Mit jeder schlechten Arbeit sinkt das Selbstvertrauen weiter. Foto: www.imago-images.de/Sven Doering
Lauter schlechte Noten – doch das Kind muss auf dem Gymnasium bleiben, weil es nicht (oft genug) sitzen geblieben ist? So etwas kommt in Stuttgart regelmäßig vor. Ein Wechselwunsch reicht nicht für einen Platz auf einer Realschule. Das hat Folgen.
Die Stuttgarter Real- und Gemeinschaftsschulen erreichen seit Beginn des zweiten Halbjahres wieder vermehrt verzweifelte Anrufe von Eltern, deren Kind auf dem Gymnasium überfordert ist. Mit der Halbjahresinformation haben sie es schwarz auf weiß, dass die Versetzung des Sohnes oder der Tochter auf der Kippe steht. Das Problem: „Die Schulen in Stuttgart sind voll“, so drückt es die Rektorin der Schloss-Realschule, Katja Ibrahim, aus. Allein ihre Schule bekomme pro Schuljahr 60 bis 80 entsprechende Anfragen. Da die eigenen Klassen „natürlich bereits gut gefüllt“ seien, nähmen sie fast nur Schülerinnen und Schüler auf, die „aufgrund von zweifacher Nichtversetzung“ wechseln müssten. Für die Jugendlichen, die diese Voraussetzung nicht erfüllen, sei das „natürlich schrecklich“.
Was erschwerend hinzu kommt: Auch bei privaten Realschulen sind die Erfolgsaussichten gering: „Jede Woche“ hätten sie Anfragen nach einem Schulplatz, berichtet zum Beispiel der Schulleiter der Waldschule, Kai Buschmann. Sie führten eine Warteliste, aber Vorrang hätten die Abgänger des hauseigenen Gymnasiums. Nur sehr vereinzelt könnten sie externe Wechsler aufnehmen.
Oft kein Wechsel an die Wunschschulart möglich
Vergangenes Schuljahr, schätzt man im Staatlichen Schulamt Stuttgart, mussten 150 bis 200 Schülerinnen und Schüler vom Gymnasium abgehen oder konnten wechseln, weil es „dringend pädagogisch angeraten“ gewesen sei, so die zuständige Schulrätin Katharina Rebmann. Hinzu kämen noch diejenigen, die wechselten, weil sie es wollten. Im Schulamt erfasse man aber nur, wer vom Gymnasium abgehen müsse, so Rebmann. Nur diesen stehe ein Schulplatz in einer Schule der Sekundarstufe Eins zu. Verpflichtend sei ein Wechsel, wenn:
ein Schüler bereits zweimal wiederholt hat und erneut wiederholen muss
ein Schüler zwei aufeinanderfolgende Klassen wiederholen müsste, weil er zum Beispiel zweimal die siebte Klasse nicht schafft oder aber nach dem Wiederholen der Siebten auch in der achten Klasse das Klassenziel nicht erreicht hat
Vergangenes Schuljahr habe man allen mit Anspruch auf einen Schulplatz einen solchen anbieten können, so die Schulrätin. Allerdings: „Nicht alle konnten an ihren Wunschschulen und nicht alle an ihrer Wunschschulart untergebracht werden“, sagt sie. Obwohl die Gemeinschaftsschule für Wechsler vom Gymnasium optimal wäre, weil sie dort den direkteren Weg zum Abitur hätten, wünschten viele Eltern explizit einen Realschulplatz für ihr Kind. Ausnahme sei die zentral gelegene Schickhardt-Gemeinschaftsschule – sie werde wegen ihrer Oberstufe ebenfalls stark nachgefragt.
100 Anfragen allein im Monat Juli
Das kann die Schulleiterin der Gemeinschaftsschule im Stuttgarter Süden, Sandra Vöhringer, nur bestätigen: Allein vergangenes Schuljahr hätten sie rund 150 Anfragen auf einen Platz bekommen – davon allein 100 im Juli. Der Schwerpunkt liege in Klasse 7 und 8, so Vöhringer. Eigentlich seien sie eine vierzügige Schule, aber in den Klassen 9 und 10 seien sie fünfzügig – und das, obwohl rund 20 Schülerinnen und Schüler in Klasse 9 den Hauptschulabschluss ablegten und die Schule verließen. „Wir schaffen das, aber es bringt uns in räumliche Schwierigkeiten“, sagt Vöhringer.
Im Schnitt nehme jede weiterführende Real- oder Gemeinschaftsschule in Stuttgart fünf bis zehn Schüler pro Schuljahr auf, heißt es im Schulamt, das summiere sich auf rund eine zusätzliche Klasse, die aufgebaut werde. „Das ist schwierig für die Schüler und schwierig für die Klassen“, sagt Katharina Rebmann. Klar sei: Die Schulen würden immer zuerst die eigenen Wiederholer unterbringen und dann diejenigen, denen ein Schulplatz zusteht. „Die, die wechseln wollen, müssen warten“, erklärt Rebmann. Ob ein Wechsel überhaupt möglich ist, erfahren sie vielleicht erst Ende Juli. „Da werden viele Eltern sehr nervös“, sagt die Schulrätin. Auch im Staatlichen Schulamt landeten viele Anrufe – wobei die abgebenden Gymnasien die Vermittlung übernähmen, denen die Real- und Gemeinschaftsschulen freie Plätze meldeten.
