Was ist eigentlich wirklich gesund an einem Waldspaziergang? Wie kann man den Österreichischen Platz in Stuttgart beleben? Fragen wie diese werden in Reallaboren behandelt. Baden-Württemberg geht dabei voran.
Stuttgart - Was ist eigentlich wirklich gesund an einem Waldspaziergang? Axel Singer von der Kur- und Tourismus GmbH Bad Peterstal-Griesbach gibt sich nicht damit zufrieden, dass es für den Blutdruck irgendwie gut sein könnte, im Wald herumzulaufen. Er will wissenschaftliche Evidenz für die Behauptung. Sollte sie wissenschaftlich bewiesen werden, dann könnte die Schwarzwald-Gemeinde ganz anders mit dem Begriff Kur- und Heilwald umgehen.
In einem Forschungsprojekt macht sich die Hochschule für Forstwirtschaft zusammen mit der Uni Freiburg daran, der Sache auf den Grund zu gehen. Der Forschungsauftrag des Heilbäderverbands ist ein Ergebnis des Wissensdialogs Nordschwarzwald. Der ist ein so genanntes Reallabor, eine neue Herangehensweise, die Probleme der Zeit aus den Blickwinkeln von Praxis und Wissenschaft zu lösen.
Ebenso wie das Reallabor für nachhaltige Mobilität in Stuttgart. Da ist zum Beispiel der Verein Stadtlücken dabei, den Österreichischen Platz zu beleben und kooperiert dabei mit der Uni Stuttgart.
Baden-Württemberg führend
Bei dem neuen Forschungsformat Reallabore ist Baden-Württemberg weit vorn. 14 Reallabore wurden und werden seit dem Jahr 2015 gefördert. 18 Millionen Euro hat das Land bisher dafür ausgegeben. „Eine ambitionierte Idee hat sich in der Praxis zum Volltreffer entwickelt“, lobt Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne), gegenüber unserer Zeitung. An den Reallaboren im Land seien bereits viele spannende Ideen entstanden. Als die große Chance der Reallabors bezeichnete sie die Vorgehensweise, unterschiedliche Perspektiven einzubeziehen. „So werden die Forschung und deren Ergebnisse auch in der Region verankert.“
Der Ansatz zieht Kreise. „Reallabore made in BW sind ein Erfolgsmodell und bereits zu einer neuen Marke geworden, die national wie international große Aufmerksamkeit erzielt“, sagte die Ministerin. Die baden-württembergischen Reallabore stehen unter dem Großthema Nachhaltigkeit. „Baden-Württemberg ist Vorreiter in der Förderung der Nachhaltigkeitsforschung“, hebt Bauer hervor. Meist gehen Reallabore von einem praktischen Bedarf aus. Bauer ist davon überzeugt: „Lösungen für die Zukunft kann die Wissenschaft nur gemeinsam mit der Gesellschaft erarbeiten.“
Auch Axel Singer findet das Reallabor Wissensdialog durchaus eine gute Sache. „Es gab eine Menge interessanter Projekte der Studenten, die das Potenzial haben, umgesetzt zu werden“, sagte er unserer Zeitung. Doch die Reallabors weisen für ihn ein Manko auf: „Es fehlt ein Netzwerk, zum Beispiel mit der Wirtschaft, damit die Ideen auch realisiert werden können.“
Bund steigt in Förderung ein
Bauer dagegen meint, die Idee der Reallabore werde immer stärker in der Wissenschaft und Wissenschaftsförderung aufgegriffen. So wird das baden-württembergische Projekt „Intelligente Stadt (i_city)“ vom Bundesforschungsministerium mit 5,4 Millionen Euro auf drei Jahre gefördert. Die Hochschule für Technik Stuttgart bekommt auf vier Jahre neun Millionen Euro für das Labor „M4_LAB“ zur Energieeffizienz und Mobilität.
Während der Bund positiv reagiert, halten sich andere Bundesländer eher zurück. Bauers Ministerium erklärt auf eine Anfrage der Grünen, dass lediglich Nordrhein-Westfalen „Regionale Innovationsnetzwerke“ förderte, die auf den Erfahrungen der baden-württembergischen Reallabore fußten. Allerdings hat die Landesregierung in Düsseldorf nicht vor, die Förderlinie fortzusetzen.
Herausforderung für Wissenschaftler
Die kooperative Herangehensweise von Zivilgesellschaft und Wissenschaft ist für die Wissenschaftler durchaus eine Herausforderung, weiß Alexander Salomon, der hochschulpolitische Sprecher der Grünen im Landtag. „Wissenschaftler sind an Veröffentlichungen interessiert“, sagt er. Eventuell müsse man künftig in den Reallaboren umfassendere Themen aufgreifen, die sich für Aufsätze eignen. Seiner Fraktionskollegin Stefanie Seemann schwebt bereits eine mögliche Ausdehnung vor. Sie regt an, ein länderübergreifendes Reallabor aufzusetzen. „Das könnte ein Projekt für Eucor sein“. Eucor ist die europäische Konföderation der fünf oberrheinischen Universitäten KIT, Freiburg, Basel, Straßburg sowie die Universität des Oberelsass.
Zwar stehen die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung noch aus, doch Bauer kündigt bereits an: „Wir werden die Reallabore weiter im Portfolio der Förderinstrumente unseres Ministeriums behalten.“
Sieben BaWü-Labs – sieben in der Stadt
Seit Januar 2015 werden sieben „BaWü-Labs“ gefördert: Der Wissensdialog Nordschwarzwald (Koordinator Uni Freiburg, Laufzeit bis Ende 2019); Nachhaltige Stadtentwicklung in der Wissensgesellschaft (Uni Heidelberg, beendet); „KIT findet Stadt“ (bis Ende 2019); Reallabor für nachhaltige Mobilitätskultur (Uni Stuttgart, bis März 2020); nachhaltige Transformation der Textilwirtschaft am Standort Dietenheim (Uni Ulm/ Hochschule Reutlingen, beendet); Klimaneutrale Hochschule als Partner der Region (Hochschule für Technik Stuttgart, beendet) und Nutzungsintensivierung des Gebäudebestands durch Mehrfachnutzung (Kunstakademie Stuttgart, bis Juni 2020).
Ende 2015 und Anfang 2016 kam sieben weitere „Reallabore Stadt“ in der zweiten Förderlinie hinzu. Sie werden fast alle bis 2019 gefördert: Das Fußgängerprojekt GO Karlsruhe; frühzeitige Bürgerbeteiligung, Stuttgart (Ende Dezember 2018); Asylsuchende in der Rhein-Neckar-Region; Nachhaltige Planung von Bildungslandschaften, Heidelberg; Energielabor Tübingen; Zukunftsweisender ÖV, Schorndorf und Logistische Nahversorgung, automatisierte Transporteinheiten im Rahmen der Bundesgartenschau Heilbronn.