Die wilden Proteste gegen RB Leipzig in der Fußball-Bundesliga haben sich gelegt, die Ablehnung ist dennoch geblieben: Auch am Sonntag in Stuttgart?

Sport: Gregor Preiß (gp)

Stuttgart - Die Empörung war schnell im dunkelroten Bereich in jenem Sommer 2014. Kaum, dass das Gerücht von einem geplanten Testspiel des VfB Stuttgart gegen den damaligen Zweitligisten RB Leipzig die Runde machte, liefen die Fans der Weiß-Roten Sturm. Ein Freundschaftsspiel gegen den fußballerischen Ableger eines Brauseherstellers? Wie kann man nur! Im Nu sammelte eine Online-Petition 2000 Unterzeichner. Der Kick fand schließlich nie statt. „Nach Abwägung aller Argumente“ entschloss sich der VfB für eine Absage. Weil man den kritischen Fans keine unnötige Angriffsfläche bieten wollte.

 

Nun, vier Jahre später, ist die Begegnung fest im Spielplan der Fußball-Bundesliga verankert. Am Sonntag (15.30 Uhr) treffen die beiden Clubs aufeinander. Nach dem Hinspiel, das der VfB in Sachsen mit 0:1 verlor, erstmals in Stuttgart. Wo die Fans aus der Cannstatter Kurve den Gästen mit dem Ex-Stuttgarter Timo Werner zur Begrüßung sicher keine Rosenblüten entgegenwerfen werden. Den Protest haben die Ultras vom Commando Cannstatt bereits angekündigt. Am Sonntag sollen möglichst alte, traditionelle Fan-Utensilien den nach Meinung der Ultras größten Unterschied zwischen ihrem 1893 gegründeten Verein und dem „am Reißbrett entworfenen Gesicht des im Fußball vorherrschenden Turbokapitalismus“ zum Ausdruck bringen: Den einer „stolzen Kurve voller Geschichte, in der Werte, wie Zusammenhalt, Respekt und Mitgestaltung ernsthaft gelebt werden“.

Gut gegen Böse? VfB-Ultras wollen da nicht mitmachen

Das Spiel Gut gegen Böse wolle man aber nicht mitmachen, schränkt ein Sprecher der Gruppe ein. „Da haben wir beim VfB selbst zu viele Baustellen, als dass wir mit dem Finger auf andere zeigen könnten.“ Das Label Traditionsverein sei durch die Ausgliederung in eine Fußball-AG „mehr als nur aufgeweicht“ worden.

Dennoch ist für die Anhänger das Duell mit dem Tabellen-Sechsten kein Spiel wie jedes andere. Um zu verhindern, dass es zu Übergriffen auf Fans oder den Mannschaftsbus der Gäste kommt, ist die Polizei sensibilisiert. Als Risikospiel wird die Partie aber nicht eingestuft.

Für die Gastgeber zählt allein der sportliche Aspekt. „Auf unsere Mannschaft wartet eine große Herausforderung“, sagt Michael Reschke. Der Sportvorstand hat für den Rivalen nur Lob übrig. In Ralph Hasenhüttl sei ein „Top-Trainer“ am Werk, die Club-Führung um die beiden Ex-Stuttgarter Ralf Rangnick und Jochen Schneider sowie Oliver Mintzlaff leiste „erstklassige Arbeit“. Den Club als solchen zu bewerten, überlässt man den Fans.

Das sagt der Fanforscher

Die haben eine klare Meinung. Durch ihren Aufstieg in die Bundesliga sind die Rasenballsportler in der Rangliste der unbeliebtesten Clubs im Eiltempo an die Tabellenspitze gestürmt. Bei Gastspielen ist Protest noch immer programmiert – zumindest an den traditionellen Bundesligastandorten. Der Aufruhr von Dortmund vor einem Jahr, als selbst Frauen und Kinder in Leipziger Fan-Montur angegriffen wurden, hat sich in dieser Form aber nicht wiederholt.

Die Ablehnung in Dortmund, Bremen, Mönchengladbach und anderswo hat sich auf Normalmaß eingependelt. Protestplakate hier, Verunglimpfungen dort. Verbale Hetzjagden gegen Red-Bull-Chef und Geldgeber Dietrich Mateschitz („Das kränkt mich nicht“) sind seltener geworden. Weil sich die Bundesliga mit dem ungeliebten Gast arrangiert hat?

Ja und nein. „Der Protest ist vielleicht weniger geworden, er fällt vor allem aber weniger auf“, hat der Fanforscher Harald Lange festgestellt. Der Sportwissenschaftler von der Uni Würzburg und Gründer des Instituts für Fankultur befasst sich seit langem mit den Befindlichkeiten deutscher Fußballanhänger. Im Moment seien Aktionen gegen den Emporkömmling aus dem Osten überlagert von der allgemeinen Protesthaltung gegen die kommerziellen Auswüchse des Fußballs, sagt er. Stichwort Spieltagsansetzungen, Stichwort 50+1-Regel.

„Nie dagewesene Protestwelle“

„RB Leipzig spielt zur Zeit eher eine untergeordnete Rolle.“ Und ist doch Teil des Ganzen. Schließlich steht der erst 2009 gegründete Club wie kein anderer als Gegenentwurf für das, was sich viele Fußballfreunde auf die Fahnen schreiben: Tradition, Fan-Kultur. Und einer Vorstellung von Fußball, wie es ihn vielleicht schon lange nicht mehr gibt.

Fanforscher Lange sieht in den deutschen Stadien bereits Anfänge des Klassenkampfs: Wir da unten gegen die da oben. „Wir erleben eine nie dagewesene Protestwelle,“ sagt er. Was einerseits Sprengstoff bietet, denn: Wenn sich die Auflehnung als Teil der Fankultur verselbstständigt, zieht sie irgendwann auch ein Publikum an, das nur noch um des reinen Protest Willens zum Fußball geht. Anderseits sieht der Experte in der gegenwärtigen, teils sehr kreativen Protestbewegung auch ein Signal an die „eher gesichtslose und nicht gerade rebellische“ Jugend dieser Zeit. Lange: „Es wäre nicht das erste Mal, dass sich die Fußballstadien als Seismograf für gesellschaftliche und politische Entwicklungen erweisen.“

Das mag (noch) etwas weit hergeholt klingen. Am Sonntag spielt der VfB gegen RB Leipzig nur um drei Punkte. Und die Revolution wird in der Cannstatter Kurve sicher nicht ausgerufen.

VfB Stuttgart - Bundesliga

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