Das Europäische Superwahljahr scheint die schlimmsten Befürchtungen Lügen zu strafen. Kein Ministerpräsident Wilders, keine Präsidentin Le Pen. Der Wähler ist vernünftiger als von vielen gedacht, kommentiert Christian Gottschalk. Es gibt aber genügend Gründe um wachsam zu bleiben.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Das Jahr ist zwar noch nicht einmal zu seiner Hälfte vorüber, aber eines scheint sich jetzt schon abzuzeichnen: Ganz so schlimm, wie von den größten Schwarzseher befürchtet, scheint es dann doch nicht zu werden. Was war da im Januar nicht alles an Schreckgespenstern an die Wand gemalt worden. Ein Ministerpräsident Wilders in den Niederlanden, Madame Président in Frankreich und eine AfD mit Höhenflugpotenzial in Deutschland – das zum europäischen Superwahljahr ausgerufene 2017 hätte zum europäischen Desaster werden können.

 

In der AfD schlummert Selbstzerstörungspotenzial

Das Wahlvolk scheint vernünftiger als befürchtet. Der niederländische Rechtspopulist ist von einer Regierungsbildung mindestens so weit entfernt wie Holland von den Alpen. Marine Le Pen ist so weit hinter den eigenen Erwartungen zurückgeblieben, dass sie am Wahlabend nicht einmal zum Schein müde Lächeln konnte und in der AfD schlummert nicht nur ein enormes Protest-, sondern auch ein gewaltiges Selbstzerstörungspotenzial. Im Saarland und in Schleswig-Holstein jedenfalls haben weit weniger Wähler in der so genannten Alternative eine tatsächliche Alternative gesehen. Das ist in der Gesamtbetrachtung keine schlechte Entwicklung. Grund, sich entspannt zurückzulehnen ist es aber auch nicht.

Geert Wilders lenkt zwar nicht die Geschicke des Landes, aber die Themen, die er setzt, wirken tief in die Parteien ein, die seit März um eine Regierungsbildung verhandeln. In Frankreich hat Le Pen nur ein gutes Drittel an Stimmen bekommen, doch ihre Gedankenwelt wirkt auf weit weniger Franzosen abstoßend als vor 15 Jahren. Damals hat ihr Vater nur halb so viele Wähler überzeugt. Und in Deutschland ist die AfD zwar als Partei ein wenig gefestigter Haufen, spiegelt aber doch die Ansichten von einer ordentlichen Minderheit die auch einer anderen Gruppierung ähnlicher Gesinnung hinterherlaufen könnte, sollte die AfD eines Tages das Schicksal der Piraten teilen.

Schnell kann sich der Wind wieder drehen

All jene, die für die einen verachtete Vertreter des Establishments und für die anderen etablierte Garanten des Systems sind müssen mehr denn je ihr Ohr am Puls der Zeit und dem Menschen haben. Denn auch wenn das Jahr weniger schlimm zu verlaufen scheint als befürchtet – das kann ganz schnell auch wieder anders kommen.