Rechtsruck bei Kommunalwahlen Bürgermeister appellieren in offenem Brief an Bundesregierung

Timur Özcan, Bürgermeister aus dem baden-württembergischen Walzbachtal gehört zu den Unterzeichnern des offenen Briefs an die Bundesregierung. Foto: Sascha Hörrle Photography/Sascha Hörrle

Sie sehen die Demokratie in Gefahr: Bürgermeisterinnen und Bürgermeister zeigen sich angesichts des starken Abschneidens der AfD bei den Kommunalwahlen alarmiert und wollen das Vertrauen junger Menschen in die Demokratie stärken. Dabei hoffen sie dringend auf mehr Unterstützung.

Die drei Bürgermeister aus Mecklenburg-Vorpommern, Baden-Württemberg und Niedersachsen, Rico Reichelt, Timur Özcan und Claudio Provenzano, kommen aus sehr unterschiedlichen Städten. Aber sie sorgen sich vor allem um eins: wie schwer die starken AfD-Ergebnisse die Politik in den Kommunen künftig machen könnten.

 

Gemeinsam mit sieben weiteren Bürgermeistern haben sie deshalb einen offenen Brief an die Bundesregierung geschrieben. „Das Ansehen der Demokratie ist so fragil wie die Strukturen von Kultur, bürgerschaftlichem Engagement, Demokratieförderung und kommunalen Verwaltungen“, heißt es darin. Sie wünschen sich mehr Unterstützung für ihre Kommunen, um Zusammenarbeit mit Vereinen und Schulen zu stärken.

AfD zeigt wenig Interesse an Kommunalpolitik

Dass der Erfolg der AfD bei den Kommunalwahlen vor allem Ausdruck des Bundestrends ist, zeigt die Gemeinde Boizenburg/Elbe in Mecklenburg-Vorpommern. „Die AfD war im Wahlkampf überhaupt nicht präsent,“ sagt Bürgermeister Rico Reichelt (Linke). Obwohl der Rechtsaußenpartei vier Sitze in der Stadtvertretung zustünden, wird sie aus Mangel an geeigneten Persönlichkeiten nur einen besetzen.

„AfD streut Sand ins Getriebe“

Auch dort, wo die AfD bereits in den Gemeinderäten vertreten ist, zeige sie kaum Interesse an kommunalen Themen, so die Bürgermeister. „Die AfD streut Sand ins Getriebe, wo immer es geht“, sagt Claudio Provenzano (SPD), Bürgermeister von Garbsen in Niedersachsen, wo die AfD seit 2021 im Stadtrat sitzt. „Ihre Anfragen beziehen sich fast immer auf Fragen, die in der Bundespolitik entschieden werden, wie die Migrationspolitik.“

Vertrauensverlust bei jungen Wählerinnen und Wählern

Trotzdem konnte die AfD bei den Kommunalwahlen, die in acht Bundesländern parallel zu den Europawahlen stattfanden, teils kräftig zulegen. So erreichte die Rechtsaußenpartei in Brandenburg 25,7 Prozent und legte im Vergleich zu den Kommunalwahlen 2019 um 9,8 Punkte zu. In Mecklenburg-Vorpommern verdrängte sie die CDU s vom ersten Platz. „Dass die AfD bei jungen Wählern gut ankommt, erschreckt mich am meisten“, so Timur Özcan (SPD), Bürgermeister von Walzbachtal in Baden-Württemberg, wo die AfD auf 13 Prozent kam.

Social Media nicht Rechten überlassen

Zwar kam die AfD Wahlforschern zufolge bei den Europawahlen in der Altersgruppe der 16- bis 24-Jährigen auf 16 Prozent und damit auf einen geringeren Stimmenanteil als in allen anderen Altersgruppen. Allerdings konnte sie ihren Stimmenanteil in dieser Altersgruppe im Vergleich zu 2019 um elf Prozentpunkte steigern. Nur die CDU schnitt bei Jungwählerinnen und Jungwählern mit einem Wert von 17 Prozent etwas besser ab.

Mit Partizipation Vertrauen zurückgewinnen

„Die etablierten Parteien und auch die Kommunen haben die sozialen Netzwerke zu lange den Rechten überlassen“, sagt Provenzano. Er postet deshalb kurze Erklärvideos auf Instagram, mit denen er junge Menschen über die Demokratie aufklären will. Die starke Social-Media-Präsenz der AfD sei aber nicht der alleinige Grund für das Wahlergebnis. „Viele junge Menschen haben Zukunftsängste. Manche glauben nicht, dass die Demokratie die Probleme lösen kann.“

Bei einer Tagung der Hertie-Stiftung in Berlin haben sich die zehn Unterzeichner des offenen Briefes darüber ausgetauscht, wie man Vertrauen in die Demokratie zurückgewinnen könne. „Gerade in Zeiten wie diesen merken wir, wie wichtig es ist, Jugendliche an demokratischen Prozessen zu beteiligen“, so Provenzano. Das ist das Ziel des Hertie-Programms „Jugend entscheidet“, auf das sich die zehn Kommunen erfolgreich beworben haben. Dabei entwickeln Jugendliche Vorschläge für ein lokalpolitisches Projekt, das sie mit den Kommunen umsetzen. Die Hoffnung ist, dass durch die Erfahrungen die Lust an Politik geweckt und das Vertrauen in die Demokratie gestärkt werden.

Dass die Gemeinden von den Ideen der Jungen profitieren, zeigt etwa ein Skate-Park in der Hansestadt Warburg, die 2021 an dem Programm teilnahm. Auf dem Beton mit den Rundungen rollen seit diesem Jahr die Skateboards und BMX-Räder.

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