Der Verfassungsschutz und das Bundeskriminalamt hätten schon viel früher von der Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund („NSU“) wissen können, als bisher bekannt ist. Das belegt der CDU-Obmann im „NSU“-Untersuchungsausschuss, Clemens Binninger.
Berlin - Der Verfassungsschutz und das Bundeskriminalamt hätten schon viel früher von der Thüringer Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund („NSU“) wissen können, als bisher bekannt ist. Bereits zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts soll es eine Reihe von konkreten Hinweisen auf die Aktivitäten von Uwe Bönhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe gegeben haben. Das belegt der CDU-Obmann im „NSU“-Untersuchungsausschuss, Clemens Binninger, gegenüber der StZ mit neuen Erkenntnissen aus den Akten. Der Böblinger Bundestagsabgeordnete hat zudem Zweifel, dass das Trio die Serie von zehn Morden, zwei Sprengstoffanschlägen und 14 Banküberfällen alleine geplant habe: „Das ist schwer zu glauben.“ Gab es also noch weitere Unterstützer in der rechtsextremen Szene?
Sogar das hält der 50-Jährige für denkbar, auch wenn es keine Belege dafür gebe. Aber Binninger stellt Fragen, auf die er Antworten sucht. „Wie kamen die Terroristen auf den Tatort in Baden-Württemberg?“, fragt er etwa. Wie konnten die „NSU“-Aktivisten genau wissen, wann die Bereitschaftspolizistin Michèle Kiesewetter am 25. April 2007 auf der Theresienwiese bei Heilbronn ihre Mittagspause gemacht hat? Den Akten sei zu entnehmen, dass dieser Platz keinesfalls ein üblicher Treffpunkt für die Beamten gewesen sei, wie zunächst der Verfassungsschutz erklärt hatte. Auch habe der Chef der rechtsextremen Organisation Thüringer Heimatschutz im Jahr 2004 ein Haus gekauft, das nur 15 Kilometer vom Tatort in Heilbronn entfernt liegt, dieses aber nie genutzt. „Welchen Grund sollte er dazu haben?“, fragt Binninger. An so viele Zufälle auf einmal glaube er nicht.
Schon viele Hinweise seit zehn Jahren
Der CDU-Obmann behauptet, es habe seit dem Jahr 2002 immer wieder Hinweise auf die „NSU“-Terrorzelle gegeben. Besonders brisant sei zum Beispiel ein Dossier des Bundeskriminalamtes (BKA) aus dem Jahr 2004, das nur vier Wochen nach dem folgenschweren Nagelbomben-Attentat von Köln verfasst wurde: „Dort sind Bönhardt, Mundlos und Zschäpe als mögliche Rechtsterroristen unter der Bezeichnung ‚Jenaer Bombenbauer‘ namentlich genannt.“ Auch die Strukturen seien exakt so beschrieben, wie die Terrorzelle organisiert war: kleinteilige Gruppen, die keine Bekennerschreiben verschicken.
„Warum ist niemand auf die Idee gekommen, die wenigen Personen aus dem Dossier mit dem Video der Kölner Tat zu vergleichen?“, fragt sich Binninger, „man war damals ganz nah dran.“ Noch im gleichen Jahr habe das BKA eine weitere heiße Spur erkalten lassen. Die Ermittler hätten 2004 den Schweizer Waffenhändler gefunden, der die schallgedämpfte Pistole vom Typ Ceska mit einer seltenen Munition über einen Mittelsmann an die Terroristen verkauft habe. „Sie haben aber nur nach türkischen Käufern gefragt“, bemängelt Binninger, selbst früher Polizist. Das BKA habe fadenscheinige Ausflüchte gelten lassen, und erst 2009 wieder nachgebohrt.
Der CDU-Obmann verweist auf weitere Indizien. Etwa auf einen Tippgeber des Verfassungsschutzes aus dem Heilbronner Raum, der sich über einen Pfarrer an die Ermittler gewandt habe. Er soll schon im Jahr 2003 über eine Gruppe mit dem Namen NSU gesprochen haben, die „etwas gegen Ausländer machen“ wolle. Während sich der zuständige Mitarbeiter des Verfassungsschutzes noch an die Aussage erinnere, wolle der Tippgeber inzwischen nichts mehr davon wissen. „Ich halte den Hinweis aber nach wie vor für sehr interessant, den müssen wir verfolgen“, fordert Binninger, der früher Sicherheitsberater von Erwin Teufel als Ministerpräsident war.
„Vielleicht hätte man einige Morde verhindern können“
Immer wieder würden solche Spuren in den Akten auftauchen und sich zu einem neuen Bild zusammenfügen. Zum Beispiel sei im Jahr 2002 in der rechtsextremen Zeitschrift „Der weiße Wolf“ ein Textbanner mit dem Kürzel NSU erschienen. Dort sei gestanden: „Vielen Dank an den NSU.“ Durch die Formulierung „den NSU“ sei klar, dass dem Verfasser der Terminus „Nationalsozialistischer Untergrund“ bekannt gewesen sei, glaubt Binninger.
Der Böblinger Abgeordnete kommt zu einem klaren Fazit. „Wenn man all diese Bruchstücke zusammen setzt, dann wird klar: Man hätte schon viel früher dem NSU auf die Spur kommen und vielleicht einige Morde noch verhindern können.“ Allerdings räumt der CDU-Obmann ein, dass die Arbeit oft schwierig ist: „Viele Informanten erzählen zu 80 Prozent Unsinn, zu 20 Prozent treffen sie aber ins Schwarze.“ Hier zu unterscheiden, was eine krude Verschwörungstheorie und was wichtig sei, treibe die Fahnder oft zur Verzweiflung. Binninger: „Meistens geht es nebenher noch um die Ermordung von Olof Palme.“