Bei einer Razzia in Berlin werden zwei Verdächtige verhaftet, die die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) unterstützt haben sollen. Nach Angaben aus Sicherheitskreisen hält die Ausreise von Extremisten aus Deutschland in den Irak und nach Syrien weiter an.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Berlin - Bei einem Großeinsatz gegen die Berliner Islamistenszene sind am Freitag zwei Männer festgenommen worden. 250 Polizeibeamte, darunter drei Spezialeinsatzkommandos, durchsuchten Freitagmorgen überwiegend in Wedding und Moabit elf Wohnungen. Sie verhafteten zwei Männer im Alter on 41 und 43 Jahren. Staatsschutz und die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hatten zuvor mehrere Monate lang in der militanten islamistischen Berliner Szene ermittelt. Trotz der zeitlichen Nähe zu den Terroranschlägen in Paris und den Anti-Terror-Einsätzen andernorts versichert die Polizei, dass „keine Anhaltspunkte“ für die Vorbereitung von Anschlägen in Deutschland vorlägen.

 

Gegen insgesamt fünf türkische Staatsangehörige im Alter von 31 bis 44 Jahren richten sich die Ermittlungen. Die Männer stehen laut Polizei im Verdacht, eine „schwere staatsgefährdende Gewalttat in Syrien“ vorbereitet zu haben. Außerdem werden sie der Geldwäsche bezichtigt. Seit Jahren sollen die Beschuldigten im gewaltbereiten salafistischen Spektrum mitmischen. Die Ermittler gehen davon aus, dass sie massiv den so genannten Islamischen Staat (IS) und tschetschenische Gruppen unterstützen, die in Syrien kämpfen.

Der Kopf einer Extremistengruppe

Vor allem auf den 41-jährigen Ismet D. hatten es die Spezialkräfte anscheinend abgesehen. Er soll in Berlin-Tiergarten der Kopf einer Extremistengruppe vornehmlich türkischer und russischer Staatsangehöriger sein, die wiederum tschetschenischer und dagestanischer Herkunft sind. Als selbst ernannter „Emir“ und so genannter „Weisenratspräsident“ soll er die Extremistengruppe radikalisiert und auf die Teilnahme am Dschihad in Syrien vorbereitet haben. Der zweite Festgenommene, der 43-jährige Emin F. sei für die Finanzen zuständig gewesen. Gemeinsam sollen sie Mitglieder der Gruppe bei der Ausreise nach Syrien organisatorisch und finanziell unterstützt haben. „Erhebliche Geldbeträge“ seien für die Ausübung von Terrortaten in Syrien geflossen, hochwertiges Kriegsmaterial, zum Beispiel spezielle Nachtsichtgeräte, soll beschafft worden sein.

Auch in Wolfsburg hat die Polizei einen Terrorverdächtigen festgenommen. Der 26-jährige Deutsch-Tunesier soll sich der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) angeschlossen haben. Es gebe aber keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass er Anschläge in Deutschland geplant oder vorbereitet habe, heißt es. Der Mann soll zwischen Ende Mai und Mitte August 2014 in Syrien eine Kampfausbildung durchlaufen haben. Bei einer militärischen Offensive soll er Tote und Verletzte vom Schlachtfeld geborgen haben. Außerdem wird ihm zur Last gelegt, dass er weitere Kämpfer für den IS angeworben habe.

In Pforzheim Wohnungen durchsucht

In Pforzheim sind am Donnerstag von der Polizei mehrere Wohnungen von mutmaßlichen Islamisten durchsucht worden. Gegen eine nicht genannte Zahl von Verdächtigen werde wegen des „Verdachts der Vorbereitung einer schweren, staatsgefährdenden Gewalttat“ ermittelt, bestätigte am Freitag eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Karlsruhe. Bei der Aktion, an der mehrere Dutzend Ermittler beteiligt gewesen sein sollen, seien von den Beamten Beweismittel beschlagnahmt worden. Die Durchsuchungen sollen allerdings nicht im Zusammenhang mit dem Terroranschlag von Paris stehen. Auch habe es keine konkreten Anschlagspläne gegeben. Festgenommen wurde niemand. Pforzheim entwickelte sich in den vergangenen Jahren immer stärker zu einem Treffpunkt der salafistischen Szene im Südwesten, mit Auftritten unter anderem von Predigern wie dem Kölner Pierre Vogel.

Unterdessen hält nach Angaben aus Sicherheitskreisen die Ausreisewelle deutscher Islamisten in den Dschihad nach Syrien oder in den Irak an. Über 600 Extremisten hätten Deutschland inzwischen verlassen, um für die Islamistenmiliz IS oder andere militante Gruppen zu kämpfen, hieß es am Freitag. Vor einer Woche war noch von mehr als 550 Ausreisen die Rede. Der Anstieg hänge jedoch nicht mit dem Anschlag auf die französische Satire-Zeitung „Charlie Hebdo“ zusammen, sondern mit dem Turnus der Zahlenerhebung, hieß es weiter. „Das ist eine kontinuierliche Entwicklung und hat nichts mit dem Attentat zu tun“, erklärte ein Vertreter einer deutschen Sicherheitsbehörde. „Unabhängig von dem Anschlag in Paris ist die Ausreise für einige Leute einfach attraktiv.“ Grundsätzlich habe die Zahl der Ausreisen bereits seit Mitte des Jahres deutlich zugenommen, als die Extremistenmiliz Islamischer Staat (IS) ein Kalifat in den von ihr beherrschten Gebieten Syriens und des Irak ausrief. Auch von Baden-Württemberg aus machen sich junge Männer auf, um in den Krieg zu ziehen. Bis Ende 2014 waren nach Angaben von Innenminister Reinhold Gall (SPD) 30 Dschihadisten aus dem Land nach Syrien oder in den Irak gereist. Von den rund 550 Salafisten im Südwesten rechnen die Behörden 120 einem „gewaltbereiten dschihadistischen Milieu“ zu.

Diskussion um den Entzug des Ausweises

Am Freitag hat sich der frühere Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, in die Diskussion eingemischt, wie gewaltbereite Islamisten an der Ausreise gehindert werden könnten. Ein immer wieder ins Gespräch gebrachter Entzug des Ausweises ist aus seiner Sicht rechtlich fragwürdig. Die Ausreisefreiheit sei ein zentrales Menschenrecht. „Ich darf daran erinnern, dass Diktaturen gerade die Ausreisefreiheit mit allen, auch militärischen Mitteln zu unterbinden versuchen“, sagte Papier der „Welt“. Niemand dürfe „aus vagen Verdachtsgründen“ daran gehindert werden, das Land zu verlassen. Dies wäre weder mit dem Grundgesetz noch mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar.