In Südbaden ist das Ergebnis der Schweizer Volksabstimmung mit Sorge aufgenommen worden. Unternehmer und Gewerkschaften sind überrascht, besorgt und ein wenig ratlos. Man fürchtet um den gemeinsamen Wohlstand.

Baden-Württemberg: Heinz Siebold (sie)

Freiburg - Tag für Tag reisen aus Frankreich und Deutschland rund 95 000 Menschen zur Arbeit vor allem in die Nordwestschweiz – die meisten davon aus Südbaden. Aus den Kreisen Lörrach und Waldshut pendeln rund 40 000 Menschen in die Kantone Basel-Land und -Stadt, Aargau, Zürich und Solothurn. Weil – fast – die gleiche Sprache gesprochen wird, sind deutsche Arbeitskräfte nicht nur in der chemischen Industrie, sondern auch im Gesundheitswesen und an Schulen und Universitäten längs des Rheingrabens seit Jahrzehnten Normalität. Die meisten wollen gar nicht in der Schweiz wohnen.

 

Gewerkschaft: Dumpinglöhne schüren Ängste

In Südbaden ist die Entscheidung der eidgenössischen Nachbarn für eine Begrenzung der Zuwanderung mit Verwunderung aufgenommen worden. Unternehmer und Gewerkschaften sind überrascht, besorgt und ein wenig ratlos. Der südbadische DGB-Regionalvorsitzende Jürgen Höfflin hat „die Hoffnung, dass dieses Signal in der EU auch richtig verstanden wird“. Das Signal heißt für Höfflin, dass sich das große Unbehagen über die negativen Begleiterscheinungen der Freizügigkeit gegen die wirtschaftlichen Realitäten durchgesetzt hat. Auch die Schweizer müssten erleben, dass prekäre Beschäftigung mit Dumpinglöhnen ins Land schwappt und damit Druck auf die Einkommen der Eidgenossen erzeugt wird. „Dadurch werden Ängste geschürt, leider auch Ressentiments mobilisiert“, bedauert Höfflin. Die Gewerkschaften in der Schweiz hatten sich wie die Arbeitgeber klar für die Freizügigkeit und die bilateralen Verträge ausgesprochen, aber „abgestimmt haben nicht nur Arbeitnehmer“, sagt Höfflin.

Der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Südlicher Oberrhein, Andreas Kempf, hofft, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Das Votum müsse man respektieren, aber „es ist nicht gut für die Region“. Man lebe in Südbaden doch in einem gemeinsamen Wirtschaftsraum zusammen. Es gibt regen Grenzverkehr von Waren und Dienstleistungen. Nicht nur im Bereich der Konsumgüter und der Gastronomie, sondern auch im industriellen Bereich, beim Maschinenbau etwa. Das weiß man auf beiden Seiten des Rheins. „Zuwanderung ist als Überfremdung und Bedrohung gesehen worden, das ist sehr merkwürdig“ so Kempf.

Zündstoff hat sich jede Menge angesammelt

Es gibt am Ober- und Hochrhein in der Tat eine Menge von Zündstoff, der zum gegenseitigen Ärger beigetragen hat: das Thema Fluglärm und das Thema Besteuerung von Geld auf Schweizer Konten etwa. In beiden Fällen sind Abkommen, die die Schweiz schon ratifiziert hat, von deutscher Seite gekippt worden. Hinzu kommen unbeliebte Landkäufe Schweizer Bauern auf deutscher und Kautionspflicht für deutsche Handwerker auf Schweizer Seite. Die Kreishandwerkerschaft Lörrach wettert seit Jahren gegen die Kautionspflicht, hat aber zwangsläufig gelernt, damit zu auszukommen. „Wir leben doch nahe beieinander“, sagt Kreishandwerksmeister Michael Schwab. „Vielleicht ist einigen Schweizer Wählern die Tragweite nicht bewusst gewesen“, vermutet der Grenzacher Schreinermeister.

Das würde Gerhard Lochmann so gewiss nicht unterschreiben. Der Emmendinger Rechtsanwalt ist Honorarkonsul der Schweiz für Südbaden. Er weist seit Jahren in Seminaren darauf hin, wie ernst dem Schweizer die direkte Demokratie und seine Heimatliebe ist. Der Schweizer wolle bei aller Bereitschaft zur Veränderung immer Herr im eigenen Hause bleiben und nehme dafür auch durchaus heftige Reaktionen aus dem Rest der Welt in Kauf. Aber das will Lochmann derzeit nicht wiederholen, denn er ist als Diplomat angewiesen, Presseanfragen direkt an die Schweizer Bundesregierung nach Bern weiterzuleiten.