Alles deutet darauf hin, dass der Staat einen zweiten Versuch wagt, die Partei zu verbieten. Die Länder sind entschlossen dazu. Der Bundesinnenminister wird wohl einlenken müssen. Wir skizzieren die Argumente für und wider ein Verbot.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Berlin - Der 18. März 2003 war mutmaßlich der triumphalste Tag in der Geschichte der NPD. Damals entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Partei nicht verboten wird. Das von Bund und Ländern betriebene Verfahren wurde aus formalen Gründen eingestellt – weil ein Großteil der vorgelegten Beweise von staatlichen Spitzeln stammten, welche die Partei regelrecht unterwandert hatten.

 

Eine zweite Pleite dieser Art will Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sich und der Republik möglichst ersparen. Bis zuletzt hatte er sich äußerst skeptisch zu der Möglichkeit eines neuerlichen Verbotsantrages geäußert. Friedrich liegt deswegen mit seinem Parteichef Horst Seehofer und dessen bayerischem Innenminister über Kreuz. Beide hatten sich vehement für ein NPD-Verbot starkgemacht. Seehofer drohte gar mit einem Alleingang der Länder, falls der Bund sich verweigern sollte. „Aus meiner Sicht gibt es genügend Material für ein Verbot“, sagte er am Wochenende. Diese Einschätzung teilen offenbar auch die zuständigen Sicherheitsbehörden. „Es bestehen ausreichende Belege für die verfassungsfeindliche Zielsetzung“, sagte unlängst Hans-Georg Maaßen, der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Es sei nun „eine politische Entscheidung“, wie mit diesem Beweismaterial umgegangen werde. Freilich würde es nicht genügen, wenn sich einwandfrei dokumentieren lässt, dass die Programmatik der NPD dem Geist des Grundgesetzes widerspricht. Voraussetzung für ein Verbot wäre auch, dass die Partei ihre Ziele „aggressiv kämpferisch“ verfolgt.

Länder fast geschlossen für ein Verbot

Die meisten Bundesländer sind offenbar überzeugt, dass sich dieser Nachweis führen lässt, und treten deshalb für einen neuen Verbotsantrag ein. Seit Frühjahr wurden Beweise gesammelt. Damit der Staat nicht noch einmal in die gleiche Falle tappt wie 2003, hatten sich Bund und Länder auch darauf verständigt, auf die Aussagen von Spitzeln zu verzichten und sich allein auf sachliche Beweise zu stützen. Skeptische Töne kamen zuletzt nur noch aus Niedersachsen. Der Schweriner CDU-Politiker Lorenz Caffier, der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, sprach sich für ein Verbot aus. Bundesinnenminister Friedrich macht Bedenken geltend, äußerte sich jüngst aber weniger defensiv als noch vor Wochen. Aus Unionskreisen heißt es, ihm werde gar nichts anderes übrig bleiben, als einen Verbotsantrag zu unterstützen.

Die Innenminister treffen sich am Mittwoch kommender Woche in Warnemünde, um darüber zu befinden. Tags darauf wird die Frage auf einer Ministerpräsidentenkonferenz in Berlin entschieden.

Wir skizzieren die Argumente für und wider ein Verbot.

Pro NPD-Verbot

Warum ist die NPD nicht schon längst verboten? Sie propagiert eine Politik, die mit dem Grundgesetz unvereinbar ist. Das lässt sich in den Berichten des Verfassungsschutzes nachlesen. Das Programm und die Parolen der 1964 gegründeten NPD werden als antisemitisch, ausländerfeindlich, rassistisch, demokratiefeindlich und volksverhetzend bewertet. Jedenfalls mangelt es offenkundig nicht an Belegen, die dokumentieren, dass diese Partei verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Die Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) hatten auch Helfershelfer aus der NPD und aus deren Dunstkreis. Eine Lehre aus dem Scheitern der Weimarer Republik ist die Idee der „wehrhaften Demokratie“.

Die politische Toleranz, so die Verfechter dieses Konzepts, ende dort, wo Parteien die Fundamente des liberalen Rechtsstaats zu untergraben versuchen. Alles andere sei selbstzerstörerisch. Die NPD nutze unsere Demokratie nur aus. Es gibt kaum eine Handhabe gegen ihre Aufmärsche und Veranstaltungen, solange sie das Privileg der Legalität genießt. Zudem haben die Rechtsextremisten dabei auch noch Anspruch auf Polizeischutz – und auf staatliche Zuschüsse, wenn sie bei Wahlen entsprechende Erfolge erzielen. Die NPD finanziert sich tatsächlich zu großen Teilen aus Steuergeld.

