Der Anwalt Jürgen Korioth hilft bei Geburtsschäden. Er sieht den Staat gefordert, mit einer Versicherung das Leid wenigstens etwas zu mildern.

Familie, Bildung, Soziales : Michael Trauthig (rau)
Jürgen Korioth ist Vorsitzender der Bundesinteressengemeinschaft Geburtshilfegeschädigter. Der 64-jährige Rechtsanwalt hat seit 1993 seine Kanzlei in Hennef. Er hat sich früh auf das Thema Arzthaftung und Geburtsschäden spezialisiert und sich damit einen überregionalen Ruf erarbeitet. In ganz Deutschland hilft er Betroffenen vor Gericht.
Herr Korioth, warum haben Sie sich auf Geburtsschäden spezialisiert?
Der Grund sind eigene leidvolle Erfahrungen. Aus meiner Sicht war mein schwerbehinderter Sohn 1979 geburtshilflich geschädigt worden. Das Thema war damals aber noch ein weißer Fleck auf der Karte der Arzthaftung. Ich habe mich in die Materie eingearbeitet. Bei meinem Sohn, der mit zwölf Jahren starb, stellte sich jedoch heraus, dass er schon während der Schwangerschaft eine Gehirnblutung erlitten hatte.
Wie hat sich die Lage seit damals geändert?
Die Rechtsprechung hat sich stark entwickelt. Heute bietet das Arzthaftungsrecht eine ausgefeilte Klaviatur, um Behandlungsfehler zu beweisen und mit Erfolg Schadenersatzansprüche geltend zu machen.
Zum Beispiel?
Da gibt es etwa die Befund-Erhebungsmängel: Bevor eine Diagnose gestellt wird, müssen bestimmte Befunde erhoben werden. Wurde dies nicht getan, kann das ein grober Fehler gewesen sein. Eine andere Schiene, Schadenersatzansprüche zu begründen, ist die Aufklärungsproblematik. So muss ein Arzt auch auf alternative Behandlungsmethoden hinweisen. Es gibt oft Situationen bei der Geburt, in denen der Mediziner entscheiden muss, ob er der Frau einen Kaiserschnitt anbietet. Fällt der Arzt ohne diese Aufklärung die Entscheidung selbst, sind seine Entschlüsse rechtswidrig und führen zur Haftung.
Das heißt, der Arzt braucht im OP einen Anwalt?
Nein, es gibt genug Literatur für den Arzt dazu. Er muss die Rechte der Patientinnen eben achten und klarmachen, dass manche Risiken durch einen Kaiserschnitt zu minimieren sind.
Am Ende haben wir keine natürlichen Geburten mehr.
In Deutschland liegt die Kaiserschnittrate bei 31,1 Prozent, in Italien aber bei 37,7 und in Bulgarien bei 33,1 Prozent. Das liegt auch daran, dass die Risikorate bei Kaiserschnitten mittlerweile fast gleich null ist. Das heißt, die Alternative muss schon bei einer ganz weichen Indikation angesprochen werden.
Gibt es viel mehr Prozesse als früher?
Es liegt auf der Hand, dass allein schon durch das wachsende Sicherheitsdenken die Zahl der Fälle steigt. Die Leute kennen heute meist ihre Rechte. Ein Problem ist aber, dass die Verfahren teilweise sehr lange laufen. Mein ältester Fall ist 15 Jahre alt.
Warum dauert das so lange?
Weil die Gerichte nicht immer effektiv arbeiten und die Dinge manchmal kompliziert sind. Da gibt es Fälle, in denen mehrere Gutachten erstellt werden. Dann reicht oft eine Instanz nicht. Schließlich wird zunächst das Schmerzensgeld eingeklagt und die Feststellung, dass der Schaden zu ersetzen ist. Das heißt, in einem zweiten Schritt verhandelt man um die Schadenshöhe: Mehrbedarfsrente, sachlicher Mehrbedarf, personeller Mehrbedarf – alle Kosten, die etwa mit der Betreuungspflege verbunden sind.
Leiden Betroffene unter der Verfahrensdauer?
Sicher. Das ist eine Katastrophe. Die Verfahren müssen effektiver werden. Die Situation der Eltern ist dramatisch. Da scheitern Ehen, die Psyche, die Physis werden belastet, die Lebensplanung ist dahin. Eine schnelle finanzielle Entlastung würde wenigstens die Lage hier etwas entspannen.
Ist der Nachweis des Behandlungsfehlers denn besonders schwierig, oder was verzögert die Sache noch?
Je höher der Personenschaden, desto mehr wird gekämpft. Kleinere Schäden bis 30 000 Euro regulieren die Versicherer oft außergerichtlich. Aber bei großen Schäden kommt man am Ende locker auf zehn Millionen Euro.
Jürgen Korioth Foto: StZ
In der Folge schießen die Versicherungsprämien für Ärzte in die Höhe. Ist das für Sie ein Thema?
In fast 80 Prozent der schweren Fälle reicht die Haftpflichtversicherungssumme des Arztes nicht, um den Schaden zu decken. Für manchen Arzt und manches Krankenhaus ist das desaströs, weil sie Zahlungen dann aus eigener Tasche leisten müssen.
Immer mehr Kliniken machen deshalb ihre Geburtsstationen dicht.
Hier sollte der Staat einspringen. Das Modell von Neuseeland ist vernünftig. Dort deckt eine steuerfinanzierte staatliche Versicherung einen bestimmten Betrag ab. Wenn der dem Patienten nicht reicht, kann er gerichtlich die volle Haftung erstreiten.
Das Gespräch führte Michael Trauthig.