Im Stuttgarter Verfahren um die mutmaßliche Rechtsterrorgruppe Prinz Reuß spitzt sich ein Konflikt zwischen Verteidigern und den Staatsanwälten um die Frage zu, wer die Razzia im vergangenen Jahr leitete. Dabei war ein Polizist schwer verletzt worden.

Im Verfahren gegen den sogenannten militärischen Arm der mutmaßlichen Rechtsterrorgruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß streiten Verteidiger und die Vertreter des Generalbundesanwalts (GBA) um einen Einsatz des Spezialeinsatzkommandos (SEK) Baden-Württemberg im vergangenen Jahr in Reutlingen. Bei dem Einsatz lieferten sich die Beamten und einer der Angeklagten einen Schusswechsel, bei dem einer der Polizisten schwer verletzt wurde.

 

Was geschah vor dem SEK-Einsatz am 22. März 2023 in Reutlingen?

Die bisherige Beweisaufnahme in dem am 29. April 2024 begonnen Verfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart ergab: Der Reutlinger Markus L. hatte am 9. Juli 2022 eine Verschwiegenheitserklärung der Gruppe um Prinz Reuß unterschrieben. Eine Verpflichtung, über alles zu schweigen, was ihm in der Gruppe bekannt wurde. Ein Verstoß dagegen werde mit harten Strafen bis hin zum Tod geahndet. Für die anklagenden Bundesanwälte war L. deshalb ein möglicher Unterstützer der Gruppe, gegen den sie einen Durchsuchungsbeschluss beantragten. Den unterschrieb ein Richter des Bundesgerichthofs am 15. März 2023. Jedoch: L. sei „eine tatunverdächtige Person“. Die Razzia diene dazu, „Anhaltspunkte dafür zu finden, dass L. zusammen mit weiteren […] Personen konkrete Strukturen schuf“, um das bestehende politische System in Deutschland gewaltsam zu beseitigen. Die Durchsuchung könne L. dadurch abwenden, indem er freiwillig das gesuchte Material vollständig herausgebe. Weil der 48-jährige legal über Waffen sowie eine Sprengstofferlaubnis verfügte, wurde das SEK mit der Durchsuchung betraut. Dessen Einsatzleiter empfahl, L. auf dem Weg zur oder von der Arbeit anzuhalten und ihm den Durchsuchungsbeschluss zu eröffnen. Diesen Vorschlag lehnte das Bundeskriminalamt (BKA) ab.

Was geschah am 22. März 2023?

Nachdem das SEK das Türschloss aus der Wohnungstür gesprengt hatte, gaben sich die Beamten als Polizisten minutenlang zu erkennen. Sie tasteten sich in die ihnen unbekannte Wohnung vor. Ihnen war zuvor verboten worden, die für die Planung einer Durchsuchung notwendigen Baupläne einzusehen oder im Haus selbst bis zur Wohnungstür die Umgebung aufzuklären. L. erwartetet die Beamten in seinem Wohnzimmer hinter einem mit einer schusssicheren Weste behängten TV-Sessel mit einem Sturmgewehr. Er kam der Aufforderung nicht nach, seine Waffe niederzulegen und sich den Polizisten zu stellen. Diese schossen zuerst auf L., der das Feuer erwiderte. Bei dem Schusswechsel wurde ein Polizist schwer verwundet.

Was machte der „Objektverantwortliche“?

Verantwortlich für die Durchsuchung war ein Kriminalhauptkommissar des BKA. Er leitet und koordiniert die Durchsuchung eines Objektes. Dazu gehört nach den Polizeidienstvorschriften auch die „Analyse des zu durchsuchenden Objektes“, die „Festlegung der benötigten Einsatzkräfte und Ressourcen“ sowie die „Erstellung eines Einsatzplanes“. Während der Durchsuchung hat er zudem die „ordnungsgemäße Durchsuchung“ zu überwachen. Die allgemeine Erwartung war, dass dieser BKA-Beamte ein wichtiger Zeuge im Prozess sein kann. Unverständlich ist, warum Oberstaatsanwalt Michael Klemm jetzt die Richter warnte, sie hätten „möglicherweise eine zu hohe Erwartungshaltung an den Zeugen“, weil der weder mit den Ermittlungen noch der Planung der Razzia befasst gewesen sei.

Wie reagieren die Richter?

Der Vorsitzende Richter Joachim Holzhausen machte deutlich, der Senat werde aufklären , wer wann welche Entscheidung getroffen habe und wer verantwortlich gewesen sei. Das müsse jetzt ermittelt werden: „Sobald wir den Namen haben, werden wir diesen Beamten als Zeugen laden.“

Was sagen die Verteidiger?

Rechtsanwalt Holger Böltz wirft den Bundesanwälten vor, Katz und Maus mit den Prozessbeteiligten zu spielen: „Sie wissen ganz genau, dass wir seit Monaten dem verantwortlichen Polizeiführer hinterherlaufen. Jetzt kommen sie lapidar um die Ecke und sagen, Sie wissen nicht, wer den Einsatz wirklich geleitet hat. Der, der für uns alle seit Prozessbeginn dafür verantwortlich war, soll es jetzt nicht gewesen sein.“ In dieselbe Kerbe hieb Verteidiger Manfred Zipper: „Nach jetzt 20 Verhandlungstagen ist es angebracht, dass wir endlich einen Namen bekommen. Das ist ja ein Mensch aus Fleisch und Blut gewesen. Es ist bemerkenswert, dass die Bundesanwaltschaft uns diesen Verantwortlichen nicht von sich aus nannte, sondern durch das Gericht dazu gezwungen werden muss.“

Was sagen die Bundesanwälte?

Oberstaatsanwalt Michael Klemm sagte bereits am 4. Verhandlungstag am 14. Mai 2024, dass „man über die Art und Weise, wie die Wohnung betreten wurde, streiten kann“. An diesem Mittwoch sagte er zudem, das BKA habe vom Generalbundesanwalt für den 22. März 2023 die Vorgabe bekommen, insgesamt 20 Objekte in Deutschland und der Schweiz zeitgleich zu durchsuchen. Dies polizeitaktisch umzusetzen sei Aufgabe des BKA gewesen. Klemm blieb unklar, wer entschied, L. nicht – wie durch das SEK angeregt – auf dem Weg zur Arbeit anzusprechen. „Wir wollten einen Beweismittelverlust verhindern. Deshalb schied eine mobile Festnahme aus.“ Im Gegensatz zu den vorangegangenen Maßnahmen gegen die Gruppe Reuß am 7. Dezember 2022 hätte vermieden werden sollen, dass „an den Objekten schon die Journalisten warteten“. Die rasche und umfassende Berichterstattung einiger Medien erweckte den Eindruck, dass sie vorab über diese Durchsuchungen informiert worden waren.