Ein NPD-Verbot wäre ein klares Bekenntnis gegen Fremdenfeindlichkeit, politische Intoleranz und rechtsextreme Gewalt, argumentieren die Befürworter. Gerade vor dem Hintergrund der rechtsextremistisch motivierten Mordserie des Zwickauer Terrortrios sei ein solches Signal überfällig. Deutschland würde sich von den dunklen Schatten seiner Vergangenheit befreien. Es könne nicht sein, dass die politischen Urenkel von Adolf Hitler & Co. hier auf offener Bühne mit offizieller Duldung – und gelegentlich von der Polizei eskortiert – ihre Hetzpropaganda betreiben dürfen. Mit einem Verbot dieser Partei würde der gesamten rechtsextremistischen Szene die legale Basis entzogen. Das braune Milieu würde destabilisiert. Die politischen Anliegen der NPD und ihrer Gesinnungsgenossen würden als kriminell gebrandmarkt. Neonazis würden mithin riskieren, strafrechtlich verfolgt zu werden, wenn sie für ihre Parolen werben. Anhänger und Wähler, denen an einer bürgerlichen Existenz gelegen ist, würden verprellt. Den Rechtsextremisten würde der Geldhahn abgedreht, weil sie keine Wahlkampfzuschüsse mehr kassieren dürften und ihnen der Zugang zum parlamentarischen Betrieb versperrt bliebe.

Der Verzicht auf einen neuerlichen Verbotsantrag, so die Befürworter, wäre eine Art „Persilschein“ für die NPD. Die unzweifelhaft rechtsextremistische Partei könnte darauf verweisen, dass Bund und Länder ihre vermeintliche Verfassungsfeindlichkeit ein Jahr überprüft und dabei keinen Ansatzpunkt gefunden hätten, die Auflösung durch das Bundesverfassungsgericht zu beantragen. Die Zögerlichkeit des Staates wäre Wasser auf die Mühlen der NPD.

Contra NPD-Verbot

Gegen ein NPD-Verbot gibt es grundsätzliche, juristische und pragmatische Einwände. Zunächst zu den prinzipiellen Vorbehalten: eine starke, selbstbewusste Demokratie müsse es aushalten, wenn sich im Schutz der grundgesetzlich garantierten Toleranz auch Parteien tummeln, die ganz anderes im Sinne haben, so argumentieren die Gegner eines Verbotsantrags. Liberale Verfassungsrechtler werten ein Parteiverbot als „autoritären Systembruch“. Länder wie Großbritannien und die Vereinigten Staaten, die auf jahrhundertealte parlamentarische Traditionen zurückblicken können, kennen ein solches Instrument nicht. Das Scheitern des ersten Verbotsverfahrens wirkt zudem wie ein Trauma nach. Im Falle einer Neuauflage wäre ein Erfolg keineswegs garantiert, auch wenn sich der neue Verbotsantrag dieses Mal nicht auf Spitzelberichte, sondern auf Belege stützen würde, die offen zugänglich sind: Flugblätter, Reden, Texte aus Zeitungen und aus dem Internet. Eine zweite Pleite würde der NPD Munition liefern, um den Staat zu verunglimpfen. Es wäre ein Triumph für die rechtsextreme Szene, eine verheerende Blamage für den Rechtsstaat.

Der Gang nach Karlsruhe berge erhebliche Verfahrensrisiken, sagen Skeptiker. So könnte der Verfassungsschutz gezwungen sein, seine Vertrauensleute aus dem rechtsextremistischen Milieu zu enttarnen, um sie als Zeugen auftreten lassen zu können. Diese Leute wären dann extrem gefährdet – und zudem als Informanten verbrannt. Selbst wenn das Bundesverfassungsgericht die NPD verbieten würde, stünde der Partei der Weg nach Straßburg offen. Wie der Europäische Gerichtshof in einem solchen Fall entscheidet, ist aber ungewiss.

Schwindende Bedeutung der Partei

Die Kritiker eines NPD-Verbots verweisen zudem auf die schwindende Bedeutung der Partei. Sie verliert seit Jahren Mitglieder. Bei den Landtagswahlen im laufenden Jahr hatte sie nur die Rolle einer Splittergruppe. Seit 2010 hat sie es nur in Mecklenburg-Vorpommern geschafft, in den Landtag einzuziehen. Die NPD rühmt sich zwar, dass sie in fast allen Bundesländern auch in Kommunalparlamenten vertreten sei. Sie hat insgesamt aber nur 300 Mandate, ein Großteil davon in Sachsen.

Gegner eines Verbots führen ins Feld, der Gang nach Karlsruhe gleiche einer medizinischen Therapie, die nur an den Symptomen herumdoktere, die Ursache der Krankheit aber ignoriere. Der braune Ungeist lasse sich nicht verbieten, sondern nur politisch bekämpfen. Ein Verbot liefere allenfalls Stoff für Märtyrermythen. Zudem sei die rechte Szene agil genug, um rasch neue organisatorische Strukturen zu schaffen. Die Bedeutung der NPD in diesem Milieu habe ohnehin erheblich abgenommen. Für jugendliche Neonazis sei die NPD eine „Altherrenpartei“, sagen Sicherheitsexperten. Aus diesem Umfeld kommen außerdem ganz pragmatische Bedenken gegen ein NPD-Verbot: Eine legale Partei und deren Aktivitäten lasse sich viel einfacher überwachen als diffuse rechtsextremistische Zellen im Untergrund.