Die Kritik des Bundes an Stuttgart 21 hat auch im Land und in der Stadt den Streit um den Tiefbahnhof neu entfacht. Befürworter und Projektkritiker deuten die Aussagen des Papiers jeweils im eigenen Interesse.

Stuttgart - Die Bedenken aus dem Bund gegen Stuttgart 21 haben unterschiedliche Reaktionen im Land und in der Stadt ausgelöst. Befürworter des Tiefbahnhofs ziehen die Authentizität des Dokuments in Zweifel und sprechen von Panikmache, Projektkritiker fühlen sich in ihrer Haltung bestätigt.

 

Stuttgarts Rathauschef Fritz Kuhn begrüßte „die neue Nachdenklichkeit beim Bund“, der hundertprozentiger Eigentümer der Bahn ist. Endlich nehme das Bundesverkehrsministerium „die Zahlen und Fakten in all ihrer Lückenhaftigkeit und Widersprüchlichkeit wahr“. Dafür musste er sich prompt von der CDU-Fraktion im Rathaus rüffeln lassen. „Wir wüssten gern, woher der OB das Dossier bekommen hat. Falls er seine Informationen nur aus der Zeitung hat, finde ich es grenzwertig, das zu kommentieren, ohne zu wissen, ob es ein solches Dossier überhaupt gibt“, so der CDU-Fraktionschef Alexander Kotz. Er kenne das Papier nicht.

Die Rathaus-CDU forderte in einem Antrag, der OB solle das von ihm kommentierte Dossier dem Gemeinderat zugänglich machen. Roswitha Blind, die Vorsitzende der SPD-Ratsfraktion, betonte, trotz aller berechtigten Bestürzung über die Kostensteigerungen bei S 21 sei das Projekt sinnvoll für die Stadt. Alternativen wie etwa K 21 seien nicht fertig geplant, S 21 dagegen planfestgestellt.

CDU kritisiert Stellungnahme von OB Kuhn

Die Grünen im Land und im Rathaus fühlen sich dagegen durch das Papier bestätigt. „Jetzt stellt sich raus, dass die Projektpartner nicht die Einzigen sind, die vom Bahn-Vorstand schlecht informiert werden“, erklärten die Landesvorsitzenden Chris Kuhn und Thekla Walker. Ratsfraktionschef Peter Pätzold kritisierte die Resolution der Fraktionen von CDU, SPD, Freien Wählern und FDP vom Montag; darin hatten sich diese sich für eine Fortführung des Projekts ausgesprochen. Die Befürworterparteien wollten S 21 offenbar um jeden Preis: „Dass der Kostenrahmen gesprengt, der Zeitrahmen deutlich überschritten ist und die Finanzierung nicht mehr steht, wird von diesen letzten Aufrechten einfach ausgeblendet.“

Thomas Bopp (CDU), der Präsident des Regionalverbandes und in dieser Funktion Projektpartner bei Stuttgart 21, bezeichnete die neuesten Veröffentlichungen als Spekulationen: Es sei völlig klar, dass der Aufsichtsrat angesichts der Mehrkosten kritisch nachfragt – daraus aber abzuleiten, dass sich der Bund und der Aufsichtsrat aus Stuttgart 21 verabschieden wollten, sei abwegig.

Kaufmann: Es gibt kein S-21 Light

Der Chef der CDU-Landtagsfraktion, Peter Hauk, forderte „ein Ende der Panikmache“ bei Stuttgart 21. Ähnlich äußerte sich der SPD-Fraktionschef im Landtag, Claus Schmiedel. Er sieht in dem Dossier einen Versuch, das Bahnprojekt in der Öffentlichkeit schlechtzumachen. „Das ist gezielte Stimmungsmache“, so Schmiedel. Darauf weise auch hin, dass das Papier keinen Absender und keine Unterschrift habe.

Der CDU-Kreisvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Stefan Kaufmann erklärte, er rate allen, die jetzt schon zu einem Ausstiegsszenario umschwenken, die Konsequenzen zu bedenken: „Eine S-21-Light-Lösung wird es ebenso wenig geben wie eine Kombilösung. Die realistische Alternative ist ein mit Milliardenaufwand renovierter Kopfbahnhof ohne verkehrlichen und städtebaulichen Mehrwert – und möglicherweise eine Neudiskussion über die Schnellbahntrasse vorbei an Stuttgart.“

„Es muss sofort gestoppt werden“

„Wir fühlen uns durch die Bedenken des Bundes gegen Stuttgart 21 bestätigt“, sagte hingegen Matthias Lieb, Landesvorsitzendes Verkehrsklubs Deutschland (VCD). Das Bahnprojekt sei weder solide geplant noch finanziert. „Es muss sofort gestoppt werden, bevor noch mehr Schaden angerichtet wird.“ Es sei höchste Zeit, eine Diskussion über eine Alternative zu beginnen: „Dazu gehören Vorschläge, wie die aus dem Takt geratene S-Bahn wieder fit gemacht werden kann.“

Auch die BUND-Landesvorsitzende Brigitte Dahlbender verlangt einen sofortigen Baustopp: „Die Zeit ist reif, Stuttgart 21 zu beenden. Wir fordern den Bahn-Aufsichtsrat auf, die Notbremse zu ziehen.“ Dahlbender nannte es verantwortungslos, dass CDU-Landtagsfraktionschef Hauk im Blick auf das Dossier von Panikmache spreche. Reflexartig fundierte Kritik an dem Projekt kleinzureden sei schließlich mit eine Ursache für die heutige Misere.