Rechtstrend Wie die Union Merkels Erbe verspielt
Angela Merkel? Die Alt-Kanzlerin fällt in der CDU einem aktiven Vergessen anheim. Die Union glaubt, sie entkomme dem Sog der AfD, indem sie diese nachäfft. Bisher klappt das nicht.
Angela Merkel? Die Alt-Kanzlerin fällt in der CDU einem aktiven Vergessen anheim. Die Union glaubt, sie entkomme dem Sog der AfD, indem sie diese nachäfft. Bisher klappt das nicht.
Auch die nächste Lesung ist ausverkauft. In zwei Wochen stellt Angela Merkel ihr Buch „Freiheit“ in der Bonner Oper vor. Die Alt-Kanzlerin findet Widerhall, wo immer sie sich zeigt. Nur nicht in ihrer Partei, die sich benimmt, als ob diese Frau nichts mit der CDU zu tun hätte. Merkel? Ein galantes Abenteuer, das verschämt verschwiegen wird. Dabei hat Angela Merkel der Union über 16 Jahre hinweg die Regierungsmacht gesichert. Nun ist nicht mehr viel zu vernehmen von jenen, denen sie einst Amt, Kofferträger und Dienstwagen verschaffte. Es herrscht ein neuer Ton. Man gibt sich männlich und tough. Breitbeinig stehen sie da, sie spucken Entschlossenheit, die CSU-Söders, die Linnemanns und – nicht mehr ganz so großspurig – die Merzens. Jens Spahn, dem nachgesagt wird, er strebe eine Kanzlerschaft mit schwarz-brauner Mehrheit an, scheitert gerade als Fraktionschef.
Merkel verschob ihre Partei in die politische Mitte, sie liberalisierte die CDU. Mit diesem „Move“, wie es neudeutsch heißt, verschaffte sie sich ihre Mehrheiten. Das ging zu Lasten der SPD und eröffnete – so der Vorwurf ihrer Kritiker – am rechten Rand eine Lücke, in welche die AfD spätestens dann stoßen konnte, als Merkel den Mund öffnete und die Worte „Wir schaffen das“ aussprach. Dies sei der Moment gewesen, der die Republik polarisiert und eine latent vorhandene rechtsextremistische Gefühlswelt stimuliert habe. Die Monster in den Abgründen der deutschen Seele erwachten.
Das klingt logisch, ist aber ein bisschen schlicht gedacht. Die rechte Welle rauscht durch ganz Europa, ja, durch große Teile der Welt. Die Migration mag als einer der Gründe herhalten, nur regieren andernorts keine Wiedergänger Merkels. Die allgemeine Verrohung trägt einen komplexeren Charakter. Zu glauben, die AfD wäre schwächer, wenn es in Deutschland eine halbe Million Flüchtlinge aus den Jahren 2015/16 weniger gäbe, erscheint naiv. Die Ukraine-Flüchtlinge wiederum fallen nicht in Merkels Amtszeit. Deren Aufnahme war auch ziemlich unumstritten.
Inzwischen heißt es, man hätte den Ukraine-Flüchtlingen nicht das Bürgergeld geben dürfen, sie hätten vielmehr wie Asylbewerbern behandelt werden müssen. So soll es jetzt kommen: Menschen aus der Ukraine, die nach März 2025 nach Deutschland gelangen, fallen aus dem Bürgergeld. Das hatte die Union im Wahlkampf versprochen. Damit entgeht ihnen aber auch der „Job-Turbo“, der einen besonderen Vermittlungsstrang bei den Jobcentern eröffnet und an das Bürgergeld gebunden ist. Der „Job-Turbo“ geht auf eine Initiative der Ampel-Regierung zurück – und ist außerordentlich erfolgreich, wie der „Spiegel“ gerade unter Verweis auf eine Studie berichtet, an der renommierte Universitäten wie Stanford in den USA, die ETH Zürich oder die London School of Economics (LSE) beteiligt waren. In der öffentlichen Wahrnehmung zeigt sich allerdings ein gegenteiliges Muster: Nach der ersten Welle der Ukraine Flüchtlinge war beklagt worden, dass Deutschland anders als andere europäische Länder bei der Aufgabe versage, diese Menschen in Arbeit zu bringen. Die Verantwortlichen in der Regierung und bei der Bundesanstalt für Arbeit antworteten, man gehe einen eigenen Weg, man setze auf Qualifikation, ehe die Arbeitsaufnahme erfolge. Dieser Ansatz erwies sich als richtig. Die positive Bilanz gilt im Übrigen auch für die Flüchtlinge aus den Jahren 2015/16: Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ermittelte, dass die Beschäftigungsquote der Flüchtlinge jener Jahre inzwischen fast so hoch ist wie der deutsche Durchschnitt.
Redet irgendjemand darüber? Nein, schon gar nicht in der Union. Lieber äfft man Populisten nach und hofft damit, zum Erfolg zu kommen. Friedrich Merz hatte in der ihm eigenen Großspurigkeit 2018 versprochen, die AfD zu halbieren. Dies erwartete er allein schon für den Fall, dass er den CDU-Vorsitz übernehme. Was für eine Fehleinschätzung.
En passant sei zum Thema „Merkel ist schuld“ erwähnt, dass die Kanzlerin keineswegs allein Kernthemen der Union begrub. Die Wehrpflicht setzte der CSU-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg aus. Markus Söder drohte 2011 mit seinem Rücktritt als bayerischer Umweltminister, sollte nach Fukushima nicht der Atomausstieg beschlossen werden. Auch Stefan Mappus, damals Ministerpräsident im Südwesten und Atomkraft-Enthusiast, wandte sich vom Atomstrom ab. Merz saß in allerlei Räten von Unternehmen, wo es gut zu verdienen, aber operativ nicht so viel zu entscheiden gab. Dorthin geraten war er dank seiner politischen Kontakte. Nun wird Angela Merkel als Sündenbock gebraucht. Die echten Böcke aber sind vielleicht andere.