstäblich selbst zugrunde gerichtet.

 

Die Osterinsel, ein Paradebeispiel für einen Ökozid? Dem zerstörerischen Raubbau einer Gemeinschaft an den natürlichen Ressourcen ihrer Umwelt, der schließlich zur eigenen Ausrottung führte? Nur scheint diese gruselige Geschichte womöglich gar nicht zu stimmen.

Foto: Imago/Cover Images: Die Osterinsel ist 24 Kilometer lang, 13 Kilometer breit und bedeckt eine Fläche von 162,5 Quadratkilometern inmitten der unendlichen Weiten des Pazifischen Ozeans.

Nur 3000 statt 16 000 Einwohner?

Wahrscheinlich habe es nie eine derart große Bevölkerung auf der Insel gegeben wie gemeinhin angenommen, mutmaßen Forscher um Dylan Davis von der Columbia University in New York. Ihren Berechnungen zufolge konnten die kargen Böden der abgelegenen Pazifikinsel nicht 16 000, sondern allenfalls 3000 Menschen ernähren, schreibt das Forscherteam im Fachmagazin „Science Advances“ .

Die kolossalen Steinstatuen der Osterinsel werden Moai – auf Rapanui „Moai Maea“, steinerne Figuren - genannt. Foto: Imago/Pond5 Images
Forscher haben von 1969 bis 1976 insgesamt 887 Moai ermittelt. Vermutlich waren es ursprünglich über 1000. Foto: Imago/Pond5 Images

Doch kein zivilsatorischer Kollaps?

„Was wir gefunden haben, ist das Gegenteil der Kollaps-Theorie“, erklärt Davis. Die Bevölkerung habe mit den wenig fruchtbaren Böden und dem wenigen Wasser auf der Insel vielmehr ein erstaunliches System entwickelt, um sich autark zu ernähren.

Auch andere archäologischen Untersuchungen waren in den vergangenen Jahren bereits zu dem Schluss gekommen, dass es vor der Ankunft der Europäer im Jahr 1722 keinen gesellschaftlichen Zusammenbruch auf der Insel gegeben habe.

Ausgeklügeltes Sytem von Steingärten entwickelt

Die vulkanische Insel Rapa Nui ist verhältnismäßig trocken und die Küsten fallen steil ab, was sowohl Landwirtschaft als auch Fischerei erheblich erschwert. Als zentral gilt vielen Forschern dehalb die Nutzung ausgeklügelter Steingärten zur Ernährung der Bewohner.

Die Menschen verteilten demnach zum einen faustgroße Steine direkt auf der Erde. Außerdem zerbrachen sie in einem aufwendigen Verfahren Steine und arbeiteten diese in den Boden ein. Zusätzlich wurden große Steine zum Schutz aufgestellt. In den Zwischenräumen pflanzten sie zahlreiche Süßkartoffel-Varianten, einst die Hauptnahrungsquelle auf der Insel.

Die Moai sind größtenteils aus weichem Tuffstein gehauen, der vom Inselvulkan Rano Raraku stammt. Foto: Imago/Pond5 Images
Die im statistischen Mittel 4,05 Meter großen und 12,5 Tonnen schweren Statuen sind Bestandteil größerer Zeremonialanlagen gewesen. Foto: Imago/Pond5 Images

KI unterstützt Auswertung von Satellitenbildern

Die Wissenschaftler hatten eine Künstliche Intelligenz (KI) darauf trainiert, auf Satellitenbildern in einer speziellen Infrarotansicht solche von Menschen angelegten Steingärten zu erkennen. Denn nicht jeder Steinhaufen war zwangsläufig in früheren Zeiten auch ein Garten.

Im Ergebnis gehen die Forscher davon aus, dass die Steingärten weniger als ein halbes Prozent der Inselfläche ausmachten. Frühere Forschungen nahmen viel größere Flächen an. Die nun identifizierten Flächen hätten ausgereicht, um etwa 2000 Menschen mit Süßkartoffeln zu versorgen, heißt es in der Studie.

Außerdem hätten die Menschen noch Fisch und andere Meerestiere sowie Früchte wie Bananen, Yamswurzel, Taro-Knollen und Zuckerrohr gegessen. In der Summe landet das Forscherteam bei einer Bevölkerung von etwa 3000 Menschen.

Der höchste Berg der Insel ist der Maunga Terevaka mit 507,41 Metern. Foto: Imago/Zoonar
Die 3833 Kilometer vor der chilenischen Küste gelegene Insel ist berühmt für ihre geheimnisvollen Steinskulpturen. Foto: Imago/Pond5 Images

Überleben trotz begrenzter Ressourcen

„Was wir hier wirklich sehen, ist, dass die Insel wegen der ökologischen Einschränkungen nie viele Menschen ernähren konnte“, erläutert Davis. Die Menschen hätten es im Gegenteil geschafft, ihre Lebensräume anzupassen und so die Fläche, die sie bewirtschaften konnten, zu vergrößern.

„Das ist kein Beispiel für eine ökologische Katastrophe, sondern dafür, wie Menschen trotz wirklich begrenzter natürlicher Ressourcen auf recht nachhaltige Weise über lange Zeit hinweg überleben konnten.“

Info: Osterinsel

Isla de Pascua
„Isla de Pascua“, wie die Osterinsel auf Spanisch heißt - oder Rapa Nui, so der Name der Rapanui, der polynesischen Ureinwohner - ist eines der einsamsten Eilande auf dem Planeten. Die 3833 Kilometer vor der chilenischen Küste gelegene Insel ist bekannt durch seine geheimnisvollen Steinskulpturen. Ihren Namen erhielt die Osterinsel von dem Niederländer Jakob Roggeveen, der im Auftrag der Westindischen Handelskompanie am Ostersonntag, 5. April 1722, mit drei Schiffen dort landete. Er nannte sie „Paasch-Eyland“ (holländisch für Osterinsel) – nach dem Tag ihrer Entdeckung.

Spanischer Besitz
Der Seefahrer Don Felipe González segelte im Auftrag von Manuel d’Amat i de Junyent, Gouverneur von Chile und Vizekönig von Peru, bis zur Magellanstraße (die  Meerenge mit zahlreichen Inseln und Seitenarmen zwischen dem südamerikanischen Festland und der Insel Feuerland) und annektierte nebenbei alles, was ihm vors Schiff lief für Spanien – so auch „Paasch-Eyland“. Am 15. November 1770 landete González mit dem Linienschiff „San Lorenzo“ und der Fregatte „Santa Rosalia" auf der Osterinsel, errichtete mehrere Kreuze an markanten Punkten und gab ihr den Namen „San Carlos“ bzw. „Isla de Pascua“.

Steckbrief

• Einwohner: knapp 8000

• Länge: 24 Kilometer

• Breite: 13 Kilometer

• Fläche:162,5 Quadratkilometer

höchster Berg: Maunga Terevaka (507,41 Meter)

• Hauptort: Hanga Roa

nächstgelegenes bewohntes Eiland: Pitcairn im Westen,  2078 Kilometer entfernt

Moai
Die kolossalen Steinstatuen der Osterinsel werden Moai – auf Rapanui „Moai Maea“, steinerne Figur - genannt. Der deutsche Missionar und Sprachforscher Pater Sebastian Englert (1888-1969) nummerierte und katalogisierte 638 Statuen.Das „Archaeological Survey and Statue Projekt“ von 1969 bis 1976 ermittelte insgesamt 887, vermutlich waren es jedoch ursprünglich über 1000 Moai.