Das Reutlinger IT-Unternehmen iPoint liefert Daten für die so genannte digitale Kreislaufwirtschaft. Damit Recycling rentabel wird, müssen Millionen von chemischen Substanzen auch in komplexen Produkten wie Autos präzise erfasst werden.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Reutlingen - Was steckt genau in einem Produkt? Diese Frage kam vor Jahren mit dem Schutz der Verbraucher vor Giftstoffen auf. Die Pflichten zur genauen Deklaration von Roh- und Inhaltsstoffen sind im Laufe der Zeit immer umfangreicher geworden. Längst geht es nicht mehr nur um den Schutz von Umwelt und Gesundheit. Auch die Frage, ob ein Produkt oder Bauteil ethisch verantwortbar produziert wurde, rückt stärker in den Mittelpunkt.

 

Doch je komplexer das Produkt, je länger die Lieferkette und je größer die Zahl der Lieferanten ist, umso komplexer sind die Daten, sagt Jörg Walden vom Reutlinger IT-Unternehmen iPoint, das sich der „digitalen Kreislaufwirtschaft“ verschrieben hat. Ursprünglich hat das Unternehmen Produktionsprozesse in der Autoindustrie optimiert. Dann bot man Autoherstellern an, besser zurückzuverfolgen, was denn genau an Materialien in ihrem Fahrzeug steckt – idealerweise bis zu jedem einzelnen Rohstoffbestandteil. „Heute reicht es nicht mehr nur vier Schwermetalle identifizieren zu können. Sie wollen mehr oder weniger die gesamte chemische Zusammensetzung wissen.“In den schätzungsweise 2500 Bauteilen eines Autos stecken etwa eine Million chemische Komponenten, sagt Walden: „Jede Farbmarkierung auf einem eingebauten, elektronischen Widerstand ist eine eigene Substanz“. Von den Metallen in der Karosserie über die Kunstfasern in den Sitzen bis hin zum Glas der Scheiben und dem Gummi der Dichtungsringe. Deren Herkunftsgeschichte läuft manchmal über mehr als ein Dutzend Lieferstufen – bis hinunter zur Rohstoffgewinnung. Die Daten sind zwar prinzipiell vorhanden, aber in Datenbanken und Computersystemen verstreut. „Bisher war es oft so, dass die Daten sogar manchmal noch manuell eingetippt werden mussten“, sagt der IT-Spezialist. Bis die gesetzlichen Nachweispflichten für ein neues Produkt erfüllt waren, konnten deshalb Monate vergehen.

Jeder Farbklecks birgt Daten

Lieferanten müssen Daten liefern - das steht in den Einkaufsbedingungen

iPoint erfasst die Daten auf einer zentralen Plattform und macht sie jederzeit abrufbar. Die Lieferanten speisen nach einheitlichen Normen und automatisiert ihre relevanten Informationen ein. „Dass sie diese Daten liefern müssen, schreibt man heute in die Einkaufsbedingungen hinein“, sagt Walden. Kleinere Unternehmen seien bisher damit aber häufig überfordert. Das einheitliche System hilft dabei und hat auch die Vielzahl der gesetzlichen Vorschriften und Vertragsvorgaben genau eingespeichert.

Inzwischen sind auf der Plattform acht Millionen unterschiedliche Produkte mit ihren Rohstoffkomponenten erfasst. iPoint bezeichnet sich bei dieser Datenerfassung im Automobilbereich als Weltmarktführer. Deutsche Autohersteller betreiben bisher allerdings eigene Nachweisplattformen. Doch die Anforderungen würden immer komplexer – und sie erfassten immer mehr Branchen. „Selbst in Textilien haben sie heute Sensoren – mit den entsprechenden Rohstoffen“, sagt Walden.

In Elektrofahrzeugen sind viele so genannte seltene Erden verbaut – und nicht nur aus Umweltgesichtspunkten, sondern auch für die Versorgungssicherheit müssen diese wiederverwertet werden: „Wer genau weiß, welche Rohstoffe in einem Produkt wie einem Auto stecken, der kann in einer künftigen Kreislaufwirtschaft auch abschätzen, welcher Rohstoffwert fürs Recycling darin steckt.“ Bisher seien aber solche Nachhaltigkeitsberechnungen enorm teuer. Der IT-Experte ist auch wegen solcher Themen im Anfang 2018 installierten baden-württembergischen Thinktank für Ressourcenstrategien am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) aktiv. Er hat hier als Industriepartner unter anderem den Schwerpunkt digitale Kreislaufwirtschaft. Als praktisches Beispiel bringt iPoint ein Projekt ein, mit dem die soziale Nachhaltigkeit von Mineralien aus Zentralafrika überprüft wird.

Anforderungen an die digitale Kreislaufwirtschaft werden komplexer

Und wie steht es mit der Datenintegrität? iPoint selbst kann keine Stichproben machen, ob etwa in einer Schmelze im Ausland die Rohstoffangaben exakt eingehalten werden. „Auch Minen und Schmelzen werden allerdings heute zertifiziert“, sagt Walden. Fälschungssichere Technologien wie die Blockchain, könnten verhindern, dass Daten manipuliert werden können. Bei diesem komplexen System werden Daten in einer großen Kette von Computern so abgespeichert, dass sie sich nicht mehr verändern lassen. Zudem kann man den Urheber genau nachverfolgen: „Das ist dann nicht mehr fälschbar.“

Think Tank für Ressourcen

Gremium
– Der „Thinktank industrielle Ressourcenstrategien“ war bereits 2016 im Koalitionsvertrag angekündigt worden und ist seit Anfang des Jahres am Start. Es ist direkt am Präsidium des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) angesiedelt und bindet auch Unternehmen ein. Begonnen hat der Thinktank für Ressourcenstrategien mit fünf bis sechs Mitarbeitern; es sollen später 15 bis 20 sein.

Problem –
Die EU hat die Liste der kritischen Rohstoffe, deren Produktion auf wenige Länder beschränkt ist und die schwer zu ersetzen sind, von 14 (2011) auf heute 27 erweitert. Dazu gehören beispielsweise Grafit, Kobalt, Magnesium und Metalle der Platingruppe.