Die Kanzlerpartei fürchtet den Herausforderer der SPD als möglichen Stimmenmagneten – sieht aber auch Vorteile für sich.

Berlin - Überrascht hat Sigmar Gabriel mit der Nominierung von Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten nicht nur seine eigene Partei. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre CDU sind in ihren Wahlkampfplanungen auf dem falschen Fuß erwischt worden. Grundlegenden strategischen Änderungsbedarf wollen sie in der Union aber nicht ausgemacht haben, da sowohl der aktuelle wie auch der künftige SPD-Chef als gute Wahlkämpfer bekannt seien. „Wir nehmen Martin Schulz nicht auf die leichte Schulter“, heißt es in der CDU, „hätten das aber auch bei Sigmar Gabriel nicht getan.“

 

Die Kanzlerin selbst nimmt dem Vernehmen nach die Personalie Schulz ergeben hin. Zumal ihr in diesem Jahr noch ganz andere Prüfungen bevorstehen – wie etwa ein Treffen mit dem US-Präsidenten Trump. Merkels Motto: Sie nimmt es, wie es kommt.

Die CDU hofft auf Fehler des innenpolitisch unerfahrenen Europapolitikers

Gedanken dazu, wie sich ein Duell zwischen ihr und dem Ex-Präsidenten des Europaparlaments von einer Auseinandersetzung mit ihrem Vizekanzler unterscheiden könnte, macht man sich dennoch. Die Erwartung ist einerseits, so heißt es in der CDU, „dass Schulz potenzielle SPD-Wähler eher zur Stimmabgabe motivieren kann“. Andererseits wissen die Unionisten, dass auch Peer Steinbrück anfangs hohe Zustimmungswerte hatte, sich im Laufe des Wahlkampfs etwa mit dem berühmten Stinkefinger-Foto aber selbst ein Bein stellte. Im Falle Schulz hoffen sie in der CDU ein wenig darauf, dass der innenpolitisch unerfahrene Europapolitiker seine eigenen Probleme herbeireden könnte. Was die SPD „Beinfreiheit“ nennt, sieht die CDU wiederum als ihren Pluspunkt: Schulz könne Merkel ohne Regierungsamt oder Abgeordnetenmandat nicht im Bundestag zum Rededuell zwingen, sie könne so noch stärker vom möglichen Amtsbonus profitieren. In der Abwägung der Vor- und Nachteile hält man es jedoch noch für „zu früh, um zu sagen, ob Schulz schwerer zu schlagen sein wird“.

In Merkels Umfeld wird darauf verwiesen, dass es bekanntlich nicht um eine Direktwahl des Kanzlers geht, sondern um wahrscheinliche Koalitionen. Und da kommen die CDU-Strategen – zumindest im Moment – zu dem Schluss, dass eine SPD unter der 30-Prozent-Marke zwei zweistellige Partner braucht: Eine Ampel-Regierung mit Grünen und Liberalen gilt ihnen als unwahrscheinlich, weil wenigstens der FDP kein derartiger Erfolg zugetraut wird. Die Alternative Rot-Rot-Grün wiederum gilt in christdemokratischen Zirkeln als beste Möglichkeit, um die eigene Klientel an die Wahlurnen zu locken. Die Münchner Schwesterpartei CSU hat längst zum Marsch gegen eine mögliche „Linksfront“ geblasen.

Schulz hat Besuchern in Brüssel gerne vorgeführt, dass er Merkels Handynummer hat

Im Adenauer-Haus gilt die SPD weiter als Hauptgegner, wenn es um den Anspruch geht, die Regierung zu führen. „Die eigentlichen Gegner sind die Populisten“, sagt dagegen Wolfgang Reinhart, CDU-Fraktionschef im Stuttgarter Landtag: „Protektionismus und Nationalismus schaden einem Exportland.“ Daher bereitet es den CDU-Wahlkampfplanern tatsächlich Sorge, dass der bei Merkel und Schulz ähnlich starke Europafokus der AfD in die Hände spielen könnte. Als abschreckendes Beispiel gilt, dass sich Schulz und der christdemokratische Spitzenkandidat Jean-Claude Juncker im Europawahlkampf 2014 in fast allen Punkten völlig einig waren – und am Ende mehr Rechte ins Europaparlament einzogen als je zuvor. Um sich abzugrenzen, gilt daher als sicher, dass im Wahlkampf Worte wie „Eurobonds“ oder „Transferunion“, für die Schulz aus Sicht der Union steht, fallen werden.

Fest steht, dass die Kandidaten einander schätzen. Sie hätten europapolitisch in den vergangenen Jahren „engstens“, „respektvoll“ und „vertrauensvoll“ zusammengearbeitet – so lauten die Adjektive aus dem Kanzleramt, was kaum der Fall wäre, wenn Merkel Schulz nicht ausstehen könnte. Besonders wichtig ist ihr, dass unter vier Augen getroffene Abmachungen nicht nach außen drangen. Umgekehrt hat Schulz Besuchern in Brüssel gerne vorgeführt, dass er Merkels Handynummer gespeichert hat. Persönliche Attacken sind daher nicht zu erwarten.