Europas höchst erfolgreiche Trägerrakete Ariane 5 bekommt eine Nachfolgerin. Lange hatten Frankreich und Deutschland unterschiedliche Vorstellungen. Jetzt liegt ein Kompromiss vor, der am Dienstag beschlossen werden soll.

Stuttgart - Hinter den Kulissen der europäischen Raumfahrtagentur (Esa) hat es in den vergangenen Monaten gewaltig geknirscht. Noch vor zwei Wochen stieß Johann-Dietrich Wörner, der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt (DLR), in seinem Blog einen – strategisch wohlüberlegten – Stoßseufzer aus: „Raumfahrt eignet sich nicht zum Basarhandel“, schrieb er, und meinte damit das Tauziehen zwischen Frankreich und Deutschland um ein neues Konzept für die Ariane-Rakete sowie die Beteiligung an der Internationalen Raumstation ISS. Nur wenige Tage später aber einigten sich Frankreich, Italien und Deutschland bei einem Vorbereitungstreffen in Köln doch – zum Erstaunen Wörners, der das Treffen moderierte.

 

Der Kompromiss, der dort beschlossen wurde, soll am Dienstag beim Esa-Ministerratstreffen abgesegnet werden. Er trägt zwar den Namen des französischen Vorschlags (Ariane 6), enthält aber viele Ideen aus dem deutschen Konzept (Ariane 5 ME, abgekürzt für Midlife Evolution). Beide Seiten feiern ihn als Erfolg. Zu Recht, wie Stefan Schlechtriem glaubt, der als Leiter des DLR-Standorts Lampoldshausen die Verhandlungen aufmerksam verfolgt hat. Dabei stand auch die Zukunft seiner Mitarbeiter auf dem Spiel – in Lampoldshausen werden die Ariane-Triebwerke getestet. Dass es in Köln gelungen ist, trotz der schwierigen europäische Infrastruktur die Interessen aller beteiligten Länder zu bedienen, dennoch den Preis zu senken und dabei auch noch ein sinnvolles flexibles Baukastensystem zu ersinnen, das hält Schlechtriem für einen erstaunlichen Verhandlungserfolg.

Ein Baukasten für zwei Raketen

Das neue Konzept sieht die Entwicklung von zwei Raketen vor, die Ariane 6-2 und Ariane 6-4 genannt werden. Die letzte Zahl beziffert dabei, wie viele kleinere Feststoff-Antriebe die Flüssiggasantriebe ergänzen. Die Ariane 6-2 hat zwei dieser sogenannten Booster, ist für Satelliten bis zu 6,5 Tonnen ausgelegt und entspricht dem Wunsch der Satellitenbetreiber nach flexiblen Starts. Die größere Ariane 6-4 ist für Nutzlasten bis zehn Tonnen ausgelegt. Beide könnten auch jeweils zwei kleinere Satelliten transportieren. Zahlreiche Teile des Baukastensystems sollen aus anderen Programmen der Esa entnommen werden – die Feststoffantriebe etwa aus der Produktion der Vega-Rakete. Insgesamt wird die Entwicklung des neuen Konzeptes vier Milliarden Euro kosten. Ziel ist, deutlich preisgünstiger und damit wieder wettbewerbsfähiger zu werden. Zwar liegt der Marktanteil der Ariane immer noch bei 40 bis 50 Prozent. Doch der neue Konkurrent Space X aus den USA jagt ihr mit günstigeren Preisen zunehmend die Kunden ab.

Ob der nun ausgehandelte Deal Bestand hat, muss sich allerdings erst noch zeigen. Beschlossen werden soll er am Dienstag, wenn sich die zuständigen Minister der 20 Mitgliedsländer in Luxemburg treffen. Dabei soll nicht nur über das neue Ariane-Konzept diskutiert werden, sondern auch über die Frage, ob sich die Esa über das Jahr 2016 hinaus an der internationalen Raumstation ISS beteiligt, und wer wie viel der Kosten übernimmt. Eine Entscheidung wird es nur im Paket geben. Für die Erfüllung deutscher Wünsche beim Ariane-Konzept muss Deutschland seine finanzielle Beteiligung in Höhe von 25 Prozent der Kosten aufstocken. Bei der Ariane stemmen bisher die Franzosen 50 Prozent der Kosten, Italien beteiligt sich mit 15 Prozent, Großbritannien gar nicht.

Wer übernimmt welchen Kostenanteil?

