„Schaffe, schaffe, bunter werden!“ So lautet das CSD-Motto. OB Frank Nopper macht sich beim Start der queeren Feiertage selber bunter – und bindet sich einen Regenbogen-Schlips um. CSD-Sprecher Detlef Raasch kritisiert eine „medienwirksame, deplatzierte Aktion“.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - War es „Symbolpolitik“, die Frank Nopper noch im Streit um fehlende Flaggen beim EM-Spiel Deutschland gegen Ungarn abgelehnt hat – oder gar eine Sympathieerklärung an die Rainbow-Community? Die bunte Krawatte, die sich der OB zum Start des Stuttgarter Christopher Street Day (CSD) im Rathaus während seiner Rede umgebunden hat, ist ein Stück Stoff zum Spotten und zum Loben. Während die einen kritisierten, dies sei „Show“ gewesen und „typisch Nopper“, lobten ihn andere für „seine Geradlinigkeit“ und für „seinen Humor“.

 

Raasch: „Wichtiger wäre ein Zeichen bei der Fußball-EM gewesen“

CSD-Vorstandsmitglied Detlef Raasch, der im Großen Sitzungssaal die politische Rede mit Forderungen und mit der Zustandsbeschreibung im 20. Jahr des Stuttgarter CSD-Vereins hielt, legte nach dem Empfang seine diplomatische Zurückhaltung ab. Sich einen Regenbogen-Schlips umzubinden, der von einem Karnevalsverein stamme, sei eine „medienwirksame Aktion“ und „deplatziert“, kritisierte er. Wichtiger wäre es gewesen, dann ein Zeichen zu setzen, „wenn es notwendig ist“, also während des EM-Spiels gegen Ungarn. Denn in jenem Land würden Rechte der queeren Menschen verletzt. Noppers Argument, man sollte den Sport nicht mit Politik aufladen, bezeichnete Raasch als „Ohrfeige“ an Aktive im Sport, die sich dank Politikern wie ihm weiterhin nicht trauen würden, sich zu outen.

Lob vom Geschäftsführer der Aids-Hilfe

Lob für Nopper kam hingegen von Franz J. Kibler, dem Geschäftsführer der Aids-Hilfe. „Seine Entscheidung gegen die Beflaggung während des Spiels zeugt von politischem Sachverstand“, findet er, „schön, dass sich unser OB von Sachverstand leiten lässt, nicht von Populismus und Opportunismus.“

CDU-Kreischef und MdB Stefan Kaufmann, in Berlin queerpolitischer Sprecher seiner Fraktion, begrüßte, „dass sich Nopper nicht darauf beschränkt hat, seine ablehnende Haltung zu Regenbogen-Flaggen beim EM-Spiel zu begründen“. Die Gelegenheit habe er genutzt, deutlich zu machen, dass er sich ein buntes und tolerantes Stuttgart wünsche. Kaufmann hätte sich „ein paar Sätze mehr zu queerpolitischen Themen wie Artikel 3 des Grundgesetzes oder das Blutspendeverbot gewünscht“. Brigitte Loesch (Grüne) fand die Krawattenaktion „peinlich“.

OB Nopper erklärt seine Entscheidung sehr ausführlich

Der Abend zeigte: Der CSD und der neue OB fremdeln noch. Der stärkste Beifall erklang, als verkündet wurde, dass die sechs Regenbogen-Flaggen, die am Rathaus hängen, keine Leihgaben mehr sind. Die Stadt hat sie auf Noppers Veranlassung gekauft. Ausführlich erklärte der CDU-Politiker, warum er es für falsch halte, „bei spontanen Flaggenhissungen reflexhaft hinterherzulaufen“ und legte ein klares Bekenntnis gegen Homophobie ab. Eine Gesellschaft dürfe „nicht die Kälte und Härte einer Steinwand ausstrahlen“, sondern müsse alle, egal, welcher Hautfarbe, Herkunft, Religion, welchen Alters und welcher sexuellen Orientierung, zusammenführen. Die Fußball-WM in Katar werde von vielen gutgeheißen, kritisierte der 60-Jährige, „obwohl dort Homosexuelle die Todesstrafe befürchten müssen“.

Der OB blieb doch bis zum Schluss des Empfangs

Vor dem Empfang lag Spannung in der Luft. Der CSD-Verein war verärgert, als das OB-Büro mitteilte, Nopper werde kurz nach seiner Rede zum nächsten Termin, zum 175-Jahr-Jubiläum des TV Cannstatt, eilen. Lag es an der Drohung, man werde darauf deutlich reagieren? Der OB verließ das Rathaus mit seinen beiden Söhnen erst, als alles rum und der letzte Gitarrenton verklungen war.

Sein Vorgänger Fritz Kuhn (Grüne) lieferte sich stets einen intellektuellen Austausch von Deutungen zum jeweiligen CSD-Motto mit dem langjährigen CSD-Geschäftsführer Christoph Michl. Eine hauptamtliche Kraft gibt es aus finanziellen Gründen nicht mehr – beim vergangenen CSD blieben wegen Corona die Einnahmen aus. Der Verein muss sparen und ließ selbst beim Empfang Werbefilme laufen. Früher sei es schwer gewesen, Sponsoren zu finden, war zu hören, heute zeigten viele Firmen von sich aus Flagge für Diversität.

CSD-Sprecher besorgt über „wachsende Hasskriminalität“

Vorstandsmitglied Detlef Raasch arbeitet als Altenpfleger und engagiert sich ehrenamtlich für den CSD. In seiner Rede setzte er sich für ein Regenbogen-Haus in Stuttgart ein und forderte „volles Recht auf Zugang beim Adoptionsverfahren“ für queere Menschen. Sorge bereitet ihm die „wachsende Hasskriminalität“ gegen jene, die im öffentlichen Raum als schwul, lesbisch oder trans erkannt oder auch nur dafür gehalten würden. Aus Angst vor Anfeindungen würden sich viele nicht trauen, händchenhaltend durch die Stadt zu laufen. Allein deshalb sei der CSD nach wie vor sehr wichtig.

Info

CSD-Aktionen
Das Kulturfestival unter dem Motto „Schaffe, schaffe, bunter werden“ geht mit Aktionen im virtuellen und öffentlichen Raum bis zum 1. August. Statt der Parade gibt’s am 31. Juli eine Demonstration durch die City mit anschließender Kundgebung auf dem Schlossplatz.