Es dauerte einige Jahre, bis Kurt Widmaier, der Sohn eines Landwirtschaftsdirektors, in seinem Traumjob angekommen war. Seine Sporen verdiente er sich als Journalist, was vielleicht am besten das Misstrauen erklärt, das er dieser Spezies seither entgegenbringt. Dann wechselte er nach Tübingen, wurde Vizepräsident beim Regierungspräsidium und musste weichen, weil die FDP den Posten beanspruchte. Widmaier machte nolens volens für zwei Jahre in Stuttgart den Präsidenten der Akademie für Technikfolgenabschätzung. Dann endlich war das Amt frei. Widmaier gewann die Wahl im ersten Anlauf und düpierte den Ersten Bürgermeister der Stadt Ravensburg, der sich schon fast gewählt wähnte.

"Die einen warten, bis die Zeiten sich wandeln. Die anderen packen an und handeln." Weisheiten wie diese vom italienischen Dichter Dante rezitiert Widmaier gern bei den Verleihungen von Ehrenmedaillen und Verdienstkreuzen. Aber auf keinen passen sie besser als auf ihn selbst. Denn hinter seiner leutseligen Gemütlichkeit steckt ein wacher Verstand, der weiß, wann der rechte Augenblick gekommen ist. Möglich, dass sich Widmaier solche schönen Aperçus bald wird verkneifen müssen. Denn sie könnten ihm auf die Füße fallen.

Die weite Welt hat gefehlt


Das selbst gestrickte Bild vom gutmütigen Provinzfürsten hat durch den Einstieg des Landes beim Stromkonzern Energie Baden-Württemberg (EnBW) einen Riss bekommen. Auf dieser Bühne spielt Kurt Widmaier eine völlig andere Rolle. Eine, die er sich nicht ausgesucht hat und die ihm möglicherweise zu groß ist. Als Vorsitzender der Verbandsversammlung der Oberschwäbischen Elektrizitätswerke (OEW) und Vorsitzender des Verwaltungsrates repräsentiert er den mit 45,01 Prozent gleichberechtigten Hauptaktionär des drittgrößten deutschen Energiekonzerns (17,5 Milliarden Umsatz). Als die Électricité de France (EdF) im Mai 2000 bei der EnBW einstieg, knallten Welten aufeinander. Provinz traf auf Weltstadt, Wurschtigkeit auf Eleganz, Ambition auf Effizienz. Die Energiemanager in Paris merkten bald, aus welchem Holz diese offenkundig ahnungslosen Hinterwäldler geschnitzt waren und feixten intern von der "Rocky Horror Picture Show", die die Landräte abzogen.

Widmaier, der den Posten 2006 übernommen hatte, zeigt sich unbeeindruckt. Nach anfänglichem Fremdeln scheint ihm die Aufgabe immer besser zu gefallen. Mit EdF-Chef Henri Proglio in Paris auf Augenhöhe zu verhandeln und sich von EnBW-Chef Hans-Peter Villis in Karlsruhe Bericht erstatten zu lassen, war das bisschen weite Welt, das ihm zum Glück gefehlt hatte.

Widmaier ist in der Defensive


Doch dann kam der Nikolaustag 2010. CDU-Ministerpräsident Stefan Mappus gab bekannt, dass das Land den 45-Prozent-Anteil von der EdF übernehmen will. Zugleich bestätigte Widmaier, dass er im Namen der OEW auf eine Verkaufsoption verzichtet hatte. Mappus habe ihn darum gebeten und ihm gesagt, dass das gut für das Land sei. Es wurde klar, dass Widmaier Mappus gerne diesen Dienst erwiesen hat. Also fragte er auch niemanden.

Da zeigt er sich wieder, der Pater familias, der gütige Hirte, der schon am besten weiß, was gut ist für seine Schäflein und was nicht. In seiner Eilentscheidung berief sich Widmaier auf den Konsens unter den Landräten. Ein Verkauf habe "nie zur Diskussion gestanden". Zu fragen sei auch gar nicht nötig gewesen, argumentierte er weiter. Denn schließlich stellt er selbst ganz allein in der entscheidenen OEW Energie-Beteiligungs GmbH die Gesellschafterversammlung dar. Seither ist vom allmächtigen Widmaier die Rede. Zusammen mit der OEW-Geschäftsführerin Barbara Endriss, einer Diplomverwaltungswirtin (FH) aus seinem Landratsamt, stimmte er auch einem Depotsperrvermerk zu. Mit dem sichert sich das Land doppelt ab.

Sollte es nämlich der OEW nachträglich doch noch einfallen, dass es Aktien versilbern will, setzt es eine Strafe in Höhe des Verkaufspreises. Dann würden die Aktien quasi verschenkt. In den OEW-Kreisen hat sich insbesondere bei den Grünen und Sozialdemokraten Unmut angesammelt. Auch der ein oder andere OEW-Landrat ist nachdenklich geworden. Die Kritiker fragen, ob der OEW und damit den Kreisen nicht ein erstklassiges Geschäft durch die Lappen gegangen sei. Hunderte Millionen Euro, mit denen sie ihre klammen Kreiskassen hätten entschulden können. Die 41,50 Euro, die das Land pro Aktien zahlt, würden sich wohl so schnell nicht wieder erlösen lassen. Diesmal verfängt die altväterliche Attitüde Widmaiers nicht. Sie fragen, ob der Jack so selbstherrlich handeln durfte. Möglicherweise habe er sich sogar der Untreue schuldig gemacht.

Widmaier ist wie noch nie zuvor in seinem Leben in die Defensive geraten. Inzwischen beruft er sich auch noch auf das in der Landkreisordnung verbriefte Recht auf "Eilentscheidung" in dringenden Angelegenheiten. Fraglich ist nur, ob dieses Recht im Falle des Zweckverbandes greift. Vielleicht, sagen Kritiker, hätte Widmaier die eilig für den 6. Dezember nach Überlingen einberufene Verbandsversammlung fragen sollen? Als er zusammen mit Mappus den überrumpelten OEW-Mitgliedern den Milliardendeal erläuterte, habe er "nur Zustimmung erfahren", verteidigt sich Widmaier. Tatsächlich, sagt ein Beteiligter, sei's ein wenig anders gelaufen. Zunächst hätten Mappus und Widmaier sowie die beteiligten Anwälte des Landes und der OEW versichert, dass bei dem Handel alles legal gelaufen sei. Dann habe Widmaier fragend in die Runde geblickt und gesagt: "Da hat doch keiner was dagegen, oder?"