Im Verfahren gegen die mutmaßliche Rechtsterrorgruppe S. hielt der Ermittlungsführer Kontakt zu einem dubiosen Informanten. Vor Gericht kommt der Kriminale in Not: Seine private Handynummer taucht in mitgeschnittenen Telefonaten auf, seine Quelle ermuntert er, an Straftaten mitzuwirken, statt ihn davon abzuhalten.

„Es stinkt zum Himmel“, poltert Verteidiger Heiko Hofstetter. Seine Kollege Ashraf Abouzeid und fühlt sich „verarscht“. Und Juristin Anika Klein spricht gar davon, „dass Baden-Württemberg einen ausgemachten Polizeiskandal hat.“ Nach dem 106. Verhandlungstag im Verfahren gegen die mutmaßliche Rechtsterrorgruppe S. vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht bemühen sich die meisten der 24 Strafverteidiger um Haltung.

 

Fast neun Stunden lang hatten sie und das Richterquintett des 5. Strafsenats den Ermittlungsführer des Landeskriminalamtes, einen Ersten Kriminalhauptkommissar, befragt. Der hatte zusammen mit seiner Stellvertreterin fünf Monate lang einen Mann betreut, der sich den Kriminalen als Informant andiente. Erhofft hat sich Paul-Ludwig U., so in ein Zeugenschutzprogramm zu kommen, um unter sein bis dahin scheinbar verpfuschtes Leben einen Schlussstrich zu ziehen: 21 Jahre Gefängnis, die meiste Zeit in geschlossenen, forensischen Kliniken. Nach zahlreichen kleineren Straftaten hatte er erst einen Polizisten als Geisel genommen, später dann in einer Klinik zwei Pflegekräfte.

Private Handynummer des Ermittlers in den Mitschnitten

Nach seiner Entlassung unter dubiosen Umständen drängte er sich den Ermittlungsbehörden mit teils frei erfundenen Geschichten als Informant auf: Er habe eine Gruppe Rechtsterroristen ausfindig gemacht, die Moscheen angreifen, Politiker ermorden und einen Bürgerkrieg anzetteln wolle. In Würzburg stellte die Polizei schnell fest, dass von den Geschichten U.s kaum etwas stimmte – und stellte die Nachforschungen ein. In Baden-Württemberg glaubten ihm die Ermittler, als U. dieselbe Geschichte auftischte, allerdings viele Namen zu den ersten Versionen austauschte.

Ein Informant also, bei dem Vorsicht, Distanz geboten war – sollte man glauben. Weit gefehlt: Die private Handynummer des Ermittlungsführers taucht während der Telefonüberwachung U.s in den Mitschnitten auf. Am 15. Januar 2020 instruiert der Kripo-Mann U. – der für ihn immer ein Beschuldigter gewesen sein will – wie er ihm über sein Handy live Signale zusenden kann, wo er sich gerade befindet: „Das müsste auch auf Telegramm gehen. Das müssten Se mal g’schwind sich anschauen, Aber das geht auf alle Fälle. Also ich hab‘ das auch schon gemacht.“

Um die Glaubwürdigkeit zu stärken: Straftat nicht absagen

Zwei Tage später hält der Polizist U. nicht etwa davon ab, an einer Bestrafungsaktion innerhalb einer rechten Gruppe teilzunehmen – und sich so strafbar zu machen. Sondern ermuntert ihn gar noch: „Also aus meiner Sicht sollten Sie schon alleine aus Glaubwürdigkeitsgründen nicht aus irgendwelchen Gründen absagen. Aber vielleicht gelingt’s Ihnen mit irgendeiner Finte, mit was auch immer, Zeit zu schinden.“ Sagt er zu dem Mann, der als Einziger der zwölf Angeklagten nicht in Untersuchungshaft genommen wurde; ein 13. Beschuldigter erhängte sich im Gefängnis.

Vielleicht erklärt sich so, warum das LKA nie prüfte, ob U. eine scharfe Waffe besaß: Bei einem Treffen der Gruppe S. bei Schwäbisch Gmünd fotografierte eine Observationseinheit den Informanten mit einer Pistole in einem Schulterholster. Unklar ist, ob dies eine Schreckschuss- oder aber eine scharfe Waffe war. Im Oktober stellten Bundespolizisten bei einer fingierten Kontrolle in Heidelberg eine Schreckschusspistole U.s sicher. Im April 2020 fanden Polizeitaucher in einem Bach in Mosbach (Kreis Neckar-Odenwald) eine zweite Schreckschusswaffe, die dem 50-jährigen gehört. Ob dies aber das komplette Arsenal des Spitzels war, wurde nie geklärt.

Bundesanwaltschaft informiert künftige Zeugen über den Prozess

Nachgewiesen ist auch, dass Informationen über den Prozess von der Staatsanwältin Generalbundesanwaltes in das LKA und dort an künftige Zeugen weitergeleitet wurden. So waren der Ermittlungsführer und seine Stellvertreterin darüber informiert, dass ihr Informant überraschend selbst im Prozess aussagen wollte. Das belegt ein Vermerk, der dem Gericht inzwischen vorliegt.

Zuvor hatte U. über mehrere Tage ausgesagt – und dabei seine beiden Kontaktbeamten im LKA schwer belastet. So behauptet U., der Kripo-Mann habe ihn zu Falschaussagen angestiftet, in ihm fortwährend die Hoffnung genährt, er werde in eine Zeugenschutzprogramm aufgenommen, obwohl die Bundesanwaltschaft schon zu Beginn der Ermittlungen genau das ausgeschlossen hatte.

Zweifelhaft ist, ob die jetzigen Aussagen U.s glaubhaft sind. Denn: So berichtet er davon, er habe dem Ermittler berichtet, er nehme im September 2019 eine Schreckschusspistole mit zu einer Demonstration in Mönchengladbach. Mit dem LKA Baden-Württemberg trat er nachweisbar allerdings erst – arrangiert durch die Polizei Hessen – anderthalb Wochen nach dem Aufmarsch am Niederrhein in Kontakt. Mindestens 13-mal widersprechen sich U.s Aussagen und die bisherige Beweisaufnahme – dazu gehören auch mitgeschnittene Telefonate.