Seit Mai berichten wir verstärkt über das Thema Radfahren. Dazu erreichen uns zahlreiche Reaktionen – bislang überwiegt die Kritik an einzelnen Radfahrern.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Anfang Mai stand das Telefon kaum mehr still, die Postfächer füllten sich mit Briefen und E-Mails: Mit unserem Projekt zum Radfahren in Stuttgart haben wir eine regelrechte Lawine an Leserreaktionen losgetreten. Sowohl unsere Berichterstattung als auch die Mitmachaktion zum Messen des Überholabstands mit der „Kesselbox“ regte viele dazu an, ihre Meinung zu sagen. Dabei wurden oftmals starke Worte gewählt. In unseren gedruckten Ausgaben druckten wir eine Auswahl aus mehr als 100 Leserbriefen ab – was zu neuerlichen, teilweise erstaunlichen Reaktionen führte.

 

Die veröffentlichten Zuschriften enthielten „nicht viel mehr als ungefilterte und vor allem völlig einseitige Hetze gegen Radfahrer“, schrieb uns ein Leser, der darüber sogar sein Zeitungsabo kündigen wollte. Die ausgewählten Leserbriefe seien „einzig dazu geeignet, die zweifellos vorhandenen Gräben und Interessenskonflikte zwischen Radfahrern und anderen Verkehrsteilnehmern weiter offen zu halten oder gar zu vertiefen“.

Kamen nur Radgegner zu Wort?

Der Vorwurf, eine einseitige Auswahl von Leserbriefen zu veröffentlichen, hat uns beschäftigt. Wir haben die Leserreaktionen daraufhin nochmals gesichtet. Ergebnis: Unter jenen Leserinnen und Lesern, die ihre Meinung zum Thema Radfahren kundtaten, überwiegt oftmals harsche Kritik am Rad und seinen Benutzern. Da wird über „extrem rücksichtslose Radfahrern“ geklagt, die „mit hoher Geschwindigkeit auf Gehwegen oder auf engen Waldwegen meine Familie stark gefährdet haben“.

Ein aktiver Fahrradfahrer beklagt bei vielen Zweiradnutzern „eine zunehmende Aggressivität, Selbstüberschätzung bis hin zu rüpelhaften Verhaltensweisen“. Ein weiterer Leser findet, dass „einer kleinen Gruppe von oft aggressiven Menschen“ Narrenfreiheit gewährt werde. „Oder sehen Sie viele Ältere, Behinderte, Übergewichte, Frauen, Kinder auf Fahrrädern?“

Sind Leserbriefschreiber allesamt Anti-Radfahrer? Natürlich nicht, oder jedenfalls nicht alle. Aber der Eindruck drängt sich auf, dass zumindest jene mit einer starken Meinung eher fahrradskeptisch sind.

Im Netz wird anders diskutiert

Online ist das Meinungsbild gemischter, aber auch kontrovers – die beschriebenen, „zweifellos vorhandenen Gräben“ kommen in den Twitter-, Facebook- und Youtube-Kommentaren deutlich zum Vorschein. Es finden sich etliche, auch in der Wortwahl moderate, Pro-Fahrrad-Meinungen oder Beiträge, die sich kritisch mit dem „Megatrend Radfahren“ auseinandersetzen.

„Da sind Stadt-und Verkehrsplaner gefragt“, fordert ein User auf Twitter stellvertretend für viele, „bei uns pinseln sie weiße Linien und Radsymbole auf die Straßen. Das sollen sowas wir Radspuren sein. Unsere Straßen wurden einfach nicht für Radfahrer geplant, sondern für Pferdewagen und Autos.“ Auf Facebook schreibt zum selben Thema ein User: „Radfahren ist ja schon ok wenn das Wetter mitspielt und man Zeit und Spaß daran hat. Allerdings auf separaten Radwegen und nicht auf Kosten des Autoverkehrs.“ Eine Antwort darauf: „Jou. Gib Vollgas in den Abgrund.“

Verhärtete Fronten – und ein anderer Ansatz

Auch online werden deutliche Worte gewählt, nur eben von beiden Seiten. „Die Gefährdung und Bedrohung, die von Radfahrern für Fußgänger ausgeht, wird gerne unterschlagen oder heruntergespielt“, kritisiert ein Kommentator auf Facebook. In derselben Diskussion wünscht ein Pro-Rad-Kommentator, Radgegner mögen „endlich aufhören, als dummer ahnungsloser Möchtegernfahrlehrer aufzutreten“.

Die Fronten scheinen zumindest unter denen, die ihre Meinung kundtun, einigermaßen verhärtet. Die Debatten in den Onlinekommentaren sind dafür ein besserer Indikator als die Leserbriefe.

Dass es auch konstruktiv geht, haben wir mit einer Video-Dialogreihe gezeigt: unser Redakteur Thomas Hörner hat Vertreter unterschiedlicher Verkehrsteilnehmer zur Diskussion zusammengebracht. Dabei wurde klar, dass man auch lösungsorientiert miteinander sprechen kann – zum Beispiel, wenn der Fußgänger Peter Erben mit der Radfahrerin Anna-Lena Lux diskutiert, wie man auf den Wegen im Schlossgarten gedeihlich miteinander auskommt.

Unsere Serie läuft nun langsam aus, die Berichterstattung übers Fahrrad und den Verkehr in der Stadt wird weitergehen – kritisch, aber eben auch mit dem Versuch, Lösungsansätze zu identifizieren und vorzustellen. Kontroverse Debatten sind gut – noch besser ist es, wenn sie zu einem Ziel führen.