Bei der bundesweiten Großrazzia gegen Linksautonome fünf Monate nach den Krawallen des G20-Gipfels in Hamburg gab es auch in und um Stuttgart Polizeiaktionen. Bei den Beschuldigten wurde Erstaunliches gefunden.

Stuttgart/Hamburg - Die Polizisten rücken morgens um sechs in voller Kampfmontur an, und sie machen nicht viel Federlesens. Mit einem Rammbock dringen die Beamten in das Zimmer einer 27-jährigen WG-Bewohnerin ein, suchen nach Beweismitteln. Schauplatz der Razzia ist das Linken Zentrum Lilo Herrmann an der Böblinger Straße in Heslach. Auch 500 Meter Luftlinie entfernt, nicht weit vom größten Polizeirevier Stuttgarts im Stadtbezirk West, wird ein 29-jähriger Beschuldigter unsanft geweckt. Ähnlich geht es bei einer Razzia in der Region zu – bei einem 23-Jährigen in der 5600-Einwohner-Gemeinde Dettingen/Erms im Kreis Esslingen.

 

Die Polizeiaktionen am Dienstagmorgen sind Teil einer bundesweiten Großrazzia gegen Linksautonome. Fünf Monate nach den Krawallen beim G-20-Gipfel in Hamburg hat die Polizei 24 Einrichtungen und Wohnungen in acht Bundesländern durchsucht. Die Razzia richtet sich gegen 22 Beschuldigte, denen schwerer Landfriedensbruch vorgeworfen wird. Die Ermittler wollen weitere Beweise: „Vor allem Speichermedien sind es, die wir gesucht haben“, sagt Jan Hieber, Leiter der Soko Schwarzer Block in Hamburg.

Zwischen Macheten und Nebelkerzen

Wer suchet, der findet auch anderes. „Da ist ein ganzes Waffenarsenal zusammengekommen“, sagt Horst Haug, Sprecher des Landeskriminalamts Baden-Württemberg, das die Aktionen in der Region koordiniert hat. Schreckschusswaffe, Messer und Macheten, Armbrust mit Pfeilen, Teleskopschlagstock und Baseballschläger, Sturmmaske mit Totenfratze – für die Polizei ein Zeugnis einer Gewaltbereitschaft in der linksautonomen Szene. „Mögliche Verstöße gegen das Waffengesetz sind Gegenstand der laufenden Ermittlungen“, sagt Haug.

Im Linken Zentrum in Heslach wird die Aktion gegen die Mitbewohnerin ganz anders bewertet: „Es ist offensichtlich, dass die Durchsuchungsmaßnahme der Versuch der Hamburger Polizei ist, von den polizeilichen Übergriffen während des G 20 abzulenken“, heißt es dort. Die linksautonome Szene kritisiert, dass „Beteiligte zu Sündenböcken gemacht und kriminalisiert werden“ – und ruft noch am selben Abend zu einer Kundgebung in der Stadt auf. Dort treffen sich laut Polizei 50 bis 60 Teilnehmer, alles bleibt friedlich. Jens Heidrich, Sprecher des Linken Zentrums, kritisiert den Polizeieinsatz im Lilo-Herrmann-Haus als „unverhältnismäßig“.

Für den Stadtrat der SÖS/Linke-plus Luigi Pantisano ist klar: „Diese Razzia ist eine Nebelkerze, um von den eigentlichen negativen Presseberichten zu den Verfehlungen der Polizei und der Strafverfolgungsbehörden rund um die G-20-Gipfels abzulenken“, sagt er. „Diese Energie“, so Pantisano, „wäre besser eingesetzt in einer ernsthaften Suche von den aktuell 500 untergetauchten kriminellen Neonazis in Deutschland.“

Soko-Leiter: „Ein gewalttätig handelnder Mob“

Die Hamburger Polizei mit 63 Ermittlern in der Sonderkommission Schwarzer Block widerspricht. „Es handelte sich um einen gewalttätig handelnden Mob“, sagt Soko-Leiter Jan Hieber. Hintergrund der Razzia ist ein Teilereignis des Gipfels, sozusagen die Ouvertüre am 7. Juli um 6.30 Uhr. In einem Gewerbegebiet im Stadtteil Bahrenfeld im Westen Hamburgs waren etwa 200 Gipfelgegner und Polizeieinheiten aufeinander gestoßen. In der Straße Rondenbarg, wo die Steinway-Klavier-Manufaktur ihre weltberühmten Flügel herstellt, ging es voll zur Sache. Staccato, sozusagen. Feuerwerkskörper und Wurfgeschosse flogen, es gab 14 Verletzte unter den Gipfelgegnern, als auf der Flucht eine Mauer unter ihrem Gewicht zusammenbrach.

Für die Hamburger Soko, bei der auch zwei Beamte aus dem baden-württembergischen LKA mitarbeiten, ist die Rondenbarg-Randale ein Beweis dafür, dass „die militanten Ereignisse abgesprochen“ gewesen seien. Die Gewalttäter seien koordiniert in Gruppen unterwegs gewesen. Inzwischen habe man 73 Verdächtige im Visier, sagt Soko-Leiter Hieber, 26 von ihnen seien aber noch nicht namentlich bekannt. Drei wurden erst kürzlich identifiziert – und sind unter den jetzt 22 Beschuldigten.

Öffentlichkeitsfahndung soll ausgeweitet werden

Freilich: Festnahmen gab es am Dienstag keine. Auch Haftbefehle wurden nicht beantragt: „Die gibt es nur bei Flucht- oder Verdunkelungsgefahr oder fehlendem Wohnsitz“, sagt Fahnder Hieber. Ihm sind erst einmal andere Dinge wichtig: 26 Computer, 35 Handy und zahlreiche Speichermedien sollen verraten, was die 22 Beschuldigten wirklich getan haben. Und doch sei das alles nur „eine Zwischenetappe“.

Polizeipräsident Ralf Martin Meyer kündigt noch am Dienstag an, die Öffentlichkeitsfahndung nach mutmaßlichen G-20-Randalierern noch einmal auszuweiten. Es seien noch für diesen Monat umfangreichere Maßnahmen als bisher in dieser Hinsicht geplant, so Meyer. „Wir haben uns jetzt ein Stück weit dem genähert, was dort passiert ist.“ Letztlich gehe es darum, „Hintergründe und Strukturen“ in der autonomen Szene offenzulegen. Die bisherige Bilanz: 3000 Ermittlungsverfahren, elf Untersuchungshäftlinge, 24 verhängte Freiheitsstrafen.