Bei der internationalen Raumstation dagegen ist es genau umgekehrt: Hier zahlt Deutschland zurzeit fast 50 Prozent des europäischen Beitrags in Höhe von 800 Millionen Euro für die nächsten drei Jahre. Ursprünglich vereinbart waren 37,5 Prozent, also deutlich weniger. Doch als Frankreich und Italien beim letzten Treffen vor zwei Jahren ihren Beitrag kurzerhand zurück fuhren, hat Deutschland dies ausgeglichen. Als Gegenleistung für den Kompromiss bei der Ariane erhofft sich Johann-Dietrich Wörner nun, dass beide Länder wieder ihre Beiträge erhöhen. Die Abgesandten der beiden Länder haben die Bereitschaft dazu in Köln auch signalisiert. Allerdings sind seither Stimmen laut geworden, dass zuerst die Briten in die Pflicht genommen werden müssten – nun, da auch ein Brite im Astronautenkorps trainiert.

Sollte der Streit hinter den Kulissen tatsächlich beendet sein und am Dienstag alles wie geplant laufen, wird dennoch nur wenig Zeit bleiben, den Verhandlungserfolg zu feiern. Die eigentlichen Herausforderungen für das Projekt beginnen dann erst. Das neue Konzept wird nur funktionieren, wenn auf das bisherige Esa-Prinzip des sogenannten „geographic return“ verzichtet wird. Bisher bekam jedes Land in Form von Aufträgen etwa so viel zurück, wie es in das gemeinsame Projekte gesteckt hat. Das wird sich nun ändern.

Zwei Konzerne tun sich zusammen

Der Raumfahrtkonzern Airbus und der französische Triebwerkshersteller Safran haben bereits ein Konzept vorgelegt, wie sie die neue Ariane zum Stückpreis von etwas mehr als 70 Millionen Euro bauen wollen. Dafür legen Airbus und Safran ihre Raketensparten zusammen, was eine gewaltige Veränderung für die gesamte Branche mit sich bringen wird. Der Zusammenschluss hat jetzt eine wichtige Hürde genommen – die Genehmigung durch die Kommission der EU. Sie bewilligte das Konzept am Mittwoch, machte den Partnern allerdings Auflagen.

Dass die Rakete von einem neuen Joint Venture gebaut werden soll, das sich gerade erst im Aufbau befindet, macht die Planung für die Esa nicht einfacher. Es gebe zahlreiche Fragen, die noch offen seien, sagte Johann-Dietrich Wörner. Obendrein muss sich zeigen, ob die beiden Raketen in der jetzt ausgetüftelten Konfiguration überhaupt technisch machbar sind. Man habe deshalb vereinbart, in zwei Jahren noch einmal zusammenzukommen, wenn das geprüft worden sei. Dann soll die eigentlich bindende Entscheidung fallen.

Der Erstflug verzögert sich um zwei Jahre

Wenn bis dahin alles glatt läuft, könnte der Erstflug im Jahre 2020 erfolgen – zwei Jahre später als bisher angestrebt. Das halten die Esa-Mitglieder offenbar für akzeptabel, wenn die Ariane-Produktion im Gegenzug wirtschaftlicher wird. In Lampoldshausen schätzt man die neue Planung als nachhaltig und standortsichernd ein. Anderswo sind die Bedenken weit größer.

Wenn das Joint Venture von Airbus und Safran die Produktion tatsächlich übernimmt und dafür auch die Anteile der französischen Raumfahrtagentur an Arianespace aufkauft, bedeutet das eine weitgehende Privatisierung. Das wird mit großer Wahrscheinlichkeit auch den Wegfall zahlreicher Arbeitsplätze mit sich bringen.

Der Kompromiss im Detail

Frankreichs Ariane 6
Frankreichs ursprünglicher Vorschlag war, die Ariane zu schrumpfen, damit nicht ein Passagier auf einen zweiten warten muss, und sie mit Feststofftriebwerken auszustatten, wie sie die französische Atomraketen benutzen. Das Ziel war, die Produktion nach Frankreich zu verlegen.

Deutschlands Ariane 5 ME
Deutschland setzte auf die Entwicklung einer größeren Rakete mit einer Nutzlast von bis zu zwölf Tonnen sowie auf größere Triebwerke. Die ME hätte ganz auf Feststoffantriebe verzichtet. Dieses Konzept, für das 2012 eine Machbarkeitsstudie bewilligt worden war, ist nun ganz vom Tisch.

Die neue Ariane 6
Die Hauptstufe für die künftige Rakete kommt von der jetzigen Ariane 5, die Feststoffraketen kommen von der kleinen europäischen Schwester-Rakete Vega, und die Oberstufe stammt aus dem deutschen Alternativ-Konzept der 5 ME. Mit dem neuen Konzept entsteht eine Ariane-Familie.