„Rechtsfreier Raum“ beim Ladendiebstahl Der enorme Frust der Händler

Ladendiebstahl ist ein Massendelikt – immer mehr Täter gehen organisiert vor, der Handel kommt kaum dagegen an. Foto: dpa/J.-P. Strobel

Die Zahl der Ladendiebstähle in Baden-Württemberg hat im vergangenen Jahr den höchsten Wert seit 2005 erreicht. Bestraft wird allerdings kaum ein Täter. Händler berichten über dreiste Banden und hilflose Ermittler.

Kriminalität, Sicherheit und Justiz: Jürgen Bock (jbo)

Keiner schaut gerade her im Supermarkt – ein paar Süßigkeiten verschwinden schnell in der Tasche. Solche Fälle von Ladendiebstahl gibt es natürlich, doch die Täter gehen immer häufiger professionell und organisiert vor. Kleines Beispiel gefällig? Da wäre etwa der 44-Jährige, der vor einigen Tagen in Eislingen (Landkreis Göppingen) mit zwei präparierten Taschen einen Elektronikmarkt betrat, um möglichst ohne Alarm Spielkonsolen unbezahlt aus dem Geschäft zu schmuggeln. Zeugen beobachteten ihn allerdings dabei. Dieser Täter ließ sich immerhin festhalten und der Polizei übergeben. Viele reagieren aber auch gewalttätig, wenn sie erwischt werden.

 

Bei Diebstahl handelt es sich um ein Massenphänomen. Die Schäden dürften zig Millionen Euro betragen. Laut Sicherheitsbericht des Landes war im vergangenen Jahr fast jede dritte Straftat in Baden-Württemberg ein Diebstahl. 177 121 Fälle wurden gezählt, ein Anstieg um elf Prozent. Darunter fanden sich 47 052 Ladendiebstähle, der höchste Wert seit 2005. „Ziel der Ladendiebinnen und Ladendiebe sind vor allem Kosmetik, Lebensmittel, Alkoholika, Hygieneartikel und Kleidung“, schreibt das Innenministerium im Bericht. Die Mehrheit der Tatverdächtigen hatte keinen deutschen Pass. Es dürfte sich bei der Zahl der Ladendiebstähle nur um die Spitze des Eisbergs handeln, denn wenn man Experten hört, landen viele davon gar nicht erst bei der Polizei. Neun von zehn der Fälle würden aufgeklärt, heißt es zwar beim Land – doch die betroffenen Händler können da nur abwinken. Die Dunkelziffer sei hoch, heißt es beim Handelsverband Baden-Württemberg. Viele Ladendiebstähle würden nicht sofort entdeckt oder aufgrund geringer Aussichten auf einen Erfolg der Anzeige der Polizei erst gar nicht gemeldet. Auch der bandenmäßig organisierte Ladendiebstahl werde zu einem immer größeren Problem für den Einzelhandel.

Das bestätigen Betroffene. „Wir sehen uns vom Staat allein gelassen. Wir werden der Probleme nicht mehr Herr, aber es gibt keinerlei Strafverfolgung. Für diese Täter ist ein rechtsfreier Raum geschaffen worden“, sagt Hansjörg Stähle. Er führt seit 30 Jahren ein alteingesessenes Familienunternehmen, Intersport Stähle mit vier Geschäften in Villingen-Schwenningen, Bad Dürrheim und Bad Säckingen am Hochrhein. In der Branche und auch bei den Mitarbeitenden herrsche enormer Frust. „Kaum eine Anzeige zieht eine Verurteilung nach sich. Wir bekommen immer wieder Schreiben von der Staatsanwaltschaft, in denen uns die Einstellung der Verfahren mitgeteilt wird“, erzählt der Händler. Als Gründe würden Geringfügigkeit, Minderjährigkeit der Verdächtigen oder deren Traumatisierung genannt.

Bestens organisierte Tätergruppen

Geringfügig ist die Sache für die Bestohlenen allerdings nicht. „Der Schaden ist enorm und hat sich bei uns allein im vergangenen Jahr verdoppelt“, so Stähle. Von vielen Kollegen höre er dasselbe. Man rüste zwar mit Ladendetektiven, Kameraüberwachung, Sicherung der Ware und zeitweise Türstehern auf, doch das verursache hohe Kosten und halte die Täter genauso wenig ab wie die Erteilung von Hausverboten. Wenn man jemanden erwische, komme häufig nicht einmal mehr die Polizei – dafür müsse man mit tätlichen Angriffen rechnen. Am Hochrhein kämen derzeit noch Banden aus Frankreich als Problem dazu.

Stähle schildert die Methoden der Täter. „Die sind sehr gut organisiert und gehen häufig in Gruppen und drei Wellen vor“, sagt er. In der ersten Welle werde die Ware im Laden sondiert, interessante Artikel würden mit Sicherung abfotografiert. In der zweiten Welle kämen weitere Täter, die die Sicherungen der entsprechenden Produkte herausschnitten oder auf anderem Wege entfernten. In der dritten Stufe schließlich tauchten die Beteiligten auf, die jung und schnell sind und das Diebesgut aus dem Laden bringen. Man sichere manche Produkte inzwischen mit Ketten – verkaufe dann aber auch weniger davon. „Der Staat muss seine Bürger schützen“, sagt Stähle.

Handelsverband fordert Gegenmaßnahmen

Auch der Handelsverband fordert angesichts der Entwicklung ein entschiedeneres Vorgehen der Justiz gegen Ladendiebstahl. „Der starke Anstieg ist erschreckend, jedoch keineswegs überraschend. Ladendiebstahl wird zu oft noch als Bagatelldelikt angesehen, die Strafen sind viel zu gering und haben keine abschreckende Wirkung“, sagt Hauptgeschäftsführerin Sabine Hagmann. Der Rechtsstaat müsse „das Heft des Handelns wieder in die Hand nehmen und mit schnellen Verfahren und spürbaren Strafen für Ladendiebstahl hart durchgreifen“. Wenn es notwendig sei, müsse man dafür „sowohl Polizei als auch Staatsanwaltschaft und Gerichte stärken und diese personell aufstocken“.

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