Die AfD-Fraktion hat offenbar Pamphlete gegen die Flüchtlings- und Asylpolitik über die Fraktionskasse abgerechnet. Ihr Fraktionschef Bernd Klingler hätte es besser wissen müssen: Er war für ähnliche Vorgänge aus seiner FDP-Zeit in seinem Strafprozess vor dem Cannstatter Amtsgericht gerügt worden.

Stuttgart - Im Gefolge der Affäre um den ehemaligen FDP-Fraktionschef Bernd Klingler hat das städtische Rechnungsprüfungsamt die Finanzen aller Gemeinderatsfraktionen durchleuchtet. Ausgerechnet bei der AfD, bei der der abtrünnige Liberale seine neue politische Heimat gefunden hat, wurden die Prüfer fündig. Nach Informationen dieser Zeitung haben die Rechtspopulisten gegen die städtischen Regeln zur Verwendung von Fraktionsmitteln verstoßen, indem sie Faltblätter gegen die Flüchtlings- und Asylpolitik der Bundesregierung in zigtausendfacher Auflage drucken ließen, denen jeglicher kommunalpolitischer Bezug fehlte.

 

Ähnliches hatte Klingler bereits als FDP-Spitzenmann praktiziert und war dafür in seinem Strafverfahren wegen Untreue zulasten der FDP-Fraktion vor dem Amtsgericht Bad Cannstatt auch gerügt worden. Die FDP soll nun 23 500 Euro an die Stadtkasse zurückzahlen, bei der AfD soll es gar um 50 000 Euro zweckentfremdetes Steuergeld gehen. Strafrechtlich seien die Vorgänge bei der AfD ohne Belang, das hätten erste Prüfungen des Rechtsamts ergeben, heißt es im Rathaus. Sie werfen aber erneut ein Schlaglicht auf den einschlägig vorbelasteten AfD-Fraktionsvorsitzenden, der offenbar keine Lehren aus dem Verfahren gegen sich gezogen hat – und auf eine Partei, die der politischen Konkurrenz gerne Verstöße gegen geltende Regeln vorwirft.

Flugblätter warnen vor „Invasion vom Balkan“

Vor vier Wochen hatte diese Zeitung schriftlich bei allen Ratsfraktionen angefragt, welche Beanstandungen es bei der Überprüfung des Finanzgebarens gegeben habe. Alle Fraktionen reagierten prompt und legten die Prüfungsergebnisse offen. Die AfD hatte bereits im Mai auf Anfrage mitgeteilt, dass „die Rechnungsprüfung für uns sehr positiv verlaufen ist, es gab – mit einer Ausnahme – keine Beanstandungen, sorgfältige und korrekte Buchführung wurde uns attestiert“. Man fühle sich auch dadurch bestätigt, dass man als Neulinge im Rathaus und ohne die entsprechende Erfahrung im Umgang mit Haushaltsmitteln bei dieser ersten Prüfung sehr gut abschnitten habe, erklärte Klinglers Co-Sprecher Lothar Maier damals.

Zu diesem Zeitpunkt muss Maier und Klingler aber schon klar gewesen sein, dass das Rechnungsprüfungsamt bei ihrer Kontoführung keineswegs nur Kleinigkeiten zu bemängeln hatte. Demnach hat die Fraktion in mehreren Fällen Flugblätter ohne jeglichen Bezug zur Fraktionsarbeit im Rathaus drucken lassen, in denen unter anderem die „Invasion vom Balkan“ heraufbeschworen wurde oder von „privilegierter medizinischer Versorgung“ von Flüchtlingen die Rede war. Gefordert wird darin unter anderem eine Beschleunigung der Asylverfahren sowie Aufklärungsmaßnahmen in Heimat- und Herkunftsländern der Asylsuchenden. Kein Wort fand sich darin über die Arbeit der vier Stadträte im Rat, von denen drei für den Landtag kandidiert hatten. Einer der Flyer soll im Vorfeld der Landtagswahl in einer Auflage von 220 000 Stück in Druck gegeben worden sein.

Mag man bei den kommunalpolitischen Novizen Lothar Maier, Eberhard Brett und Heinrich Fiechtner (alle drei sind erst seit 2014 Stadträte) noch eine gewisse Ahnungslosigkeit unterstellen, so hätte doch zumindest der erfahrene Stadtrat Bernd Klingler wissen müssen, dass die Fraktion damit gegen die Satzung über die Finanzierung der Arbeit der Fraktionen, Gruppierungen und Einzelmitglieder des Gemeinderats sowie gegen die Maßgaben der Stadt für die Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen vom Oktober 2013 verstößt. Darin ist unmissverständlich festgelegt, wofür das Steuergeld, das die Fraktionen für ihre Öffentlichkeitsarbeit von der Stadt bekommen, verwendet werden darf – und wofür nicht. So heißt es dort unter anderem, unzulässig seien „Werbung für politische Ansichten und Ideologien“ einer Partei sowie „Werbung für Positionen, die keinen Bezug zur Arbeit des Gemeinderats haben“. Zudem wird eine flächendeckende Belieferung aller Haushalte mit Flyern untersagt.

Klingler hat schon als FDP-Stadtrat gegen städtische Richtlinien verstoßen

Zur Erinnerung: Der AfD-Fraktionssprecher Klingler war im Juni wegen Untreue in erster Instanz zu einer Bewährungsstrafe von 14 Monaten verurteilt worden, weil er unter anderem 23 500 Euro für den Druck von angeblich 80 000 FDP-Flyern im Vorfeld der Kommunalwahl 2014 vom Fraktionskonto bezahlt haben will – ohne dass das Gericht einen Nachweis dafür erbracht sah, dass die Broschüren jemals hergestellt geschweige denn verteilt worden sind. Auch diese Flugblätter hatten nach Auffassung der Stadt nichts mit Fraktionsöffentlichkeitsarbeit zu tun, sondern kamen einer Wahlwerbung gleich. Abgesehen vom strafrechtlichen Aspekt – das Geld soll Klingler laut Urteil für eigene Zwecke verwendet haben – ließ die Stadt seinerzeit verlauten, es handele sich um eine „nicht satzungsgemäße Verwendung von Budgetmitteln“. Im Prozess hatte selbst Klinglers Anwalt eingeräumt, dass sein Mandant wohl gegen die Regelungen der Parteienfinanzierung verstoßen habe.

Mit den Recherchen dieser Zeitung konfrontiert, erklärte Klingler, er habe „nach bestem Wissen und Gewissen“ agiert. In den städtischen Vorschriften sei „vieles nicht klar, was man machen kann“. Im Übrigen seien in einigen Flugblättern auch kommunalpolitische Themen sowie die Arbeit der Fraktion beleuchtet worden. Laut dem AfD-Fraktionschef wurden dafür 33 500 Euro aus Fraktionsmitteln investiert. Klingler: „Wenn wir etwas zurückzahlen müssen, tun wir’s. Das bringt uns nicht um.“

Das Rechnungsprüfungsamt hat die Recherchen dieser Zeitung auf Anfrage bestätigt, die Prüfung sei allerdings noch nicht abgeschlossen. Laut Noch-Verwaltungsbürgermeister Werner Wölfle (Grüne) „wird im Rahmen einer Anhörung der Sachverhalt gemeinsam mit dem Rechnungsprüfungsamt besprochen“. Zu Details wollte sich Wölfle aber nicht äußern.