Im U-Ausschuss des Bundestages zur Mordserie des NSU werden die ersten Zeugen vernommen. Ermittler berichten von Widerständen innerhalb der Sicherheitsbehörden.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Es ist bereits die sechste Tat in jener mysteriösen Mordserie: fünf Schüsse in einem Nürnberger Döner-Imbiss. Der 50-jährige Inhaber Ismail Yasar wird kaltblütig umgebracht. Das Verbrechen passiert am 5. Juni 2005. Die Täter hinterlassen wiederum kaum eine Spur. Zeugen beobachten in der Nähe allerdings zwei Männer mit Fahrrädern, die sich auffällig benehmen. Phantombilder entstehen. Doch es werden vier weitere Menschen sterben müssen und noch mehr als sechs Jahre vergehen, bis bekannt wird, um wen es sich dabei handelt: um die Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die ersten Rechtsterroristen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

 

Für die bayerische Polizei war dieser Fall immerhin Anlass, die Fahndung erheblich zu intensivieren. Vier der sechs bis dahin erfolgten „Türkenmorde“ hatten sich im Freistaat ereignet, drei davon in Nürnberg. Dort wurde im Juli 2005 eine Sonderkommission Bosporus installiert. Drei Ermittler und ein Staatsanwalt von damals sollte am Donnerstag vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags aussagen, der den rechtsextremistischen Terror aufzuklären hat. Drei Monate nach Gründung des Gremiums waren das die ersten Zeugen, die aus eigenem Augenschein von den Ermittlungen berichten konnten.

Soko Bosporus betrieb einen immensen Ermittlungsaufwand

Warum hieß die Soko Bosporus? Lange war von „Döner-Morden“ die Rede gewesen. Der Begriff wurde inzwischen zum Unwort des Jahres 2011 erhoben. Wolfgang Geier, vom Sommer 2005 bis Anfang 2008 Leiter der Fahndungsgruppe, die polizeiintern „Besondere Aufbauorganisation“ hieß, versuchte zu erklären, weshalb die Blutserie unter einer eher abschätzig klingenden Rubrik verbucht wurde: die Tatwaffe und die Herkunft der Opfer waren das Einzige, was die Fälle zu verbinden schien. Zunächst galt die „Grundannahme, dass die Taten aus einem kriminellen Milieu heraus begangen wurden“, so Geier. Sogar eine „mögliche Verstrickung ausländischer Geheimdienste oder türkischer Extremisten“ wurde erwogen. Die wahren Hintergründe blieben über Jahre im Verborgenen. Spuren, die in deren Richtung wiesen, wurden nicht konsequent genug verfolgt.

Dabei hat die Soko Bosporus einen im-mensen Ermittlungsaufwand betrieben. Zeitweise waren allein in Nürnberg 60 Be-amte mit dem Fall befasst, bundesweit 160. Laut Kriminaldirektor Geier wurden 32 Millionen Massendaten erfasst und ausgewertet, darunter Tankbelege für die Strecke zwischen Nürnberg und München, weil die Täter zwischen dem sechsten und dem siebten Mord dort unterwegs gewesen sein müssen. Die Soko ist 3500 Spuren nachgegangen und hat 11 000 Personen überprüft – die wahren Mörder waren nicht darunter.

Spur Nummer 195 war die richtige. Aber sie verlief im Sande. Im Sommer 2006 verwarfen die Fahnder ihre bisherige Annahme, sie müssten nach Killern der Drogenmafia suchen, jedenfalls in der kriminellen Halbwelt. Von da an folgte die Soko der „Serientäter-Theorie“, wie Geier es vor dem Ausschuss nannte. Ein Münchner Polizeiprofiler hatte angeregt, nach einem männlichen deutschen Täter Mitte 20 zu fahnden, der möglicherweise einen Komplizen hat, aus Türkenhass mordet und in der rechten Szene aktiv gewesen sein könnte – eine ziemlich präzise Umschreibung der Herren Mundlos und Böhnhardt.

Mittels Rasterfahndung wurden 161 Verdächtige ausgesiebt

Im Juli 2006 bat Geier den bayerischen Verfassungsschutz um Amtshilfe. Er wollte von dem Geheimdienst die Namen aller Rechtsextremisten aus der Nürnberger Gegend. Aber die Verfassungsschützer stellten sich quer. Sie verweigerten die Auskunft „aus Quellenschutzgründen“, so Geier, und weil die „Anfrage zu unkonkret“ gewesen sei. „Ein Trauerspiel“ nennt der CDU-Innenexperte Clemens Binninger das Verhalten der Behörde. Die Soko habe „förmlich um Daten betteln“ müssen. Erst im Mai 2007 schickten die Verfassungsschützer eine Liste mit 682 Namen. Mittels Rasterfahndung wurden 161 Verdächtige ausgesiebt, neun Rechtsextremisten von der Polizei persönlich überprüft. Mundlos und Böhnhardt waren nicht darunter. Sie kamen ja nicht aus Nürnberg.

Spur 195 führte nicht zu einem Fahndungserfolg, obwohl sie in die korrekte Richtung verwies. Experten des FBI hatten dies dem Bundeskriminalamt (BKA) gegenüber bekräftigt. Sie fertigten im August 2007 eine Analyse, die „tiefsitzende Animositäten gegenüber Türken“ als Motiv unterstellte. Doch davon hat Chefermittler Geier nach eigener Auskunft niemals erfahren. Dabei habe er selbst „einen fremdenfeindlichen Hintergrund priorisiert“. Damit war er im Kreis der Ermittler aus den anderen Bundesländern und vom BKA aber isoliert. Zudem signalisierten seine Vorgesetzten im bayerischen Innenministerium, er solle sich mit seiner Theorie von einem fremdenfeindlichen Serientäter öffentlich zurückhalten.

„Das klingt nach der Melodie, dass nicht sein kann, was nicht sein darf“, sagte der Grüne Wolfgang Wieland. Petra Pau (Linke) mutmaßte, dass der rechtsextreme Hintergrund der Mordserie wegen der Fußball-WM 2006 verheimlicht werden sollte. „Erhebliche Mängel in der Struktur der Ermittlungen“, erkannte der Liberale Hartfrid Wolff. Der CDU-Mann Binninger sagte, Leute wie der Soko-Chef Geiger seien „alleingelassen“ worden. Dessen Aussagen zeigten, dass „die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Verfassungsschutz nicht so geregelt ist, wie es sein sollte“.