Die Szene im Land hat viele Schattierungen. Einige Täter und Mitläufer steigen aus und bekommen Hilfe vom Aussteigerprogramm Big Rex.

Stuttgart - Die Decke ist gelupft, eine neue Dimension des rechtsextremen Terrors tut sich auf. Doch was steckt noch im Verborgenen? Mit Erschrecken, aber auch kalkuliert nüchtern verfolgt Dieter Schneider, der Präsident des Landeskriminalamtes (LKA) Baden-Württemberg, die Entwicklungen: "Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass es bei uns ähnliche Strukturen wie beim Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) gibt", betont er. Ob sich das "bei uns" aufrechterhalten lässt angesichts eines Terrors, der auf Landesgrenzen keine Rücksicht nimmt, ist eine andere Frage.

 

Immerhin ist die Zahl der rechtspolitisch motivierten Kriminalität im Land zumindest offiziell rückläufig. 926 Fälle wurden 2010 registriert. Meist waren es Beleidigungen oder Hitlergrüße. Es gab aber auch 40 Gewaltdelikte. Nach Schätzungen des Verfassungsschutzes ist die Zahl der Rechtsextremen in Baden-Württemberg auf zuletzt 2200 gesunken, 670 von ihnen gelten als gewaltbereit. Und die Dunkelziffer? Wie viele rechtsextreme Übergriffe tauchen in der Statistik nur unter "Sonstiges" auf? Für die 600 Fälle von politisch motivierter Gewalt, die als "nicht zuordnungsbar" geführt werden (dreimal mehr als 2009) hat Schneider eine einfache Erklärung: Stuttgart 21. Womöglich ist aber der rechte Sumpf auch im Land tiefer als bisher angenommen. "Wir werden unsere Programme auf den Prüfstand stellen", sagt Schneider jedenfalls, dem als Chef des LKA auch die Abteilung Staatsschutz untersteht.

Beim Ausstieg gibt es Unterstützung

Vor genau zehn Jahren hat diese ein Aussteigerprogramm ins Leben gerufen - die Beratungs- und Interventionsgruppe gegen Rechtsextremismus, kurz Big Rex. Die fünf Mitarbeiter - vier Polizeibeamte und ein Pädagoge - müssen vor allem Klinken putzen. Wenn V-Leute oder verdeckte Ermittler ihnen Erkenntnisse über Rechtsextreme liefern, sprechen sie diese direkt zu Hause an - immer zu zweit und in der Hoffnung, dass der Partner oder die Eltern das Gespräch mitbekommen und weiter auf die Betreffenden einwirken. 2000-mal sind die LKA-Mitarbeiter in zehn Jahren so vorgegangen, 380- mal mit dem Erfolg, dass die Person der Szene den Rücken gekehrt hat. Beim Ausstieg gibt es in der Regel Unterstützung. Hilfe bei der Arbeitssuche, beim Wohnortwechsel, Antigewalttraining und eine Suchttherapie sind begleitende Maßnahmen. "Wir stellen fest, dass sich nicht nur Mitläufer zum Ausstieg bewegen lassen, sondern auch Hartgesottene", sagt Schneider. Als Beleg dafür führt er an: "Die Hälfte der zurzeit Betreuten sitzt oder saß in Haft."

Dabei ordnen sich längst nicht nur vermeintliche Angehörige bildungsferner, gewaltnaher Schichten dem rechten Lager zu. "Die Szene im Land ist sehr heterogen: vom dumpfen Schläger bis zum intellektuellen Rechten ist alles darunter", sagt Schneider. Vor allem aber sind die Mitglieder junge Menschen, Jugendliche. Oft werde der Nachwuchs über Rechtsrock-Musikgruppen rekrutiert, über CDs mit faschistischem Liedgut, verteilt auf Schulhöfen; es werden Freizeitangebote mit Lagerfeuerromantik gemacht. Rechte haben in der Regel alle Freunde in der Szene. Sie verbringen mit ihnen ihre Freizeit. Beim Ausstieg droht deshalb die soziale Isolation. "Denen muss man erst mal zeigen, wie man ein Leben außerhalb der Gruppe gestalten kann", sagt Schneider.

Pamphlete finden weite Verbreitung

Auch Rechtsextreme organisieren sich mittlerweile stark über das Internet. Professionelle Webseiten und online gestreute Pamphlete finden weite Verbreitung, Blogs werden intensiv genutzt. Durch aktive Internetrecherche verfolgen die Behörden das Geschehen - soweit dies leistbar ist. "Wegen der Vielzahl der laufenden Aktivitäten im Netz ist die Kontrolle nur eingeschränkt möglich", sagt Schneider offen. "Wir geben uns keiner Illusion hin: wir bekommen längst nicht alles mit."

Was die Ermittler besonders interessiert - die Verabredung zu Treffen etwa - läuft oft ohnehin sehr viel konspirativer ab - über SMS-Verteiler zum Beispiel und geheime Sammelplätze im Vorfeld von Veranstaltungen. Hier sind die Behörden auf Hinweise von Vertrauensleuten angewiesen. Nach dem Ausheben der rechten Terrorzelle in Thüringen setzt der Präsident des Landeskriminalamts aber auch auf neue, sozusagen selbstheilende Impulse aus der Szene: "Ich hoffe, dass viele das menschenverachtende Vorgehen der NSU nicht billigen, dass sie sich distanzieren und aussteigen."