Der Obermeister der Stuckateurinnung Rems-Murr stellt nach einer ernüchternden Razzia auf der Winnender Klinikbaustelle eine provokante Forderung.

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)

Korb - Wann genau das Familienunternehmen gegründet wurde, kann Jörg Löffler nicht mehr exakt zurückverfolgen. Die letzte erhaltene Buchführung seines Urgroßvaters Wilhelm Löffler datiert aus dem Jahr 1894. "Aus Tradition gewachsen, der Zukunft verpflichtet" lautet das Motto des Sieben-Mann-Stuckateurbetriebs aus Korb (Rems-Murr-Kreis).

 

Momentan jedoch hadert Jörg Löffler in seiner Funktion als Obermeister der Stuckateurinnung Rems-Murr mit der Baubranche. Der konkrete Anlass ist das Ergebnis einer Kontrolle auf der Winnender Klinikbaustelle. Wie berichtet, haben Fahnder des Stuttgarter Hauptzollamts dort, wo der Landkreis seine neue Klinik bauen lässt, vermutlich mehr als ein Drittel aller angetroffenen Arbeiter als Schwarzarbeiter, illegal Beschäftigte oder Scheinselbstständige enttarnt.

Seriöse betriebe haben im Preiskampf keine Chance

Den Obermeister der heimischen Stuckateure überrascht das nicht. "Mit ,legalen' Mitarbeitern lassen sich öffentliche Aufträge eigentlich nicht mehr kostendeckend ausführen", behauptet er. Während in den vergangenen Jahren einerseits die Material- und Lohnkosten stetig gestiegen seien, gingen die erzielbaren Erlöse in diesem Bereich immer weiter nach unten.

Schuld an dieser Entwicklung ist laut Löffler das öffentliche Auftragsvergabesystem, bei dem zwingend der billigste Bieter engagiert werden müsse. Seriöse Betriebe hätten bei diesem System kaum eine Chance, zum Zuge zu kommen. Den Zuschlag erhielten meist Firmen, die mit zum Teil mehreren Subunternehmen arbeiteten, die wiederum vielfach gesetzliche Mindestanforderungen ignorierten.

Die Verschachtelungen der Firmen, die sich bisweilen über mehrere verschiedene, meist osteuropäische Länder erstreckten, seien oft kaum noch nachzuvollziehen. So könnten selbst bei einwandfrei festgestellten Verstößen nachzuzahlende Sozialversicherungsbeiträge oder Geldstrafen unmöglich eingetrieben werden. "Dem Staat entgeht so ein Haufen Geld", sagt Löffler.

Richtpreise können Abhilfe schaffen

Das "System superbillig" der öffentlichen Ausschreibungen sei eine Milchmädchenrechnung und müsse deshalb dringend reformiert werden-indem Schwarzarbeit legalisiert werde. Das zumindest fordert der Obermeister der Stuckateurinnung in einer Pressemitteilung. Allerdings eher um Aufmerksamkeit zu erregen. Denn wörtlich will Löffler seine Forderung nicht verstanden wissen.

"Ich bin kein Experte auf diesem Gebiet", bekennt er. Verbesserungsvorschläge hat er aber zuhauf: Vielleicht wäre es besser, wenn der Zweitgünstigste beauftragt würde, oder derjenige, der dem Mittelwert aller Gebote am nächsten kommt. Für praktikabel hielte es der Handwerker auch, wenn die Handwerkskammer eine Liste mit Richtpreisen für verschiedene Leistungen erstellen würde.

Wenn nämlich die kolportierte Summe stimme, die die Rems-Murr-Klinken in die Fassadendämmung ihrer neuen Klinik investierten, hätte dem Auftraggeber mit Hilfe von Richtpreisen von vornherein klar sein müssen, dass die Handwerkerrechnung nicht aufgehen könne. "Das reicht noch nicht einmal für das Material", sagt Löffler. Wie die beauftragten Betriebe auf ihre Kosten kommen, kann er sich nicht erklären.

 Unausreichende Referenzen und ungenügende Kontrollen

Dafür kann sich Klaus Bissinger nicht ganz erklären, wie der Stuckateur aus Korb zu seinen Vorschlägen kommt. Der Geschäftsführer der Verbandes Bauwirtschaft Baden-Württemberg, der 1650 Mitgliedsbetriebe im Land vertritt, hat einen völlig anderen Blick auf die Angelegenheit: "Die Vergaberegeln sind klar und bieten alle Möglichkeiten, die man als Bauherr braucht - man muss sie nur richtig handhaben."

Zustände, wie sie offensichtlich auf der Baustelle der Rems-Murr-Kliniken festgestellt wurden, dürften nicht passieren. Dies deute eher darauf hin, dass bei der Auftragsvergabe nicht genügend hinterfragt, dass nicht ausreichend Referenzen eingeholt worden seien. Möglicherweise sei auch während der laufenden Arbeiten ungenügend oder zu spät kontrolliert worden, mutmaßt Bissinger.

 "Wir scheuen den Wettbewerb nicht"

Grundsätzlich sei die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) keine schlechte Sache, sagt auch Gerd Kistenfeger, der Sprecher der Handwerkskammer Stuttgart. Allerdings "liegt auf der Hand, dass wir nicht immer ganz glücklich damit sind." Kistenfeger nennt ein Beispiel: "Wenn hier ein Schulhaus von einem Unternehmer aus dem Bayerischen Wald gebaut wird, kann dieser nicht wegen eines tropfenden Wasserhahns gleich vorbeikommen und den Mangel beseitigen."

In die Generalkritik an der Vergabepraxis will der Kammersprecher allerdings nicht einstimmen. Gleichwohl sagt er: "Herr Löffler ist ein erfahrener Mann der Praxis. Er wird seine guten Gründe für die Kritik haben."

Vor allem hat der Obermeister Löffler wie viele seiner Innungsbetriebe längst eine Konsequenz gezogen: Er beteiligt sich fast gar nicht mehr an öffentlichen Ausschreibungen. "Wir scheuen den Wettbewerb nicht", sagt Löffler, "aber er muss fair sein - und das ist er momentan nicht."

Illegal auf dem Bau: Die Kontrolleure haben viel zu tun

Zahlen Die Industriegewerkschaft Bau Stuttgart hat vor wenigen Wochen erst gefordert, dass die Schwarzarbeit-Kontrolleure beim Stuttgarter Hauptzollamt mit deutlich mehr Personal ausgestattet werden müssten. Allein in den ersten sechs Monaten dieses Jahres haben die Fahnder der Finanzkontrolle in der Region mehr als 2500 Verfahren wegen illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit eingeleitet.

Fälle Aufsehen erregte eine Kontrolle der neuen Stuttgarter Bibliothek Mitte Oktober. Bei deren Innenausbau sollen Schwarzarbeiter beschäftigt worden sein. Nach ersten Ermittlungen wurden mehrere Verfahren wegen Hinterziehung von Sozialversicherungsabgaben eingeleitet. Im Sommer des vergangenen Jahres stellten Zöllner auf der Baustelle am Nordflügel des Stuttgarter Bahnhofs in neun Fällen Unregelmäßigkeiten fest. Unter anderem bestand bei einigen Arbeitern der Verdacht auf Scheinselbstständigkeit.