Raus aus der Opfer-Rolle: Ob Krav Maga oder Wendo – immer mehr Frauen gehen nach den Vorfällen am Kölner Hauptbahnhof in Selbstverteidigungskurse. In Stuttgart reagieren die Anbieter auf die Nachfrage.

Stuttgart - Krav Maga – das klingt ein wenig nach einem slowakischen Kleinlaster, ist aber eine Kampftechnik, die auch unter dem Namen „ israelische Selbstverteidigung“ bekannt ist. Auf jeden Fall ist Krav Maga seit den bundesweiten Übergriffen in der Silvesternacht bei den Frauen in der Region ein Thema. Und das offenbar zu Recht. Bei der Polizei in Stuttgart arbeitet mittlerweile eine 25-köpfige Ermittlungsgruppe an den Übergriffen gegen Frauen in der Silvesternacht. OB Fritz Kuhn (Grüne) lobte derweil die Arbeit der Polizei, die „ihre Aufgaben zur Sicherung des Gemeinwohls trotz steigender Anforderungen angemessen und effizient“ erfülle. Für Kuhn sind die Angriffe auf Frauen nicht hinnehmbar. „Das gehört aufgeklärt und bestraft“, sagte er.

 

Viele Frauen in der Region scheinen jetzt auf die Vorfälle zu reagieren. Den Eindruck hat zum Beispiel Sascha Zotter, der schon seit vier Jahren in einigen Sportstudios in der Region Kurse speziell für Frauen anbietet. „Mein Telefon steht derzeit kaum still“, sagt der Krav-Maga-Lehrer, der etliche Anfragen nach Kursterminen bekommt. Krav Maga ist nach dem Selbstverständnis der Ausbilder kein Kampfsport, sondern reine Selbstverteidigung.

„Bei uns geht es nicht darum einen eleganten Fußtritt zu beherrschen“, erklärt Zotter, „wir zeigen den Frauen zum Beispiel wie sie ihre Handtasche als Waffe einsetzen können.“ Und wie man die ganz normale Schlaghemmung im Ernstfall überwindet. Dazu panzern sich Zotter und seine Kollegen bis sie wie Michelinmännchen vor den Frauen stehen, die dann lernen, mit aller Kraft zuzuschlagen und auch zu treten.

Die Handtasche als Waffe

Krav Maga will Frauen befähigen sich zur Wehr zu setzen, aber auch lehren, gefährliche Situationen erst gar nicht entstehen zu lassen. Die Technik genießt durchaus Anerkennung. Auch die Stuttgarter Volkshochschule (VHS) hatte schon Kurse im Programm und wird auch wieder welche anbieten. Im vergangenen Jahr haben sich 57 Frauen bei der VHS zu Selbstverteidigungskursen angemeldet. „Für 2016 besteht die Tendenz, noch mehr Kurse anzubieten", erklärt VHS-Pressesprecherin Elvira Schuster. Wie stark sich die Vorfälle an Silvester niederschlagen werden, könne man jetzt noch nicht konkret sagen, da die Anmeldung für die neuen Kurse erst am 22. Januar beginnt. „Die letzten Kurse waren aber voll“, sagt Schuster.

Einen anderen Weg Frauen wehrhaft zu machen geht seit vielen Jahren Andrea Durner. Die Stuttgarter Sexualpädagogin unterrichtet seit mehr als 30 Jahren Frauen in Wendo. Diese Technik beschreibt sich als „eine Form der geistigen, seelischen und körperlichen Selbstbehauptung und Selbstverteidigung“ .

Wendo, so die Ausbilderin Durner, setzt den Schwerpunkt auf sicheres und starkes Auftreten der Frauen, auf Selbstbehauptung. Nur wenn das nicht wirkt, kommen die Techniken der Selbstverteidigung zum Einsatz. Auch sie hat „eine verstärkte Nachfrage“ nach ihren Kursen festgestellt. Und sie vermutet, dass sich jetzt einige bei ihr melden, die schon Übergriffe erlebt haben und bei denen die alten Erfahrungen jetzt doch wieder hochkommen. „Diese Frauen wollen wissen, wie sie solche Situationen in Zukunft meistern können“, sagt Andrea Durner.

Sicheres Auftreten schützt

Auch an der Universität Stuttgart werden Selbstverteidigungskurse speziell für Frauen angeboten. Sinje Rüsch vom Allgemeinen Hochschulsport hat beobachtet, dass es in den vergangenen Tagen einen „Anmeldeschwall“ für die neuen Kurse gegeben hat. Auffällig sei vor allem, dass die meisten Frauen die sich anmelden, nicht an der Uni arbeiten oder studieren. Das Interesse an diesen Kursen scheint also überall anzusteigen.