Den Stoff fürs Wahlpflichtfach muss man selbstständig nachlernen
Katja Ibrahim schildert eindrücklich, was es mit Jugendlichen macht, wenn der Schulwechsel erst erfolgt, wenn er tatsächlich rechtlich erfolgen muss: „Zwei Jahre Misserfolg und Druck führen zu Schulunlust bis Schulfrust.“ Es komme in diesen Fällen häufig zu Schulabsentismus. Manchmal sei es möglich, aus pädagogischen Gründen einen früheren Wechsel durchzuführen. „Das ist dann häufig besser“, so Ibrahim.
Was den Wechsel für viele erschwere, sei das Wahlpflichtfach, das in der Realschulabschlussprüfung ein Hauptfach ist. Man kann an der Realschule zwischen Französisch, Technik und AES (Alltagskultur, Ernährung, Soziales) wählen. Nur Französisch wird am Gymnasium als Fach angeboten. Wer Latein gewählt hat, hat ein Problem. Ein später Wechsel führe dazu, dass die Betroffenen den Prüfungsstoff in AES und Technik selbstständig nachholen müssten, berichtet Ibrahim.
„Sie müssen nachlernen“, sagt auch Katharina Rebmann . Wie gut das gelinge und die Bildungsbiografie weitergehe, hänge davon ab, wie sehr ein Kind den Wechsel als eigenes Scheitern empfinde. Da spiele die Erwartungshaltung der Eltern eine große Rolle. Die Schulrätin rät, die eigene Enttäuschung dem Kind möglichst nicht zu zeigen.
Bewirkt die verbindliche Grundschulempfehlung etwas?
An der Schickhardt-Gemeinschaftsschule macht man allerdings durchaus gute Erfahrungen mit den Schulwechslern. Sandra Vöhringer versucht, Schülerinnen und Schüler bei sich aufzunehmen, die zu ihnen passten und die auch wechseln wollten. Die Eingewöhnung sei zwar „nicht immer leicht“, aber die Entwicklung positiv, mit Schulabsentismus habe man nicht zu kämpfen. „Wir schaffen es, sie psychologisch zu stabilisieren“, sagt die Schulleiterin. Ein Schlüssel ist für sie das Lerncoaching, das in der Gemeinschaftsschule zum Konzept gehört. Die Schulwechsler vom Gymnasium schafften es in aller Regel bei ihnen auch in die Oberstufe. Ihr fällt auf Anhieb kein Jugendlicher ein, bei dem das nicht gelungen ist. „Das ist schon eine Erfolgsgeschichte“, sagt Vöhringer.
Die Eingewöhnung sei zwar „nicht immer leicht“, aber die Entwicklung positiv, sagt Sandra Vöhringer von der Schickhardt-Gemeinschaftsschule. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski
Im Schulamt hofft man derweil, dass es in Zukunft generell weniger Wechsler gibt aufgrund der verbindlichen Grundschulempfehlung. In diesem Jahr haben tatsächlich deutlich mehr Eltern ihr Kind für die fünfte Klasse an einer Real- oder Gemeinschaftsschule angemeldet als in den Vorjahren – der Zuwachs beträgt knapp zehn Prozent. Allerdings weiß man auch im Schulamt, dass eine Empfehlung fürs Gymnasium noch keine Garantie ist, dass ein Kind dort auch dauerhaft zurecht kommt. In der Pubertät zum Beispiel sacken die Noten oft in den Keller. „Passt der Lernstil dazu, wie ich lerne? Da kommt sehr viel zusammen“, sagt Katharina Rebmann.
Wechsel in Klasse 5 nicht zum Halbjahr möglich
Halbjahr Weil die fünfte Klasse als Orientierungsjahr gilt, ist ein Schulwechsel für Fünftklässler erst zum neuen Schuljahr möglich, also nicht nach dem ersten Halbjahr. Das Schulrecht ermögliche den Wechsel zum Halbjahr erst ab Klasse 6, heißt es im Staatlichen Schulamt.
Aufsetzer Die Realschule der Waldschule in Degerloch hat wie das Mörike auch einen Realschulaufsetzer, der ab Klasse 11 in drei Jahren zum Abitur führt. Da habe man jedes Jahr auch viele Externe aufnehmen können, berichtet Schulleiter Kai Buschmann. Von den zuletzt 40 Bewerbungen seien zehn von auswärts gekommen – 24 Plätze gibt es. Die internen Bewerber hätten Vorrang, aber auch als Externer habe man Chancen, über das Nachrückverfahren zum Zuge zu kommen.