„Ich muss fliegen“, sagte David Levy am 9. Oktober zu seiner Frau. Dann setzten sie sich in ihrem Stuttgarter Wohnzimmer zusammen, um Gewissheiten in eine unwägbare Reise zu bringen. Legten fest, wie lange er in Israel bleiben würde: zwei Wochen. Was er dort tun würde: als Freiwilliger die ehemalige Einheit 217 unterstützen, nicht nach Gaza gehen. Danach buchte David Levy, 44 Jahre alt, Investmentmanager, Vater zweier kleiner Kinder, nacheinander vier Flüge. Alle wurden gecancelt, aber der fünfte hielt. Eine El-Al-Maschine brachte ihn von Frankfurt nach Tel Aviv. Sie war bis zum letzten Platz besetzt.
Einen Monat später sitzt David Levy wieder in seinem Wohnzimmer in Stuttgart-West. Draußen spielt die goldfarbene Herbstsonne heile Welt mit den Menschen, drinnen erzählt David Levy, wie die seine am 7. Oktober in Stücke fiel. Seit sieben Jahren lebt David Levy in Stuttgart. Hier hat er seine Frau kennen gelernt, eine Familie gegründet, Freunde in der jüdischen Gemeinde gefunden. Für ein israelisches Unternehmen sucht der Physiker nach Investitionsobjekten. Aber die Firma ist jetzt erst mal dicht, die Belegschaft ins Militär eingerückt.
Auch David Levy spürte bald, dass er helfen muss. Zuvor weinte er viel, fünf, sechs Mal am Tag. Sah sich die Videos an von fliehenden Menschen, auf die Terroristen Jagd machen wie auf Hasen. Telefonierte mit seinem Bruder. „Mein Freund ist tot“, sagte der. Verfolgte die Zahl der Toten: „150, 300, 700, 1000....es wurden immer mehr.“ Beschämt fühlte er sich. „Dass uns das passieren konnte!“ Das Vertrauen in die uneinnehmbare Heimstatt der Juden sei pulverisiert worden, sagt David Levy.
Er ist auf den Häuserkampf spezialisiert
Aber dann erwachte der alte Kämpfer in ihm: „Intuition, Reaktion, Aktion.“ David Levy ist in der Wüsten-Stadt Beerscheba aufgewachsen, 40 Kilometer von Gaza entfernt. Drei Jahre diente er in der Spezialeinheit Duvdevan, die Terroristen in den Palästinensergebieten aufspüren soll. Das Spezialgebiet der Elitetruppe: Der Häuserkampf.
Doch auch einer wie er fliegt nicht in ein Kriegsgebiet und legt einfach los. Für den Einsatz im Feld ist David Levy zu alt. Bei den Einheiten, die Straßen, Stromleitungen, Häuser in den zerstörten Kibbuzim wieder aufbauen sollen, wissen sie nicht, wohin mit den zahllosen Freiwilligen. Levy erlebt ein Land, das ums Militär kreist. Junge, Alte, Frauen, Männer – alle wollen helfen. Es geht auch darum, das Selbstbewusstsein Israels wieder herzustellen.
„Du kannst nichts machen“, sagt sein ehemaliger Chef
Im Hauptquartier der Armee im Süden geht David Levy von Büro zu Büro. „Du kannst hier nichts machen“, sagt sein ehemaliger Chef. Schließlich hat die Polizei Bedarf. In einem Lagerraum erfasst und sortiert er Spenden: Hosen, Taschenlampen, Schutzwesten, Magazine...
Dass er zurück nach Deutschland kehrte, war keine Frage. Seine Familie braucht ihn, und er sie. Aber zwischen Hier und Dort zerreißt es ihn jetzt schier. Er telefoniert, liest und sieht, was er kriegen kann. Er tigert durch die Wohnung wie durch einen Käfig, er will zupacken. Wenn nur einer eine Aufgabe für ihn hätte, die ihn regelmäßig nach Israel bringt – er wäre bereit.
Derzeit besorgt er Ausrüstung für jene, die als freiwillige Sicherheitskräfte auf den Straßen und Plätzen Israels stehen. Eben hat er mit einem Lieferanten telefoniert, der Schutzkleidung aus Baumwolle hat. Baumwolle versengt nicht auf der Haut, wenn sie brennt, sagt Levy, sie zerfällt.