Der NSU und die Folgen: bei einem Studientag zum Rechtsextremismus hat der Innenminister Reinhold Gall (SPD) einen Rückgang der bekannten Rechtsradikalen vermeldet, aber keine Entwarnung gegeben.

Freudental - Der Rechtsextremismus ist ein nahe liegendes Problem. Für Thomas Reusch-Frey hat es genug aktuelle Anlässe gegeben, um einen Studientag zu dem Thema im Pädagogisch-Kulturellen Zentrum von Freudental zu initiieren. Die Schändung des dortigen jüdischen Friedhofs mit nationalsozialistischen Symbolen vor sechs Jahren treibt den SPD-Landtagsabgeordneten noch immer um. Außerdem haben sich die drei Mitglieder des nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) in Ludwigsburg aufgehalten. Es gibt ein Foto, das Beate Zschäpe im Jahr 2004 vor dem Residenzschloss zeigt. „Die Rechtsextremisten treiben also direkt vor unserer Haustüre ihr Unwesen“, sagte der SPD-Abgeordnete am Sonntag in der ehemaligen Synagoge.

 

Rechtsextremismus ist nur schwer zu fassen

Referate, eine Podiumsdiskussion und eine Rede des Landesinnenministers standen auf dem Programm. Der Rechtsextremismus sei keine in Büchern versiegelte Vergangenheit, sagte Reinhold Gall (SPD). Deshalb seien Erinnerung, Mahnung, ständige Wachsamkeit und Begegnungen wie der Studientag nötig. „Die Anstrengungen tragen Früchte“, sagte der Innenminister. In Deutschland sei die Zahl der bekannten Rechtsextremisten um 60 Prozent zurückgegangen, in Baden-Württemberg sogar um 70 Prozent. Auch die Zahl der politisch motivierten Gewalttaten sei rückläufig. Doch angesichts der NSU-Mordserie sagten solche Zahlen nicht mehr viel aus, räumte der Minister ein. „Die Polizei und der Verfassungsschutz setzen alles daran, Licht in dieses extremistische Dunkel zu bringen“, sagte er.

Laut Reinhold Gall müssen sich die Sicherheitsbehörden permanent auf neue Agitationsformen einstellen. Die NPD „hätten sie sehr gut im Blick“. Die Klage der Länder gegen die rechtsradikale Partei werde demnächst beim Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Schwieriger zu überwachen sei der Rechtsextremismus im Internet. „Die Szene besteht aus heterogenen, kleinen, regionalen Gruppen, die sich über Netzwerke zu Aktionen zusammenschließen“, erklärte er. In Baden-Württemberg gebe es zwar keine konkreten Anhaltspunkte für Gewalttaten oder Anschläge – aber sie ließen sich nicht ausschließen. „Die Sicherheitsbehörden können den Rechtsextremismus bekämpfen, aber nicht das Klima beeinflussen, das dessen Entstehung begünstigt“, sagte Reinhold Gall. Dazu zählt er, dass rund 20 Prozent der Unter-30-Jährigen nicht wissen, was in Ausschwitz geschehen ist.

Ausländerfeindlichkeit wir durch harmlose Floskeln bedient

Um dieses Klima geht es auch bei einer Podiumsdiskussion, die von Hilke Lorenz, der Leiterin der Ludwigsburger Redaktion der Stuttgarter Zeitung, moderiert wird. Dabei kritisierte Rainer Haas, dass Ausländerfeindlichkeit durch vermeintlich harmlose Politik-Floskeln bedient werde. Als Beispiel nannte er Peter Ramsauers (CSU) Forderung nach einer Autobahnmaut für Ausländer. In seinem Hoheitsgebiet versucht der Landrat dem Phänomen mit mobiler Sozialarbeit zu begegnen: 1,5 Millionen Euro gibt seine Behörde im Jahr dafür aus. Dass es keine oder kaum eine rechte Szene im Kreis geben soll, hält der Autor Steffen Pross für ein Zerrbild. In der Polizeistatistik für 2012 tauchen immerhin 69 rechtsextremistisch motivierte Straftaten auf. Zehn Jahre zuvor waren es 30 Fälle weniger. Er hat noch mehr Beispiele zu bieten: Einer der Täter, die in Winterbach ein Gartenhäuschen anzündeten, in dem sich fünf Migranten verschanzt hatten, stammt aus Schwieberdingen. Außerdem forderten er und der auf die NSU spezialisierte Journalist Thomas Moser einen Untersuchungsausschuss, der die Geschehnisse und Ermittlungen rund um das Terrortrio in Baden-Württemberg beleuchten soll. „Dieser Studientag motiviert, gegen die Ausgrenzung von Menschen anzutreten“, sagte Barbara Schüßler zum Schluss. Für die Lehrerin, die in dem Freudentaler Centrum das pädagogische Programm gestaltet, lautet die größte Herausforderung jedoch, das Thema in die Jugend zu tragen.

Eine Schändung von großem Ausmaß

Tat
In der Nacht zum 2. Oktober 2007 haben rechtsextreme Täter 73 Grabsteine des jüdischen Friedhofs bei Freudental umgeworfen. 37 Grabsteine wurden darüber hinaus mit nationalsozialistischen Symbolen beschmiert – etwa mit Hakenkreuzen und SS-Runen. Der materielle Schaden lag bei 100 000 Euro. Das Innenministerium finanzierte die Instandsetzung des abseits in einem Waldstück gelegenen Friedhofs. Die Täter wurden nicht gefasst.

Wiedergutmachung
Am Volkstrauertag 2007 kamen mehr als 700 Menschen zu einer Gedenkfeier auf den jüdischen Friedhof. „Die Täter haben verloren, ihre Ziele nicht erreicht“, sagte der damalige Ministerpräsident Günther Oettinger. Sie hätten das Andenken an die deutsch-jüdische Geschichte tilgen wollen, aber mit ihrer Untat das Gegenteil erreicht.