Der Koalitionsausschuss entscheidet über die Abwehr des Fahrverbots-Urteils. Gleichzeitig soll Stuttgart bei der Luftreinhaltung geholfen werden.

Stuttgart - Der Koalitionsausschuss der Landesregierung unter dem Vorsitz von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) entscheidet an diesem Freitag über die Reaktion auf das Fahrverbots-Urteil des Verwaltungsgerichts für Stuttgart. Eine Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht Leipzig ist die absehbar wahrscheinlichste Variante. Damit würde das Urteil bis zur Entscheidung des höchsten Verwaltungsgerichts gehemmt.

 

In der Sitzung soll auch über ein 400 Millionen Euro schweres Luftreinhalte-Paket nur für Stuttgart gesprochen werden. Es wurde von Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) am Mittwochabend vorgelegt. Das Geld soll aus dem Bundestopf Nachhaltige Mobilität oder ersatzweise aus dem Landeshaushalt fließen. Dort ist bisher kein Geld dafür veranschlagt. Das Kabinett hatte den Haushalt am Montag vorgestellt. Der Bundestopf umfasst eine Milliarde Euro, Förderkriterien liegen nicht fest.

Kurze Beratung spricht für Einigkeit

Eine Sprungrevision sei absehbar, heißt es aus der CDU-Landtagsfraktion. Man wolle zwar in erster Linie die Berufung vor dem Verwaltungsgerichtshof, um Tatsachen zu klären, werde aber einer Sprungrevision zustimmen. Fraktionschef Wolfgang Reinhardt habe den Grünen mit der einstimmigen Fraktionsabstimmung am Dienstag diese Brücke gebaut. Bei den Grünen gibt es Stimmen für die Umsetzung des Fahrverbots oder die Sprungrevision, nach einem Vortrag, der die Risiken einer Berufung beleuchtet, keine für diese. Man habe sich angenähert, heißt es bei den Grünen.

Die Fraktionschefs sowie Vize-Regierungschef Thomas Strobl (CDU), Kretschmann, Hermann und die Parteispitzen bilden den Koalitionsausschuss. Das Treffen ist um 13 Uhr, die Entscheidung soll um 14 Uhr bekannt gegeben werden, was für Einigkeit spricht. Der Ausschuss ist eine Art Schlichtungs- und letztendlich das Entscheidungsgremium bei strittigen Themen.

Gericht urteilte eindeutig gegen Land

Das Verwaltungsgericht hatte am 4. September die Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) auf 102 Seiten bestätigt und ein Fahrverbot für Diesel unter der Abgasnorm Euro 6 und Benzinern unter Euro 3 ab dem 1. Januar 2018 in Stuttgart ausgesprochen. Das Land könne und müsse, weil eine Blaue Plakette zur Kennzeichnung fehle, deren Inhalt durch selbst zu schaffende Zusatzschilder zum Umweltzonen-Zeichen „in Textform zum Ausdruck bringen.“ Es sei verpflichtet, die durch die hohen Stickoxidwerte gefährdete Gesundheit der Bürger zu schützen und Immissionsschutzgesetze der EU und des Bundes umzusetzen.

Gemeindetag, Handwerkstag, die Regionalversammlung, Handels- und Arbeitgeberverbände forderten von der Regierung, gegen das Urteil in Berufung zu gehen. Zwei Rechtsgutachten des vom Land beauftragten Anwalts und eines Anwalts des Verkehrsministeriums kommen dem Vernehmen nach zu der Einschätzung, dass man das Urteil annehmen oder die Sprungrevision ziehen solle. Vor einer Berufung, die auch von Grünen vor wenigen Wochen gefordert worden war, wird gewarnt. Dann hätte die DUH die Möglichkeit zur Anschlussberufung. Sie berge das Risiko eines verschärften Urteils, das auch Dieselautos mit Euronorm 6 ausschließe. Genau darauf hatte die Umwelthilfe geklagt. In der Verhandlung hatte sie für eine Sprungrevision appelliert, weil diese den geringsten Zeitbedarf von einem Jahr bis zur Letztentscheidung hat.

CDU von Hermanns Vorstoß überrascht

Auch wenn das Urteil gehemmt wird, muss die Landesregierung die überfällige Fortschreibung des Luftreinhalteplans Stuttgart umsetzen. Dort stehen viele Einzelmaßnahmen, die das Gericht als bloße Absichtserklärungen wertet. Hermann will für diese Geld aus Bundesfonds fordern. Zunächst sollen 289 Millionen Euro einmalig fließen, zum Beispiel für Expressbuslinien mit eigener Busspur (40 Millionen, dann jährlich 25) oder die vollständige Elektrifizierung aller Busse, Taxen- Pflege- und Paketdienst-Autos (45 Millionen). Bis Ende 2019 wären es rund 400 Millionen Euro, wenn nicht vom Bund, dann müsse das Land einspringen.

Die CDU zeigte sich von diesem kurzfristigen Vorstoß überrascht. Das Haushaltsrecht liege bei den Fraktionen, die zunächst beraten müssten, der Fonds sei beim Bund noch gar nicht gebildet und gelte für alle Länder. Hermanns Annahme, dass Baden-Württemberg beziehungsweise Stuttgart allein ein Drittel abschöpfe, sei diskussionswürdig. Hermann legte am Donnerstag erstmals seit Jahren ein Förderprogramm für Schienenfahrzeuge auf. Es umfasst landesweit 50 Millionen Euro und zielt auf Stuttgart. Er hoffe, dass die Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) daraus drei Millionen für neue Zahnradbahnen und je 300 000 Euro für weitere zu sanierende Stadtbahnen erhalten könne, sagte SSB-Vorstandssprecher Wolfgang Arnold.

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